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Ausgabe:

September/1996

Spalte:

862 f

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Zöller, Michael

Titel/Untertitel:

Washington und Rom. Der Katholizismus in der amerikanischen Kultur.

Verlag:

Berlin: Duncker & Humblot 1995. IX, 281 S. gr.8o = Soziale Orientierung, 9. DM 98,-. ISBN 3-428-08322-9.

Rezensent:

Mark A. Noll

Michael Zöller, der an mehreren amerikanischen Universitäten (Stanford, Chicago, Notre Dame) studiert oder gelehrt hat, gibt hier eine wohlüberlegte Geschichte des amerikanischen Katholizismus. Da der Katholizismus auf den ersten Blick "das Gegenprinzip zur amerikanischen Kultur zu verkörpern" scheint (3), besonders zum Individualismus, der für die amerikanische Demokratie und die Organisation der amerikanischen Kirchen so wichtig ist, folgert Z., daß in der Geschichte der Vereinigten Staaten die Auseinandersetzung zwischen dem Amerikanismus und dem Katholizismus eher produktiv denn destruktiv gewesen sei. Im Nachwort des Buches kann Z. sogar behaupten, daß, obwohl die frühe amerikanische Geschichte noch durch starken Antikatholizismus geprägt war, die religiös neutrale amerikanische Verfassung und die religionsfreundliche amerikanische Kultur es erlaubten, den Katholizismus in den USA mehr als in Europas "sogenannten katholischen Ländern" zum Blühen zu bringen. (244) Besonders habe die Form der Religion in Amerika den am Anfang stark ethnisch abgeschlossenen katholischen Gemeinden die Gelegenheit gegeben, sich gleichzeitig als katholisch und amerikanisch zu entwickeln. Obgleich nicht jeder mit dieser letzten Meinung über-einstimmen kann, hat Z. trotzdem ein ganz zuverlässiges Buch geschrieben. Nicht nur benutzt es die besten Studien des amerikanischen Katholizismus, sondern es gehört jetzt auch selbst zu diesen wie z. B. James Hennessey, S. J., American Catholics (1981), Jay P. Dolan, The American Catholic Experience (1985), und Philip Gleason, Contending with Modernity: Catholic Higher Education in the Twentieth Century (1995).

Z.s Geschichte fängt mit der Arbeit französischer und spanischer Priester und Ordensbrüder an, die in Amerika vor der Ankunft der englischen Kolonialisten tätig waren. Seine Behandlung der früheren USA hebt sowohl die befreienden Konsequenzen des Unabhängigkeitskrieges hervor als auch die praktische Schwierigkeit, die katholische Kirche angesichts einer streng von britischem Antikatholizismus beeinflußten Kultur mit wenigen Mitgliedern und fast keinem Geld zu organisieren. Z. schreibt mit besonderer Klarheit über John Carroll, den ersten amerikanischen Bischof (1789), dessen Ziel es war, "den Amerikanern [zu] versichern, daß [die Kirche] amerikanisch war, und gleichzeitig den Römern glaubhaft machen, daß sie dabei römisch blieb." (53)

Aber der beste Teil des Buches ist Z.s Beschreibung der "Americanist Crisis" des späteren 19. Jh.s. Am Ende dieser Periode schickte Papst Leo XIII. dem führenden amerikanischen Katholiken seiner Generation, dem Erzbischof von Baltimore, James Kardinal Gibbons, die Enzyklika Testem Benevolentiae, die Gibbons vor Neigungen "unter Euch", den Glauben der Kirche mit zuviel Demokratie, Individualismus, Kapitalismus und Selbstgenügsamkeit zu verdünnen, gewarnt hat. Gibbons antwortete, er bekämpfe dieselben Neigungen, aber wüßte, daß es sie in Amerika nicht gebe.

Z.s Darstellung der drei Hauptgruppen unter den amerikanischen Bischöfen zu dieser Zeit bietet ein klareres Bild als das mancher amerikanischer Historiker. "Americanists" wie Kardinal Gibbons und Bischof John Ireland aus Minnesota, der sich für Mäßigung und öffentliche Schulen aussprach, standen den sogenannten "conservatives", Michael Corrigan aus New York City und Bernhard J. McQuaid aus Rochester, New York, gegenüber, wie auch einer bischöflichen Partei, die für das große und ziemlich reiche Netz von deutschstämmigen Katholiken sprach. Zu-sammenfassend erklärt Z., daß die Meinungsverschiedenheiten unter diesen Gegnern, die lange erbitterte Streitigkeiten hervorriefen, davon abhingen, "welchen Grad von Anpassung die egalitäre amerikanische Gesellschaft erzwang und wieviel Distanz der Katholizismus auch in der distanzlosesten modernen Kultur noch bewahren muß, um unterscheidbar zu bleiben." (112)

Z.s Buch ist fast ebenso hilfreich für den Einblick in andere Hauptzüge der Geschichte amerikanischer Katholiken: z. B. 1. die Stärke des Antikatholizismus, der in den 1830er und 1840er Jahren gewaltig aufflammte und später im 19. Jh. mit dem Gipfel der Einwanderung aus Süd- und Osteuropa noch einmal einen Höhepunkt erreichte; 2. die in die Zeit des Ersten Weltkriegs fallende Gründung einer nationalen Bürokratie (the National Catholic War Council) und ihre spätere Differenzierung in zwei fortdauernde Institutionen (the National Conference of Catholic Bishops and the United States Catholic Conference); 3. die schnell wachsende Bedeutung der "Hispanics" in der amerikanischen Kirche (jetzt gibt es ungefähr 15 Millionen "Hispanic Catholics" mit mehr als 20 Bischöfen); 4. die seit 1960 schnell schrumpfende Zahl von Priestern, Nonnen, und Ordensbrüdern; 5. die nichtsdestoweniger andauernde Macht der katholischen Schulen und Universitäten, die Z. als Hauptgrund des katholischen "sozialen Kapitals" anführt; 6. die Schwierigkeiten mit der Theologie in einer geistigen Welt, die oft gespalten war in liberale Professoren und konservative bzw. vorwiegend pragmatisch ausgerichtete Bischöfe und 7. die Abwanderung der früher an die Demokratische Partei gebundenen weißen Katholiken in den Mittelstand und die Reihen der Republikaner.

Zusätzlich bietet Z. sowohl in einem Anhang als auch durch das Buch verstreut eine große Zahl statistischer Tafeln, die die Anzahl der Mitglieder, Bischöfe, Schulen, Universitäten usw. zu verschiedenen Zeiten zusammenfassen.

Problematisch ist an diesem Buch nur wenig: Der Untertitel beschreibt besser den Inhalt als der Titel. Ab und zu hat Z. Hinweise über die Welt des amerikanischen Protestantismus in kleinen Einzelheiten mißverstanden. Seine ausführliche Be-handlung der katholischen Institutionen läßt ihm nicht Raum genug, die Blüte des Neo-Thomismus, der von 1920 bis 1960 so kräftig das geistige Leben der amerikanischen Kirche beeinflußt hat, zu besprechen. Und nicht alle Beobachter werden darin übereinstimmen, daß zwischen amerikanischen und katholischen Grundsätzen eine solche Harmonie möglich ist, wie Z. behauptet. Trotzdem kann man dieses Buch begeistert empfehlen. Es ist gleichzeitig eine gut verständliche Einleitung für Europäer, die sich für die Religion in Amerika interessieren, und eine faszinierende Studie für Amerikaner, die mit ihrer Hilfe besser verstehen können, wie ein kenntnisreicher Ausländer die größte Glaubensgemeinschaft ihres Landes einschätzt.