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Ausgabe:

September/1997

Spalte:

862–864

Kategorie:

Kirchenrecht

Titel/Untertitel:

Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte [HRG]. Hrsg. von A. Erler und E. Kaufmann unter philologischer Mitarbeit von R. Schmidt-Wiegand. Mitbegründet von W. Stammler. Redaktion: D. Werkmueller (ab 1993 [35. Lieferung] Mithrsg.). Bd. V: Straftheorie – Wormser Reformation.

Verlag:

Berlin: Schmidt 1991-1995. 1536 Sp. 4.

Kurz vor Abschluß des monumentalen Werkes des HRG soll hier, anknüpfend an die Rezensionen der Bände I-IV in der ThLZ durch Gottfried Langer und nachfolgend durch den Unterzeichnenden, nicht nur die dringende Empfehlung an die Fachtheologen wiederholt werden, das HRG als Komplementär-Nachschlagewerk neben RGG, LThK, EKL, TRE etc. zu nutzen. Es soll vielmehr auch hier wieder durch Auflistung nur einiger einschlägiger lemmata aus dem jüngsten Band des HRG augenfällig gemacht werden, daß auch in diesem ein Thesaurus für verschiedene theologische Disziplinen zu entdecken ist - und dies aus der im evangelisch-theologischen Bereich zu oft vernachlässigten rechtsgeschichtlichen und juristischen Perspektive.

Neben der selbstverständlichen Relevanz weitester Partien des HRG für das Kirchenrecht, aber auch für die Universalgeschichte bis in die Neuzeit, in welche Theologie insgesamt eingebunden ist, sind dem Rez., ähnlich wie bei den vorigen Bänden, unmittelbare Schwerpunkte für folgende theologische Einzeldisziplinen ins Auge gesprungen: Bibelwissenschaft/Judaistik, Kirchengeschichte, Christliche Archäologie und Kirchliche Kunst, Systematische Theologie/Ethik/Soziallehre, Praktische Theologie/Li-turgiewissenschaft, wobei Literaturangaben bei jedem Artikel den Forschenden weitere Wege eröffnen.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit hier also eine Liste der theologisch beziehungsvollen Artikel in HRG V: für die Bibelwissenschaft/Judaistik einschlägig z. B. der Artikel Talmud, für die Kirchengeschichte z. B. Strafwallfahrten, Stratorendienst, Summepiskopat, Theoderich, Theodulf von Orleans, Thomas von Aquin, Toleranz, brandenburgisches Toleranzedikt, österreichisches Toleranzpatent, Thron und Altar, Translatio imperii, Trennung von Staat und Kirche, Tridentinum, Türkensteuern, Urkundenfälschung, Vatikanisches Archiv, Verbrennen, Wachszins, Wallfahrt, Westfälischer Friede, Wiedertäufer etc., für Systematische Theologie/Ethik/Soziallehre z. B. Straftheorie, Subsidiaritätsprinzip, Sühne, Talion, Todesstrafe, Treue, Trinken, Trunkenheit, Tugenden (und Laster), Unheilig, Urteil, Vater, Widerstandsrecht etc., für die Praktische Theologie/Liturgiewissenschaft z. B. Taufe, Trauung, Umarmung, Umfahrt, Umritt, Verhüllung, Verlöbnis etc., für die Christliche Archäologie und Kirchliche Kunst z. B. Taufkirche, Darstellung der Tugenden und Laster, Darstellung der Umarmung (Kaiser und Papst), Ummantelung, Darstellung liturgischer Verhüllung, Thron, Tiara etc.; direkt für das Kirchenrecht von Belang z. B. Tote Hand, traditio (darunter auch die oblatio puerorum bzw. puellarum an Klöster), Tragen (z. B. des Stabes), Visitation, Viztum, Vogt/Vogtei (Kirchenvogtei), Ulrich Stutz (der die kirchliche Rechtsgeschichte in den Rang einer selbständigen Disziplin mit wissenschaftlich-ökumenischer Offenheit erhoben hat), Synode, Temporalien, Testament.

Was anderswo zum großen Teil fehlt, sind hier vorhandene rechtsgeschichtliche Artikel zu Orten und Gebieten, die natürlich auch die kirchlich-theologische Bedeutung derselben tangieren, vgl. etwa Straßburg, Thorn/ Torun, Thüringen, Tirol, Trient, Trier, Ulm, Ungarn, Utrecht, Venedig, Verdun, Waldeck, Westfalen, Wetzlar, Wien, Wismar, Worms. Ebenso für die Theologie relevant sind die Artikel zu den Begriffen Stuhl, Tisch, Tür, Vier.

Von allgemeiner, die Theologie in einer Disziplin oder in mehreren ein-schließender Bedeutung: Samuel Stryk (Vorbild für Thomasius in der Argumentation gegen die Hexen-Prozesse und Hauptgestalt bei dem Aufbau der Universität Halle), Thomasius, Universitäten, Emer de Vattel (der Völkerrechtsklassiker nach Grotius in der Tradition von Christian Wolff), Völkerwanderung, Walther von der Vogelweide, Max Weber, Wikinger, Jacob Wimpfeling, Witwe, Christian Wolff etc.

Die Aufschlüsselung der Artikel auf verschiedene theologische Disziplinen durch den Rez. ist natürlich nicht absolut zu nehmen. So findet etwa bei Theodulf von Orleans nicht nur der Kirchengeschichtler, sondern auch der Bibelwissenschaftler seinen Teil, da der hochgebildete Berater Karls des Großen u. a. auch an der Verbesserung des lateinischen Bibeltextes gearbeitet hat. Außerdem dürfte der Systematiker bzw. Ökumeniker angesichts der nicht nur der rabies theologorum wegen bis heute akuten Frage des filioque an Theodulfs De processione spiritus sancti von 809 nicht uninteressiert sein, ebensowenig der praktische Theologe bzw. Liturgiewissenschaftler an dessen Schrift De ordine baptismi von 812.

Natürlich ließe sich - bei welchem Wörterbuch wäre dies wohl nicht der Fall - manches Kritische zu der Ausgewogenheit der einzelnen Artikel sagen, ebenso ließe sich vieles noch hinzufügen, auch Rechtliches bzw. Kirchenrechtliches (z. B. zum Artikel Synode, wo zwar römisch-katholische und reformatorische Sachverhalte berührt werden, die ostkirchlich-kanonische Position aber nicht einmal erwähnt wird, obwohl die Synoden dort, originär und nicht durch das Papsttum eingeengt, als das kanonische Grundprinzip kirchlicher Einheit hervortreten). Bei Abwägung der Mängel mit der Menge nützlicher Information überwiegt jedoch bei weitem letztere.

Allerdings hätte der Rez. sich, wie bereits früher angemerkt, einen stärker gesamteuropäischen Horizont für das Unternehmen gewünscht. Aufgrund osteuropäischer, besonders griechischer rechtshistorischer Positionen ist es einfach nicht mehr möglich zu sagen, wie es im HRG doch wieder gesagt worden ist, daß "der Gedanke der translatio imperii... allgemeines mittelalterliches Gedankengut gewesen" ist (HRG V, 300; Hervorhebung durch Rez.). Es war und ist eben nur eine separate westeuropäische, nämlich fränkisch-päpstliche Position - mit deutlich polemischer, ja militärischer Spitze gegen den römischen Kaiser in Konstantinopel. Und es paßt in diese angeblich "allgemeine" Konzeption, die just ein Papst Innozenz III. im Jahre 1202 formulierte, nämlich die der Translatio imperii von den Griechen auf die Germanen bzw. von den Griechen auf die "Römer", daß die Reichshauptstadt Konstantinopel nur zwei Jahre später im 4. Kreuzzug von den westeuropäischen Kreuzfahrern erobert, ge-plündert und so grausam entvölkert wurde, daß sie sich bis zur türkischen Eroberung nicht mehr ausreichend erholen konn-te.Hier stößt der gesamteuropäisch ausgerichtete Rechtshistoriker - und nicht nur der - auf längst nicht gelöste Fragen europäischer (auch rechtshistorischer) Konflikte, die von großer Bedeutung auch für das heutige Verständnis von Europa sind.

Um diese Problemstellungen nicht von vornherein auszublenden, wäre eine einfache erste methodische Forderung gewesen, zu einem so nützlichen und umfassenden Unternehmen wie dem HRG angesichts der gesamt-europäischen rechtsgeschichtlichen Implikationen des Heiligen römischen Reiches [deutscher Nation] auch vorhandene hochkarätige ost-, bzw. süd-osteuropäische (z. B. griechische) Rechtshistoriker zur Mitwirkung einzuladen. Dieser bedeutende Mangel ist allerdings nicht allein für das HRG typisch, welches hier einfach an einem allgemeinen westeuropäischen Defizit trotz aller europäischen Kommunikationsmöglichkeiten partizipiert. Am Rande: Fast alle mit griechischem Alphabet wiedergegebenen Begriffe im Band V bedürften noch der Korrektur.

Trotz - oder besser: mit dieser prinzipiellen kritischen Anmerkung ist das HRG für die wissenschaftlich Arbeitenden vieler Disziplinen ein bereits jetzt unentbehrliches Handwörterbuch.