Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/1996

Spalte:

756–758

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Hofmann, Hasso

Titel/Untertitel:

Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts.

Verlag:

3. Aufl. Berlin: Duncker & Humblot 1995. XXX, 304 S. 8o. Kart. DM 32,-. ISBN 3-428-08234-6.

Rezensent:

Mathias Eichhorn

"Und der Herr sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Haus in ein Land, das ich dir zeigen will" (Gen 12,1). Theologen verstehen diesen Aufruf gewöhnlich existentiell, also als einen Aufruf zur metanoia. Wie aber liest ein Jurist diesen Text? Stellen wir in Rechnung, daß Abram nicht alleine, sondern mit Frau und Hörigen, auch, wie das 1. Buch Mose weiter zu berichten weiß, von einem Teil der Verwandtschaft begleitet, aus Haran wegzog. Wie werden sich die Verhältnisse zwischen all diesen Menschen, die bisher in einem traditionellen, ortsgebundenen und nicht hinterfragten Recht eingebunden waren, neu gestalten? Die Wanderung stellt doch an die Rechtsprechung andere Anforderungen als die bisher gewohnte Seßhaftigkeit, das versprochene und erst noch zu gewinnende Land wird noch ganz andere stellen. So bedarf es einer neuen Begründung von Macht, die sich von jetzt an vor anders geartete Entscheidungen gestellt sieht (siehe etwa Gen 13).

Diese Frage, bezogen auf das Staatsrecht, die Frage nach der Legitimität der öffentlichen Macht also, durchziehe, so H., das Werk des deutschen Staatsrechtlers Carl Schmitt wie ein Leitmotiv: "Beginnt man mit dem Studium der Veröffentlichungen Schmitts in ihrer historischen Reihenfolge, dann zeigt sich sehr bald, daß die Entwicklung von einem ganz bestimmten Thema beherrscht wird: von der Frage nämlich nach der Legitimation öffentlicher Macht" (16). So liegt es denn nahe, Schmitts Werk als eine juristisch getarnte politische Theologie anzusehen, wogegen sich H. freilich, weil das leicht zu "apologetischen Übungen und polit-theologischen Exercitien" führe (XXIV), ausdrücklich wendet.

Vielmehr äußert er den Wunsch, sein jetzt schon in der dritten Auflage vorgelegtes Buch möge dazu beitragen, "die Erinnerung an Sachprobleme, an die sich durchhaltenden Fragen der Rechts- und Staatstheorie im Werk Schmitts wachzuhalten" (XXIV). Wird Schmitt damit theologischer Kritik entzogen? Das sicher nicht, aber es kann, nimmt man den Hinweis H.s ernst, nicht die vordringliche Aufgabe dieser Kritik sein, theologische Motivforschung zu betreiben, sondern die Theologie muß sich zunächst der rechtlichen Dimension der Offenbarung neu vergewissern, um so erst eine Basis für die Auseinandersetzung mit Schmitt zu schaffen. Denn die Relevanz metaphysischer Fragen für Schmitts Denken und damit eigentlich auch die Notwendigkeit eines theologisch-juristischen Dialogs in Sachen Schmitt bestreitet H. nicht: Die Geltung allen Rechts sei für Schmitt "vom Bestande einer ideell bestimmten tatsächlichen Ordnung abhängig" (94).

Dieser jeder Norm vorausgehenden und ihr Wirklichkeit verschaffenden Normalität habe Schmitts vornehmliches Interesse gegolten, was ihn gleichzeitig Stellung gegen den Rechtspositivismus habe beziehen lassen. Die Vertreter jener die damalige rechtsphilosophische Diskussion bestimmenden Richtung wandten sich gegen Versuche, das Recht metaphysisch zu begründen. Auch Schmitt, so H., habe keine Naturrechtstheorie vertreten und somit mit dem Rechtspositivismus die gleiche Ausgangsposition geteilt. Dessen Gleichsetzung von Staat und Recht aber habe er widersprochen. H. setzt, im Anschluß an einen Überblick über die Theorie des staatsrechtlichen Positivismus, mit der Erörterung des Problems der richterlichen Entscheidung ein, dem Schmitt seine erste größere Veröffentlichung "Gesetz und Urteil" im Jahre 1912 gewidmet hatte. Das Recht, so Schmitt seinerzeit, verwirkliche sich nicht selbst, und bei seiner Verwirklichung spiele stets ein Moment inhaltlicher Unbestimmtheit mit, was Dezision erforderlich mache. Der Richter müsse sich bei seiner Rechtsprechung an der gültigen Rechtspraxis orientieren. Mit dieser Auffassung orientiere sich Schmitt selber, so H., "methodisch prinzipiell am Ausnahmefall, welcher eintritt, ,sobald... außerhalb des positiven Gesetzesinhalts gelegene Elemente diese Praxis erschüttern'" (37).

In der Tat faszinierte Schmitt der Gedanke der Ausnahme, er erklärte ihn zu seinem hermeneutischen Grundsatz und fand in ihm die Richtschnur für sein verfassungsrechtliches Denken bis ins Jahr 1933. Die Ausnahme wird von der Regel nicht vorgesehen, es gibt sie für die Regel nicht, und sie muß darum auch außerhalb der Regel gemeistert werden. Das freilich bedarf auch der Rechtfertigung. Die Ausnahme im Staatsrecht ist der Ausnahmezustand. Das Legitimitätsprinzip, das für Schmitt nach dem Zerbrechen der monarchischen Legitimität noch verblieben sei, sei die plebiszitäre Legitimität gewesen, ein allerdings, wie H. urteilt, irrationales Prinzip. Das Volk bilde für Schmitt die durch eine Freund-Feind-Unterscheidung hergestellte politische Einheit. Die politischen Institutionen der Weimarer Republik, insbesondere das Parlament, seien für Schmitt nicht mehr in der Lage gewesen, diese Einheit zu repräsentieren. Die Unterscheidung zwischen kommissarischer Diktatur, die die herrschende Rechtsordnung im Interesse ihrer Erhaltung zu suspendieren vermag, und souveräner Diktatur, die eine Rechtsordnung erst begründet, habe es Schmitt zunächst gestattet, im vom Volk direkt gewählten Reichspräsidenten die die politische Einheit repräsentierende Instanz zu sehen. Was aber, wenn diese kurzfristig zu suspendierende Rechtsordnung - Schmitt sah im Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung das Instrument dazu - selber nicht mehr plebiszitär legitimiert ist? So ist nach H. im Nachhinein die nationalsozialistische Machtübernahme von Schmitt legitimiert worden.

H. betrachtet Schmitt als einen Vertreter des politischen Existentialismus, aber nicht in dem Sinne, daß Schmitt einen reinen Dezisionismus vertreten habe. Es sei ihm vielmehr immer um den Bestand einer das Recht erst ermöglichenden Ordnung gegangen. So sei Schmitts Konversion zum Nationalsozialismus erklärbar: "Nachdem jene entscheidende Tat sich ereignet hatte, trat zwangsläufig an die Stelle des Ausnahmezustandes der Normalfall, an die Stelle der Dezision aus dem Nichts die Gestaltung einer substanziellen Ordnung" (182). Dieses "konkrete Ordnungsdenken", völkisch ausgerichtet, bilde auch die Grundlage für Schmitts Antisemitismus. Der Möglichkeit der Rechtsbegründung unter Hilfenahme des Volksbegriffs habe sich Schmitt aber nur vorübergehend verschrieben, wäre sie doch einem Rückfall ins längst verabschiedete Naturrechtsdenken - freilich ohne Naturrecht - gleichgekommen. Es ist ja auch Schmitt von seinen nationalsozialistischen Gegnern immer wieder mangelndes völkisches Bewußtsein vorgeworfen worden. Schmitt habe eben auch, so H., geschichtlich gedacht, und so sei er schließlich Geschichtsphilosoph geworden, was seine Mitte der dreißiger Jahre erfolgte Wendung zum Völkerrecht dokumentiere: "Demnach muß die Rechtswissenschaft vornehmlich das eine tun: die Struktur der jeweiligen Geschichtsepoche und den Stand der Entwicklung in ihr zum Bewußtsein bringen" (234). Damit wäre Schmitt ein Hegelianer ohne Glauben an einen geschichtlichen Fortschritt geworden. "Öffentliche Macht muß sich somit durch geschichtliche Leistung, durch ihre Geschichtsmächtigkeit legitimieren" (234), m.a.W.: "Legitimität ist ,im Grunde' also nur ein anderes Wort für Geschichtsmächtigkeit" (251).

Die Forschung über Schmitt ist seit der Erstveröffentlichung des vorliegenden Buches im Jahre 1964 fortgeschritten. In den letzten Jahren sind insbesondere die theologischen Grundlagen Schmitts, namentlich sein Katholizismus, nachzuweisen versucht worden. Sollte der Antisemitismus Schmitts etwa nur vorübergehender Art gewesen sein, oder kann in Schmitts Sicht nicht Abram als der erste Liberale betrachtet werden, dessen Aufbruch gleichzeitig das Zerbrechen der alten Legitimität symbolisiert, der aber als Abraham zu einem neuen Nomos findet? Wäre Schmitts Antisemitismus dann nicht in seinem konkreten Ordnungsdenken, sondern in seinem Antijudaismus begründet, der freilich nicht ganz frei von Anerkennung gewesen wäre? Im Ganzen betrachtet wird man, auch wenn man H.s Konklusion nicht zuzustimmen bereit ist, sagen müssen, daß seine Untersuchung immer noch eine vorzügliche Einführung in das Werk Carl Schmitts darstellt. H.s Anliegen, die Erinnerung an die Fragen der Rechts- und Staatstheorie im Werk Schmitts wachzuhalten, gilt es gerade auch für Theologen im Interesse ihrer eigenen Sachlichkeit weiterhin ernstzunehmen.