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Ausgabe:

September/1997

Spalte:

817–822

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Zwingli. Schriften. Hrsg. von Thomas Brunnschweiler u. Samuel Lutz unter Mitarb. von Bächtold, H. U., Beriger, A., Christ-v. Wedel, Ch., Henrich, R., Lavater, H. R., Opitz, P., Saxer, E., u. P. Winzeler.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag 1995. Bd. 1: XXVI, 486 S. ISBN 3-290-10974-7; Bd. 2: VIII, 548 S. ISBN 3-290-10975-5; Bd. 3: VIII, 511 S. ISBN 3-290-10976-3; Bd. 4: VIII, 504 S. Je DM 90,-. ISBN 3-290-10977-1.

Rezensent:

Joachim Rogge

Diese Auswahlausgabe der Werke des Zürcher Reformators war nötig. Sie ist zügig vorangebracht worden, nachdem ihr Entstehen vom Vorstand des Zwinglivereins 1985 beschlossen und der Projektentwurf 1987 gebilligt worden war. Man sieht: Hier liegt eine Auftragsarbeit vor, an deren Realisierung sich insgesamt 28 namentlich aufgeführte Institutionen (I, VII f.) beteiligt haben. Da es sich zumeist um Evangelisch-reformierte Landeskirchen und Evangelisch-reformierte Kirchgemeinden in der Schweiz handelt, ist der kirchliche Hintergrund für die Edition offensichtlich.

Wir haben ein gelungenes Unternehmen vor uns, von dem einer der Herausgeber (S. Lutz) annimmt, "daß künftig nach der Ausgabe ,Zwingli Schriften' zitiert wird" (Zwingli Schriften. Ein Projekt des Zwinglivereins, in: Zwingliana XXI, 1994, 13). Die Edition, in diesem Umfang und in dieser Geschlossenheit, die "wichtigen Schriften Zwinglis in heutiges Deutsch übersetzt" enthaltend, die erste ihrer Art, wurde durch zwei Aufsätze der beiden Herausgeber vorbereitet, die 1994 in "Zwingliana" (Beiträge zur Geschichte Zwinglis, der Reformation und des Protestantismus in der Schweiz, hrsg. vom Zwingliverein, XXI, 9-14 u. 15-27) erschienen sind.

Die beiden Hauptherausgeber, Thomas Brunnschweiler und Samuel Lutz, deren Arbeitsintensität die Ausgabe vornehmlich zu danken ist, haben sich nicht einfach ans Werk gemacht. Es ist ratsam, vor der Lektüre des Gesamtwerkes die beiden Vorträge bzw. Aufsätze zu studieren, um die Voraussetzungen und den Stellenwert des Ganzen angemessen einzuschätzen. Der Leser erfährt in beiden o. g. Beiträgen viel Instruktives zur Geschichte bisheriger Werke-Ausgaben, zu dem kirchlichen Hintergrund, zu der Zielgruppenreflexion und vor allem zum philologischen Problem heutiger Zwingli-Übersetzung, die das Frühneuhochdeutsche und das Lateinische mit semantischer Akribie zu berücksichtigen hat. S. Lutz erklärt: "Zur Zwingliforschung ge-hört das Übersetzen" (a. a. O., 9). Dem Rechnung tragend hat der Beitrag von T. Brunnschweiler dann auch die Überschrift: "Zwingli übersetzen" (15). Nach einer ganzen Reihe von deutschsprachigen Werkeausgaben im 19. und 20. Jh. kann der Vf. reichlich streng formulieren: "Saxers sehr gute Auswahl stellt zur Zeit die einzig brauchbare Übersetzung von Zwinglis deutschen Schriften dar" (18).

Gleich strenge Maßstäbe sind nun aber auch an das vorliegende Werk gelegt. Offensichtlich hat es "Viele Diskussionen" (12) im Kreise der Mitarbeitenden gegeben, was Schriftenauswahl und philologische Kriterien anging. Der in der Sprachwissenschaft nicht Geschulte vermutet die größeren Schwierigkeiten bei der Übertragung lateinischer Schriften. Die Hgg. machen deutlich, daß die gravierenderen Probleme bei der sachgemäßen Übertragung des Frühneuhochdeutschen entstehen (17).

Brunnschweiler geht dankenswerterweise ausführlicher darauf ein, worin er die Komplikationen in der kontemporären Wiedergabe des Deutschen sieht, dessen sich Zwingli bedient. Er weist abschätzige Urteile über das Zwingli-Deutsch zurück und unterscheidet zur Zeit der Reformation "im mittel- und oberdeutschen Raum drei Schreibsprachen: die eidgenössisch-alemannische Schreibsprache, die ostmitteldeutsche Schreibsprache und das sogenannte Gemeine Deutsch, das von Wien bis Straßburg geschrieben wurde." Nach Ansicht des Vf.s schrieb und sprach Zwingli durchaus kein "filtzicht zotticht deüdsch" (18), zu dem Luther keinen rechten Zugang fand. Vielmehr wäre festzustellen, daß Zürichs Reformator - der genauso wie Luther den Leuten aufs Maul schauen und für große Verbreitung seiner Schriften die Voraussetzungen schaffen wollte - eine Sprachgestalt bevorzugte, die "überregionale Züge" (17) trug.

Die "Volksausgabe" (15) mit dem Titel "Huldrych Zwingli. Hauptschriften", unter der Verantwortung von F. Blanke, O. Farner und R. Pfister seit 1940 erschienen, aber vor der Komplettierung steckengeblieben, hatte noch für die deutschen Schriften Zwinglis Sprache und Schrift abgedruckt. Brunnschweiler gibt dagegen zu bedenken: "...wer des Schweizerdeutschen nicht mächtig ist, wird mit Zwinglis Deutsch überfordert sein" (15).

Die nachstehend annotierten Editionsgrundsätze gehen deshalb davon aus, "daß nicht völliges Nichtverständnis das Problem der Zwinglilektüre ausmacht, sondern das Scheinverständnis" (16, siehe auch 20). Brunnschweiler, Germanist und evangelischer Theologe, für Redaktion und philologische Beratung verantwortlich (IV, 503), erläutert den durchgehaltenen Editionsgrundsatz, daß es nicht mehr möglich sei, sich zu "einer konkordanten Übersetzung" (26) zu entschließen. Sie "muß im Hinblick auf den Bedeutungswandel der Wörter aufgegeben bzw. stark relativiert werden. Ziel einer Übertragung in modernes Deutsch muß sein, ein neuhochdeutsches Äquivalent zu finden, das sich wie Zwinglis Originaltext an der Alltagssprache orientiert".

Die übersetzungsmethodische Grundreflexion Brunnschweilers hat einen so interessanten mäeutischen Allgemeinwert, daß sie nachstehend wiedergegeben wird:



"Zwingli übersetzen heißt auch Zwingli übersetzen, d. h., ihn über einen sprachlichen wie soziokulturellen Graben von über 450 Jahren in unsere heutige Zeit hinüberzuholen. Zwingli übersetzen und Zwingli übersetzen ist eine Rettungsaktion, aber auch eine Anregung, den Zürcher Reformator neu zu entdecken. Zwinglis Wort soll der Fraktur und der scheinbaren Musealität entrissen und ganz neu lebendig werden. Dies kann nur geschehen, wenn wir uns von historisierenden und moralisierenden Übersetzungstendenzen lösen und die Möglichkeit der heutigen deutschen Sprache ausschöpfen, um ein Höchstmaß an semantischer Tiefenschärfe zu erreichen. Semantische Tiefenschärfe meint die Qualität des Textes, den Lesern nicht mehr geläufige Sachverhalte präzise und anschaulich zu vergegenwärtigen. Im Hinblick auf das Erfordernis, alte Wörter durch neue zu ersetzen, läßt sich das Wort ,übersetzen' auch noch auf eine dritte Art lesen: als ein aus zwei Wörtern bestehender Imperativ, den ich allen Übersetzenden und mir selbst ins Stammbuch schreiben möchte: Üb ersetzen!"

Der Vf. dieser nachdenkenswerten Verstehensphilosophie verdeutlicht sein Programm an mehreren Leittermini, deren Be-deutungswandel und philologischer Ersatz in seiner Not-Wendigkeit zum Textverständnis offensichtlich ist: "curtisanen" (Höflinge des Papstes, 21), "fürhar" (Hervor mit euch, 21 f.), "min herr" (Mein Mentor, 22), "fromm" (Es lassen "sich etwa 90 neuhochdeutsche Übersetzungsmöglichkeiten" finden, 23), "glouben" (Glaubensbekenntnis usw., aber auch: Kreditwürdigkeit, 24), "präst" (Urverdorbenheit, Grundübel, 24 f.). - Summa: Solche beliebig zu erweiternde Faktizität führte die Übersetzerin und die Übersetzer zu dem "Entschluß, das Ideal einer konsequent konkordanten Übersetzung fallenzulassen" (25).

So ausführlich germanistisch vorinformiert, fragt der Leser nach dem Resultat für die angewandten Editionskriterien:

"1. Es ist in heutiges leicht lesbares Deutsch übertragen worden. 2. Alle Schriften sind ungekürzt publiziert. 3. Knappe von den Übersetzern verfaßte Einleitungen geben Auskunft über den Anlaß der Schrift und die Adressaten, den historischen und theologischen Kontext; ferner sind in den Einleitungen eine kurze Inhaltsübersicht und Hinweise auf die Bedeutung und Wirkung der Schrift zu finden. 4. Die Anmerkungen sind auf ein Minimum beschränkt. Sie dienen lediglich dazu, den Text besser zu verstehen, schlüsseln aber in der Regel nicht historisch oder theologisch auf" (I, XIX).

Diesen Angaben wäre hinzuzufügen, daß jeder der abgedruckten 17 Zwingli-Schriften zwischen 1522 und 1531 von dem jeweiligen Bearbeiter "ein kleiner gesonderter Informationsblock beigefügt wird, der Auskunft gibt über die Ersterscheinung und auf die wissenschaftliche Ausgabe in Z (Huldreich Zwinglis Sämtliche Werke, hg. von E. Egli, G. Finsler, W. Köhler, O. Farner, F. Blanke, L. von Muralt, E. Künzli, R. Heister, J. Staedtke, F. Büsser, M. Jenny. Bde 1-14. Berlin/Leipzig/Zürich 1905-1991 [Corpus Reformatorum, 88-101]; diese Edition wird natürlich durch die hier vorliegende keinesfalls ersetzt) verweist" (Zwingliana XXI, 14).

Der erste Band ist mit einer allgemeinen Einleitung versehen, die mit den vorgenannten Aufsätzen teilidentisch ist. Jeder Band enthält ein Bibelstellen-, ein Personen-, ein Sach- und ein Ortsregister. Der vierte Band ist ausgestattet wieder mit dem vierteiligen Gesamtregister (395-492) sowie einem Anhang, der eine Zeittafel von 1484-1531, eine leider etwas schmal ausgefallene Literaturauswahl sowie das Verzeichnis der Übersetzerin und der Übersetzer umfaßt.

Über die Auswahlkriterien für eine Sammlung der Zwinglischriften wird es vermutlich immer unterschiedliche Auffassungen geben, aber das hier für Fachleute und Nichtfachleute, für Kenner und solche, die Zwingli kennenlernen wollen, in gefälliger Form Vorliegende ist überzeugend. Es wirkt zudem schon äußerlich so ansprechend, daß das in blauem Halbleinen gebundene Werk "in Schmuckkassette" ausgezeichnet worden ist "im Wettbewerb der schönsten Schweizer Bücher 1995"! - Daß nicht ein einziger Brief Zwinglis Aufnahme gefunden hat, mag von manchem bedauert werden. So sei in diesem Zusammenhang auf die deutschsprachige Sammlung von Gottfried W. Locher hingewiesen (In: G. Gloede [Hrsg.]: Reformatorenbriefe. Luther. Zwingli. Calvin. Unter Mitarb. v. H.-U. Delius u. G. W. Locher, hg. Berlin 1973, 181-311). Immerhin: Ein so engagierter Briefschreiber wie Bullinger (ca. 15000 Stücke!), Me-lanchthon und Luther war Zwingli in der kurzen Zeit, die ihm vergönnt war, nicht.

Die Herausgeber des jetzt vorliegenden Schriftencorpus ha-ben die Zeittafel im 4. Bd. (495-497) nicht allein mit den Lebensdaten der Reformatoren, sondern auch mit der Angabe der Entstehungszeiten der einzelnen abgedruckten Schriften gefüllt. Das verschafft einen ersten willkommenen Überblick.

Die aus anderen Ausgaben bekannten Überschriften sind im Vorliegenden vielfach verändert worden. Diese Modifizierungen folgen den o. g. Übertragungskriterien (z. B. steht für "Schlußreden" der Begriff "Thesen", II,2.13). Da die Einleitungen zu den einzelnen Schriften nur auf das kontemporäre Ambiente eingehen können, kommen die zum ganzen Zwingli-Verständnis unerläßlich wichtigen Initia des Reformators, seine humanistische Verankerung, seine Erasmus-Beziehung, seine anfängliche klassisch-humanistische Rückbindung wenig in den Blick, aber auch das spätere Rekurrieren Zwinglis auf antike Literatur läßt auf seine Anfänge schließen. Dieses Phänomen ist in den jeweiligen Einleitungen hervorragend durch entsprechende Zitationen gekennzeichnet, ebenso wie der Rückbezug auf die kirchliche und speziell theologische Tradition (cf. z. B. I, 434 f.). So werden Aufschlüsse über Zwinglis geistiges und geistliches Umfeld möglich und im Rahmen einer erstaunlich umfassenden Bildung auch seine Argumentationen im Blick auf die Geschichte und die Sozialisation seines Volkes durchsichtig. Für jeden, der weiterarbeiten möchte, "erleichtert die Angabe der Seitenzahlen als Marginalien den Zugang zur kritischen Ausgabe von Zwinglis sämtlichen Werken im Corpus Reformatorum" (I, XXIII), so daß viele Benutzergruppen bis hin zu "Lehrveranstaltungen theologischer und philosophischer Fakultäten der Universität" (I, XXII) an der Verwendung dieser Werkeausgabe Freude haben können. Für weniger historisch und philologisch Vororientierte gibt es in kurzer, aber hilfreicher Präzision in den Anmerkungen viele Angaben, die das Verständnis der bisweilen nur Zeitgenossen zugänglichen Andeutungen erleichtern. Ein Pestlied-Facsimile-Druck und Landkarten der Wirkungs- und Planungsfelder Zwinglis sind ebenfalls zu begrüßen.

Die vier Bände enthalten folgende Schriftenzusammenstellung:

Band I nimmt neun Texte aus den Jahren 1522-1524 auf. Im "Pestlied", das Brunnschweiler zu den "hervorragendsten und schönsten dichterischen Schöpfungen der Reformationszeit" (3) rechnet, reflektiert Zwingli die eigene Erfahrung der Pesterkrankung. Das Gedicht, das er auch selbst vertonte, ist nach dem Fabelgedicht vom Ochsen (1510) und dem Lehrgedicht vom Labyrinth (1516) ein weiteres Zeugnis von des Reformators dichterischer Kraft. Als einziges Quellenstück ist das Pestlied zur Erhaltung seines dichterischen Originalausdrucks auch in der ursprünglichen Fassung abgedruckt (8-11).

Die Reflexion über das vielzitierte Wurstessen zur Fastenzeit beim Drucker Froschauer hat ihren Niederschlag gefunden in der Schrift "Die freie Wahl des Speisens". Die bearbeitete Predigt soll diejenigen, die sich über die kirchlichen Fastengebote hinwegsetzten, mit theologischen Gründen schützen. Der Reformator führt aus, daß die heilige Schrift alleiniger Maßstab für kirchliche, religiöse und sogar öffentlich-gesellschaftliche Fragen sei.

Es folgt "Eine göttliche Vermahnung der Schwyzer", in der Zwingli die politische Abstinenz im Blick auf Frankreich auch für die Schwyzer fordert, nachdem die Zürcher dem Soldbündnis mit dem Nachbarland ferngeblieben sind. Wie stark der Reformator Zürichs auch auf die politische und überhaupt gesellschaftliche Situation der Eidgenossenschaft mit Erfolg einwirkte, ist u. a. daran zu erkennen, daß die "Landsgemeinde in Schwyz... drei Ta-ge nach dem Erscheinen der Schrift in der Tat" beschloß, "auf Solddienstverträge mit fremden Machthabern zu verzichten" (79).

Zwingli, der im allgemeinen ohne ausgeführtes Manuskript predigte, veröffentlichte bald eine weitere später aufnotierte und ausgedehnte Predigt (105) über "Die Klarheit und Gewißheit des Wortes Gottes", in der er wiederum über die Autorität des göttlichen Wortes handelte, diesmal an die Dominikanerinnen am nahegelegenen Oetenbach gewendet. Das Ergebnis war der Übertritt der meisten Klosterfrauen zur Reformation und die Übertragung der Seelsorge im Kloster an Zwinglis Freund und Mitreformator Leo Jud (104).

In einer großangelegten Programmschrift mit dem Titel "Göttliche und menschliche Gerechtigkeit" verbindet der Reformator sein Gerechtigkeitsverständnis mit Darlegungen zur sozialethischen Verantwortung "nicht allein der Vertreter der Kirche, sondern jedes Gliedes einer Gemeinschaft" (158). Wir haben so etwas wie eine "reformierte(n) Sozialethik" vor uns. Nachdem im Januar 1523 durch Zürcher Ratsbeschluß die Reformation institutionell akzeptiert war, sah sich Zwingli veranlaßt, auszuführen, wie sich Reformation im Sozialgefüge darstellte.

Eine pädagogische Abhandlung von 1523 ist als nächstes abgedruckt. Darin führt der Vf. Grundsätzliches darüber aus, "Wie Jugendliche aus gu-tem Haus zu erziehen sind". Die Versittlichung in der Lebensführung der Jugend steht im Mittelpunkt der kleinen Schrift, deren biblische, christologische Zentrierung ganz offensichtlich ist. Zwingli liegt daran, daß die Jugend "durch eine Lebensführung und durch Sitten ausdrückt", was "Christi würdig" ist. (221)

"Der Hirt" ist eine Gelegenheitsschrift, zu der Zwingli aufgefordert wurde und die "einen prägnanten Abriß seines Amtsverständnisses, seiner Predigtlehre und Gemeindeführung" (245) bietet. Auf dem Hintergrund verschärfter Predigtverbote in einzelnen Kantonen der Eidgenossenschaft will der Reformator festhalten: "Im Zentrum von Lehre und Leben des evangelischen Pfarrers steht die unerschrockene Verkündigung".

In Luzern hatte 1524 ein eidgenössischer Tagsatzungsbeschluß die Reformation abgewiesen. Schaffhausen, Basel und Zürich waren dem Be-schluß allerdings nicht beigetreten. In diese Lage hinein ließ Zwingli die Schrift ergehen: "Eine freundschaftliche und ernste Ermahnung der Eidgenossen". Auch hier verbindet Zwingli seinen Ruf zur Kirchenerneuerung für die ganze Eidgenossenschaft mit der Anprangerung von Eigennutz, Miß-achtung des Gemeinwohls, Profitgier und Korruption, etwa in Gestalt des unchristlichen Pensionenwesens (316), das er seit seiner Frühzeit - schon vor den ersten kirchlich-reformatorischen Ansätzen - bekämpfte. Kirchenerneuerung und gesellschaftliche Wohlfahrt gehören für Zwingli nach Got-tes Willen zusammen.

Nicht minder der gesellschaftlichen Situation zugewandt ist die Abhandlung "Wer Ursache zum Aufruhr gibt", die der Bearbeiter Peter Winzeler als "bedeutendste sozialkritische Schrift des Reformators" (333) bezeichnet. Zwingli wendet sich sowohl gegen die eigennützigen Mitläufer der Reformation, gegen die sich bildenden Täufergemeinden, als auch gegen den "verrotteten ,geistlichen Stand'". Hierbei wird indirekt deutlich, daß der Zürcher Reformator Luthers Differenzierung in der Zwei-Reiche-Lehre nicht mitvertritt. Er plädiert für Einigkeit und Frieden (335) im kirchlichen und gesellschaftlichen Kontext.

Band II enthält nur eine einzige Schrift, die "Auslegung und Begründung der Thesen oder Artikel" aus dem Entscheidungsjahr 1523.

Zu der ersten Zürcher Disputation, der ein zur Reformation führender Ratsbeschluß folgte, hatte Zwingli 67 "Schlußreden" vorgelegt, die - kaum vergleichbar mit Luthers 95 Thesen - das Ganze der reformatorischen Botschaft angingen und in deren Konsequenz Zürich sich dann auch dem Neuen institutionell zuwandte. Der Übersetzer, Thomas Brunnschweiler, möchte die umfangreichste Schrift Zwinglis, die das Thesenwerk aus dem Januar noch im Sommer erläutert, "tatsächlich als Dogmatik im weiteren Sinne bezeichnen" (9). Bibelstellenexegesen, Auseinandersetzungen mit der Rom-Kirche, Stellungnahmen zu Luther, Ausführungen zu systematisch-theologischen Einzelfragen - zum Sündenverständnis, zur Anthropologie -, zur christlichen Ethik füllen die breit gefächerte Schrift.

Band III nimmt zwei Zwingli-Schriften auf. Ein anonym erschienenes, nicht exakt zu datierendes Gutachten, "Empfehlungen zur Vorbereitung auf einen möglichen Krieg", in "Z" und in der "Kirchenratsausgabe" von 1918 unter dem Kurztitel "Plan zu einem Feldzug" ediert, will die Isolation Zürichs angesichts der kontroversen Lage innerhalb der Eidgenossenschaft verhindern.

Die nur als "Autographes Konzept" (2) überlieferten zwölf unpaginierten Seiten gehen davon aus, daß das reformatorische Zürich "militärische Aktionen jener eidgenössischen Orte befürchten mußte, welche die durch den Glaubensstreit gefährdete Einheit mit allen Mitteln sichern wollten" (3). Das ganze Votum zeigt Zwinglis militärpolitischen, ja sogar militärtechnischen Kenntnisse und dazu detallierte Einsichten über Truppenführung.

Der "Kommentar über die wahre und falsche Religion" von 1525 stellt nach Auffassung der beiden Bearbeiter "als erste vollständige, lateinisch geschriebene evangelisch-reformierte Dogmatik Zwinglis Hauptwerk dar" (33). Er widmet den Commentarius dem katholischen König Franz I. von Frankreich; sein Adressat jedoch ist "die gesamte damalige politische und kirchliche Öffentlichkeit aller Länder" (34). "In 29 Kapiteln werden die Hauptstücke der evangelischen Lehre behandelt. Der Aufriß ist klar konzipiert, die einzelnen Darstellungen variieren in ihrem Gehalt" ( a. a. O.). "Mit der Zielsetzung des Buches: ,Zur Ehre Gottes, zum Nutzen der christlichen Gesellschaft und zum Besten der Gewissen' bekräftigt Zwingli die ihm anliegende Verbindung von theologischer Klarheit, ethischer Ausrichtung und seelsorgerlicher Verantwortung." (35 u. 452) Der lehrreiche Anmerkungsapparat (457-477) gibt ein weiteres Mal zu erkennen, wie stark Zwingli bei allem biblischen Bezug in der Kulturwelt der Antike sowie der Geschichte des mittelalterlichen Europa und seines eigenen Vaterlandes verwurzelt ist.

Band IV vermittelt fünf Werke aus der letzten Schaffensphase zwischen 1527 und 1531. Luthers Anti-Schwärmerargumentation greift Zwingli in seiner "Antwort auf die Predigt Luthers gegen die Schwärmer" auf und trägt in diesem Rahmen besonders sein abweichendes Abendmahlsverständnis vor, das vornehmlich des Wittenbergers "Sermon von dem Sakrament des Leibes und Blutes Christi, wider die Schwarmgeister" angeht (3). Zwinglis eigentliche Entgegnung, die "Amica Exegesis", ist in der vorliegenden Ausgabe nicht abgedruckt, dafür aber die hier folgende "Früntlich verglimpfung" (2), die noch einmal Zwinglis Wort- und Glaubensverständnis entwickelt. Zum Zenit kam die Abendmahlskontroverse bekanntlich in dem Marburger Gespräch 1529.

Im Zeitzusammenhang mit der großen Berner Disputation, die im Januar 1526 der Reformation auch in diesem mächtigen Stadtstaat den Weg bereitete, wurden von den führenden Reformationstheologen Predigten gehalten. In seiner ersten Predigt handelte Zwingli über die drei Artikel christlichen Glaubens, in der zweiten - an die Andresse des zur Reformation berechtigten und verpflichteten Rates - über die christliche Freiheit (90), zu der Christus befreit hat.

In der "Rechenschaft über den Glauben" (Fidei ratio) wendet sich der Vf. ein weiteres Mal an eine weltliche Autorität, diesmal in zwölf Abschnitten an Kaiser Karl V., der 1530 den Reichstag nach Augsburg einberufen hatte. Der Reformator behandelt die wichtigsten Lehrstücke in apologetischem Interesse gegenüber dem in der alten Tradition bleiben wollenden Kaiser. Und wieder weist er darauf hin, daß nur "durch sorgfältige Schriftauslegung... eine theologische Überzeugung ausreichend begründet werden" kann (96).

Noch einmal stellt Zwingli seine "systematische(n) Theologie" in Predigtform vor (137), diesmal an die Adresse des hessischen Landgrafen Philipp gerichtet, der im Zeitzusammenhang mit dem Marburger Gespräch den Zürcher Gesprächsführer zum Predigen eingeladen hatte. Aus der Erinnerung zeichnete dieser auf, was er dem Landgrafen zur Stabilisierung seiner reformatorischen Überzeugung zu vermitteln gedachte. "Die Vorsehung" spielte dabei, entfaltet in sieben Kapiteln, eine wesentliche Rolle (136 f.).

Im Jahr seines gewaltsamen Todes versuchte Zwingli erneut eine "Erklärung des christlichen Glaubens", eine "Verteidigung des Glaubens gegen Verleumdungen am Hofe des Königs" Franz I. (284). Frankreich ist in dieser Zeit um Koalitionspartner gegen Kaiser Karl bemüht. Auch Zwingli sucht Bundesgenossen in seiner Politik des "christlichen Burgrechts" (283) . Derartige Ambitionen waren bei dem politisch agilen Reformator durchaus verbunden mit der Übereinstimmung in den Grundfragen christlichen Glaubens und biblisch begründeter Kirchlichkeit. Kirchliche und politische Beweggründe gingen für ihn ineinander über. So expliziert er ein letztes Mal werbend in acht Kapiteln die Gesellschaftsrelevanz des reformatorisch Neuen. Die ganz in Latein abgefaßte "Fidei expositio" (282) möchte Franz I. dafür gewinnen, "die Quellen unseres Glaubens, die Gesetze und Bräuche unserer Kirchen und unsere Verehrung der Fürsten" zu verstehen (288). Es läge für einen Menschen nichts so nahe, "als seinen Glauben zu erklären".

Wenn es zutrifft, daß unserer Zeit quellenmäßig zuverlässige Dokumentationen dringlicher sind als häufig wiederholte Kommentierungen, dann ist das oben vorgestellte Editionsunternehmen in seiner soliden Anlage und konsequenten Durchführung vorbehaltlos zu begrüßen. Der Übersetzerin, den Übersetzern, dem Zwingliverein sowie allen weiteren Förderern sei herzlich gedankt. Sie alle haben zur neu wachsenden Zwinglikenntnis und zur Aktualisierung des Reformators für eine nach Inhalten suchende Zeit einen wesentlichen Dienst getan.