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Ausgabe:

Juli/August/1996

Spalte:

765 f

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Reynolds, Philip Lyndon

Titel/Untertitel:

Marriage in the Western Church. The Christianization of Marriage During the Patristic and Early Medieval Periods.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1994. XXX, 436 S. gr. 8o = Supplements to Vigiliae Christiana, 24. Lw. hfl 190,-. ISBN 90-04-10022-9.

Rezensent:

Georg Denzler

Der in Atlanta lehrende Theologe Philip Reynolds will zeigen, wie sich die Gesetzgebung der abendländischen Kirche über Ehe und Ehescheidung im ersten Jahrtausend entwickelt hat.

In der Einleitung werden die Aussagen des Neuen Testaments über die Ehe mit kurzem Kommentar vorgestellt. Der I. Hauptteil (3-117) behandelt das Verständnis der Ehe nach römischem und germanischem Recht. Vieles davon übernahm die Kirche zur Zeit der Kirchenväter und auch noch in der karolingischen Periode, vor allem die Lehre, daß das Ja-Wort (Konsens) der beiden Partner das Wesen der Ehe ausmacht. Prinzipiell abgelehnt wurde die Scheidung, weil die Ehe als Abbild der Verbindung zwischen Christus und Kirche eine heilige Sache (sacramentum) darstellte. Trotzdem erhielt die Sexualiät innerhalb der Kirche mehr und mehr eine negative Note. Ehelosigkeit (Zölibat) galt für besser als das Leben in der Ehe. Im Frühmittelalter wirkten kirchliche Anschauungen auf das Eheverständnis der germanischen Stämme nicht wenig ein.

Im II. Teil (119-238) wird die Lehre der Kirche von der Ehe ausgebreitet. Dem römischen Ehegesetz als lex humana stellten die Kirchenväter die aus der Bibel gewonnene Auffassung von der Ehe als lex divina entgegen. Dabei stand das Verbot der Ehescheidung als spezifisch christliche Lehre im Mittelpunkt. Eine Wiederheirat nach Scheidung entbehrte in den Augen der Kirchenmänner der Gültigkeit. Umstritten blieb, ob eine freie und eine unfreie Person miteinander eine gültige Ehe schließen könnten. Ausführliche Erörterung finden die unterschiedlichen Ansichten von Theologen und Kanonisten über die berühmte Matthäus-Klausel (19,9), derzufolge die Auflösung einer Ehe im Fall von Unzucht (porneia) gestattet ist. Eine Ausnahme von der Unauflöslichkeit der Ehe sah man gegeben, wenn ein Ehepartner in einen religiösen Orden eintrat.

Der III. Teil (239-311) behandelt ausführlich die von dem Bischof und Kirchenvater Augustinus (430) vertretene Ehedoktrin. Augustinus schrieb der Ehe drei Hauptzwecke zu: Treue, Nachkommen und Unauflöslichkeit. Die seit dem Apostel Paulus über Tertullian bis Hieronymus und Ambrosius entstandene Tradition erhielt durch diesen einflußreichen Theologen ein einheitliches Konzept, das auf Jahrhunderte bestimmend bleiben sollte. Erst in der Hochscholastik führten Spekulationen von Theologen dazu, daß die Ehe in die jetzt festgelegte Zahl der sieben Sakramente eingereiht wurde. Die im Frühmittelalter fortdauernde negative Wertung der Sexualität geht im wesentlichen auf Augustinus zurück, der in der sexuellen Lust eine Folge der Erbsünde erblickte. Erzbischof Hinkmar von Reims (882), der sich scharf gegen die Scheidungspläne König Lothars II. wandte, bewährte sich als hervorragender Kasuist mit der Lösung schwieriger Ehefälle. Sein Hauptanteil an der späteren Traditon besteht in dem Versuch, den körperlichen Vollzug der Ehe mit Augustins Vorstellung von der Ehe als sacramentum zu verbinden.

Der IV. Teil (313-412) umfaßt die Entwicklung der Eheschließungsform. Verlobung, (körperlicher) Vollzug der Ehe und Ehesegen bildeten unterschiedliche Schritte auf dem Weg zur Ehe. Auch wenn schon die Päpste Siricius (399) und Pelagius I. (561) bezeugen, daß der kirchliche Segen zum Eheversprechen hinzukam, so legten doch erst die Bischöfe Isidor von Sevilla (633) und Hinkmar von Reims gesteigerten Wert auf den Segen des Priesters für die Eheleute. Dieser kirchliche Segen besaß aber nur symbolische Bedeutung. Allgemein herrschte die Meinung, daß Gott mit dem Segen der Ehe von Adam und Eva die Ehe als Institut gesegnet habe, so daß der Segen für jede einzelne Ehe nicht mehr nötig sei. Gemäß der römischen Eheliturgie erhielten anfangs Braut und Bräutigam einen Schleier, später nur noch die Braut. Für den genannten Bischof Hinkmar gehörten Eheversprechen und Ehevollzug für die Gültigkeit der Ehe zusammen. Entscheidend für das christliche Verständnis der Ehe blieb zu allen Zeiten die Unauflöslichkeit.

Die ausführlichen Quellenzitate ermöglichen leicht die Überprüfung einzelner Interpretationen und Argumentationen. Reynolds gründlich gearbeitetes Buch bietet einen zuverlässigen Einblick in die sich bildende, keineswegs schon in allen Punkten einheitliche Ehelehre - die Ehepraxis bleibt außerhalb des Interesses - der abendländischen Kirche während des ersten Jahrtausends. Die reichhaltige Bibliographie enthält leider fast nur englischsprachige Literaturwerke.