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Ausgabe:

Juli/August/1996

Spalte:

689–691

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Blaumeier, Hubertus

Titel/Untertitel:

Martin Luthers Kreuzestheologie. Schlüssel zu seiner Deutung von Mensch und Wirklichkeit. Eine Untersuchung anhand der Operationes in Psalmos (1519–1521).

Verlag:

Paderborn: Bonifatius 1995. 576 S. gr.8o = Konfessionskundliche und kontroverstheologische Studien, 60. Kart. DM 98,-. ISBN 3-87088-809-1.

Rezensent:

Bernhard Lohse

Bei dieser Arbeit handelt sich um eine Dissertation, welche der Vf. an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom angefertigt hat. Betreut hat die Arbeit Jos E. Vercruysse; Korreferent war Jared Wicks. Der Vf. liefert einerseits eine tief eindringende Darstellung von Luthers Kreuzestheologie, wie sie sich in den Operationes in Psalmos findet; andererseits ist er bestrebt, die umfassende Bedeutung des theologischen Paradoxes, wie es in der Kreuzestheologie gegeben ist, für die gesamte Theologie herauszuarbeiten.

Was das Erste betrifft, die Untersuchung der Operationes in Psalmos, so findet sich der Terminus "theologia crucis" bei Luther bekanntlich nur selten. Die wichtigsten Texte sind die Heidelberger Disputation (1518), die Resolutiones disputatinum de indulgentiarum virtute (l5l8) sowie die Operationes, wo zwar der Terminus selbst nur einmal, dafür aber manche sachlich ähnlichen Begriffsbildungen sich finden. Der Vf. untersucht nun ausschließlich die Operationes.

Was das Zweite angeht, so legt der Vf. dar, daß die theologia crucis keineswegs nur eine vorreformatorische oder frühreformatorische Konzeption ist, die sich nicht mit der reformatorischen Rechtfertigungslehre verträgt, sondern bei Luther eine schlechterdings umfassende Bedeutung für den Weg Gottes mit den Menschen hat: das Kreuz ist der Weg, den Gott mit dem Menschen geht; darum gilt es, aus dem Gekreuzigten zu leben. Dabei darf diese Betonung des Kreuzes keineswegs im Gegensatz zur Auferstehung gesehen werden, vielmehr sind letztlich Kreuz und Auferstehung hierbei als Einheit zu verstehen.

Von dieser Zielsetzung her bestimmt sich der Aufbau der Arbeit. Nach einer Einleitung (11-24), in welcher der Vf. vorläufig auf die wichtigsten bisherigen Untersuchungen zur theologia crucis sowie auf die Textgrundlage eingeht, behandelt er in "Teil I: Ortsbestimmung und Grundlegung" (25-129). Hier beanstandet er mit einem gewissen Recht, daß die bisherige Forschung mit ihrer Konzentration auf die Heidelberger Disputation die umfassende Bedeutung der theologia crucis überhaupt nicht in den Blick bekommen habe. Statt dessen müsse von den Operationes her dieser Begriff als Schlüssel sowohl für die Christologie als auch für die Anthropologie insgesamt gewürdigt werden. Er schließt mit der Untersuchung einiger wichtiger Stellen in den Operationes.

In "Teil II: Entfaltung" (131-476) vertieft er die Untersuchung über das Kreuz als Gottes Weg mit den Menschen durch die verschiedensten Bereiche der Theologie. Zentral sind dabei Themen wie die Sünde, wobei die Frage der "bleibenden" Sünde besonderes Gewicht hat; oder "die Königsherrschaft des Gekreuzigten"; oder die Vorstellung des "wunderbaren Tausches"; oder die Bedeutung der theologia crucis als theologische Hermeneutik.

In 4. "Teil III: Rückschau und Ausblick" (477-550) würdigt der Vf. die Bedeutung der theologia crucis als "Erbe und Herausforderung" für die gegenwärtige Theologie. Es folgen ein kurzer "Schluß" sowie ein Literaturverzeichnis.

Die Arbeit ist ein bedeutsamer Beitrag zur Lutherforschung. Ohne Zweifel hat Blaumeier die bislang umfassendste Darstellung der theologia crucis vorgelegt. So wichtig noch immer die bekannte Arbeit von Walther von Loewenich, Luthers Theologia crucis (1. Aufl 1929), ist und so bedeutsam etliche andere Untersuchungen seither sind, so ist die Würdigung der theologia crucis auf der Basis der Operationes in Psalmos ein glücklicher Griff: erst hier wird deutlich, daß die theologia crucis mehr ist als eine Kampfformel in Luthers Auseinandersetzung mit der Theologie seiner Zeit. Insbesondere zeigt er, daß die theologia crucis sich nicht in einem radikalen "Entweder/Oder" erschöpft.

Dabei hat die ständige Reflexion des Vf.s über systematisch- theologische Konsequenzen von Luthers theologia crucis für die Untersuchung der Operationes in Psalmos keineswegs eine Engführung zur Folge; im Gegenteil, die Art und Weise, wie der Vf. die Textuntersuchung mit seiner Reflexion über die Relevanz von Luthers Theologumena verbindet, ist als gelungen zu bezeichnen. Hervorgehoben sei, daß der Vf. dabei von einer sehr begrüßenswerten ökumenischen Aufgeschlossenheit geleitet ist.

Wenn gleichwohl einige Fragen gestellt werden, dann soll damit die große Leistung des Vf.s nicht herabgesetzt werden; wohl aber muß auf weitere Aufgaben hingewiesen werden.

Zunächst, die Untersuchung ist bei aller Akribie in der Interpretation der Operationes-Texte doch eine im Ansatz überwiegend systematische, nicht eine kirchenhistorischeArbeit. Die weitgehende Zurückstellung der Heidelberger Disputation und der Resolutiones ist nicht unproblematisch. Die Vorgeschichte des Begriffs der theologia crucis dürfte hier weiterführen. (1)

Sodann, ebenso dürfte eine Berücksichtigung der theologiegeschichtlichen Tradition hier dringend erwünscht sein. So sehr der Begriff der theologia crucis seine Entstehung den Konflikten seit 1516/1517 verdankt und Luther dabei neue Wege geht, so dürften Begriff und Sache der theologia crucis ohne die mittelalterliche Tradition kaum verständlich sein. Dabei ist insbesondere an Augustin, aber auch an Theologen wie Bernhard, Gerson sowie etwa die Ars moriendi-Literatur des ausgehenden Mittelalters zu denken.

Schließlich, dabei dürfte es auch unumgänglich sein, die Hermeneutik des jungen Luther stärker einzubeziehen. Besonders ein Vergleich mit der ersten Psalmenvorlesung (1513-1515) könnte den theologischen Fortschritt, wie er sich in den Operationes findet, deutlicher hervortreten lassen.

Einige Corrigenda seien genannt. 125 Die Behauptung, daß Luthers Kreuzestheologie "nicht erst aus der Auseinandersetzung" erwuchs, bedürfte der näheren Begründung und Präzisierung. - l52 daß die reformatorische Entdeckung in engem Zusammenhang mit der zweiten Psamenvorlesung steht, ist nicht so sicher und widerspricht der These des Vf.s, daß die Kreuzestheologie dem Konflikt voranging. - 316 u.ö.: daß "allenfalls" bei Biel pelagianische Tendenzen festzustellen sind, dürfte nicht stimmen: solche Tendenzen waren stärker verbreitet . - Druckfehler: 63 A. 115: l. "Wriedt". - 182 Z.3 l. "Etymologie". - 361 A. l. "H. Beintker". - 562 bei "Iwand": l. Karl G. Steck". - Der Vf. verwendet manche Begriffsbildungen, die problematisch sind; dies gilt besonders für die Begriffe "Beziehentlichkeit" (212 u.ö.) und "Gottherkünftigkeit" (294).

Fussnoten:

1 Siehe hierzu jetzt B. Lohse, Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang, Göttingen 1995, 49-52.