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Ausgabe:

September/1997

Spalte:

830–832

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Voigt, Karl-Heinz

Titel/Untertitel:

Die Heiligungsbewegung zwischen Methodistischer Kirche und Landeskirchlicher Gemeinschaft. Die ”Triumphreise” von Robert Pearsall Smith im Jahre 1875 und ihre Auswirkungen auf die zwischenkirchlichen Beziehungen.

Verlag:

Wuppertal: Brockhaus 1996. 214 S.,1 Taf. 8. Kart. DM 78,-. ISBN 3-417-29418-5.

Rezensent:

Georg Pfleiderer

Im Frühjahr 1875 unternimmt der amerikanische Glasfabrikant Robert Pearshall Smith (1827-1898) eine Missionsreise durch Deutschland und die Schweiz. Diese Reise bildet einen Höhepunkt jener Einflüsse, die in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s von der überkonfessionellen evangelikalen Erweckungsbewegung in den angelsächsischen Ländern, der sogenannten "Heiligungsbewegung", auf den deutschen Sprachraum ausgehen. Smiths Missionsreise steht in zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit den beiden "Meetings for the Promotion of Scriptural Holiness", welche die 1846 gegründete "Evangelische Allianz" 1874 in Oxford und 1875 in Brighton veranstaltete. Auf beiden international - auch von zahlreichen deutschen und Schweizer Pfarrern - besuchten Veranstaltungen spielte der aus Philadelphia stammende charismatische Laientheologe Smith, ein der presbyterianischen Kirche angehöriger ehemaliger Quäker, der seit den 60er Jahren einen methodistisch-evangelikalen Frömmigkeitstyp entwickelt hatte, eine tragende Rolle.

Jener Missionsreise Smiths ist die in der Theologischen Verlagsgemeinschaft der Verlage R. Brockhaus und Brunnen er-schienene Monographie des methodistischen Theologen Karl Heinz Voigt gewidmet. Voigt zeichnet die Vorgeschichte der Reise und ihre einzelnen Etappen detailliert nach. In besonderen Kapiteln untersucht er das Verhältnis des Wirkens Smiths und der "Heiligungsbewegung" insgesamt zum Methodismus und die Wirkungen und Folgen dieser Bewegung in Deutschland und in der Schweiz.

Die theologische Bedeutung der Thematik und der Wert der Studie liegen darin, daß sie die Missionsreise R. P. Smiths als einen geradezu paradigmatischen Fall der Begegnung eines - zwar (evangelikal) bestimmten, aber in seiner Art sicherlich wiederum sehr repräsentativen - Typs amerikanischer Freikirchenfrömmigkeit mit den einzelnen Varianten deutscher landeskirchlich und konfessionell verfaßter Religion in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s erkennen läßt.

Die (von einem späteren Sympathisanten) sogenannte "Triumphreise" des amerikanischen Laienpredigers begann in der Reichshauptstadt Berlin und führte über die Schweiz (Basel, Zürich) und Südwestdeutschland (Karlsruhe, Korntal, Stuttgart) nach Frankfurt/M., Heidelberg und Wuppertal. Ausweislich zeitgenössischer Presseberichte war die Missionsreise ein außerordentlicher Publikumserfolg. Das dürfte mit dem Charisma des Predigers zusammenhängen, das die für die meisten Teilnehmer unbekannte Attraktivität des amerikanisch-methodistischen Frömmigkeitstyps plastisch darstellt: undogmatisch, dem Anspruch nach überkonfessionell, aufgebaut allein auf dem Gedanken der "Heiligung" des Lebens, mithin frei von theologischer Expertenbevormundung, individualistisch, betont emotional adressiert, auf Soforteffekte ("Zeugnis", "Geisttaufe") und auf Ich-Stärkung statt auf Ich-Destruktion ausgerichtet. Unterstützt wurde die Plausibilität dieses religiösen Modells durch eine geschickt konzipierte, kirchentagsdichte Folge von sich jeweils über mehrere Tage verteilenden Veranstaltungen. Diese bewußt eingesetzte religiöse Choreographie übernimmt Smith im wesentlichen von dem methodistischen Evangelisten Charles G. Finney.

Die Landeskirchen reagieren auf diese Missionstätigkeit teils wie in Preußen durch Integrationsversuche, indem sie (bzw. jeweilige Kirchenparteien) sich für ihre eigene, im Kulturkampf irritierte Position Vorteile erhoffen, teils durch Ausgrenzung wie in Stuttgart. Publizistisch diskutiert wird, ob das "Erbe" der missionarisch geweckten religiösen Euphorie eher den Landeskirchen oder den methodistischen Gemeinschaften zukommen würde.

Aus der Sicht des Verfassers ist diese Frage angesichts des weiteren Ganges der Ereignisse in gewissem Maße obsolet, da sich die "Bewegung" nach dem aus gesundheitlichen Gründen erzwungenen Ende der Missionstätigkeit Smiths bald totläuft. Andererseits könne nun aber doch in jener Missionsreise Smiths eine der Wurzeln der deutschen Gemeinschaftsbewegung, der Pfingstbewegung und ein Einflußgewinn für die methodistischen Gemeinden gesehen werden. So bleibt das ab-schließende Urteil des Vf.s ambivalent: "Durch Robert Pearsall Smith wurde ein Typus angelsächsischer Frömmigkeit in Deutschland und der Schweiz öffentlich erlebbar. Er baute Vorurteile, die man z. B. den methodistischen Kirchen entgegenbrachte, ab, schuf aber gleichzeitig neue" (188).

Die Sympathie, die der Autor seinem Thema und seinem Helden entgegenbringt, hindert ihn, wie sich an solchen Urteilen zeigt, nicht an kritischen Distanznahmen. Angesichts dessen muß man gelegentliche gegenläufige Tendenzen, die Missionsreise des amerikanischen Glasfabrikanten im Stile lukanischer Summarien zu kommentieren - "Überall fand er offene Türen, und es kam zu geistlichen Aufbrüchen" (21); "Das Feuer der Heiligung ließ die Distanz zwischen den Gemeinden und den Kirchen zusammenschmelzen" (29) - nicht mit spitzen Fingern anfassen. Wenngleich der Autor sich vor allem für das Verhältnis des amerikanischen Missionars zu den methodistischen Kirchen und evangelikalen Gruppierungen interessiert, enthält seine Arbeit tatsächlich sehr viel weiter verwertbares Material. Die "Triumphreise" Robert Pearshall Smiths von 1875 für die frömmigkeitsgeschichtliche, religions- und kirchensoziologische Er-forschung des Kaiserreichs aufgeschlossen zu haben, ist das wissenschaftliche Verdienst der Studie.