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Ausgabe:

Mai/1996

Spalte:

470 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Nanko, Ulrich

Titel/Untertitel:

Die Deutsche Glaubensbewegung. Eine historische und soziologische Untersuchung.

Verlag:

Marburg: Diagonal 1993. 372 S. Abb. u. Tab. 8o = Religionswissenschaftl. Reihe, 4. Kart. DM 39,80. ISBN 3-927165-16-6.

Rezensent:

Jörg Ohlemacher

Die Tübinger Dissertation (1989) im Fach "Vergleichende Religionswissenschaft" (um 2 Kapitel gekürzt, die separat veröffentlicht werden sollen) ist einem Thema gewidmet, das eher am Rande des wissenschaftlichen Interesses steht: die neuheidnischen und deutschreligiösen Gruppierungen, die eine "Völkische Religion" (H. Cancik) auf rassischer Grundlage vertraten. Leitfigur der Untersuchung ist der Tübinger Religionswissenschaftler Jakob Wilhelm Hauer. Geschildert werden nach einem knappen Überblick über die Vorgeschichte (29-78) die Entstehung der Arbeitsgemeinschaft DG (79-158), die ADG während des Kirchenkampfes (159-249) und die Wirkung der Bewegung in der Öffentlichkeit 1934-1936 (251-288). Der Versuch einer religionswissenschaftlichen Bestimmung (Schichtzugehörigkeit, Sozialisation, Desiderate) und ein Dokumentenanhang schliessen den Band mit einem Personenregister (ohne die Aufführung Hauers!) ab.

Im Zentrum steht die Organisationsgeschichte in der Zeit von der Gründung der ADG im Juli 1933 bis zum Juni 1934, als sich die Freireligiösen wieder von der DG lossagten. "In diese Zeit fiel die entscheidende Weichenstellung von einer national-liberal-protestantischen und einem radikal völkischen Religionskonglomerat zu einer nationalsozialistischen Religionsgemeinschaft." (309) Bei einer insgesamt schwierigen Quellenlage rekonstruiert der Vf. ein spannungsreiches Geschehen, in dem die unterschiedlich konturierten Verbände einerseits ihre je eigene Prägung bewahren, andererseits den Weg aus der Rand-existenz einer Splittergruppe finden wollten. Orientierungsgrößen bei diesen Bemühungen waren einmal die Frontstellung gegenüber den Großkirchen wie das Verhältnis zum Nationalsozialismus (246), als dessen "wahre" Vertreter in religiöser, rassischer und völkischer Hinsicht sich die Gruppen in je unterschiedlicher Weise verstanden. Sie spiegeln nun damit - vom protestantisch geprägten "Bund der Köngener" bis zu den romantisierend-germanischen "Nordungen" - das changierende Bild des Nationalsozialismus in der Anfangszeit wider, und es liegt in der Konsequenz des totalitären Ansatzes des Nationalsozialismus, daß die DG nach Hauers und von Reventlows Austritt im März 1936 ganz unter die Kontrolle der SS geriet. "Sie wurde in deren antiklerikalem Kampf eingesetzt" (257), führte aber nach Spaltungen bis 1945 nur noch ein unbedeutendes Schattendasein. Hauer, der die vertieften Kontakte zu SS und SD selbst herbeigeführt hatte (110, 193-197), um in der DG eine dem Nationalsozialismus angemessene "Dritte Konfession" zu offerieren, die in Rassevorstellung, Antisemitismus und religiöser Erziehung das Deutschtum als Religion durchsetzen wollte, setzte nach Verlust der venia nach dem Kriege seine religionswissenschaftlichen und religiösen Bemühungen fort (259), die bis heute eine gewisse Anhängerschaft - ähnliches gilt für Emanuel Hirsch - haben.

Es liegt wohl an der Materie, daß der Leser der kleinschrittigen Art der Darstellung in den historischen Teilen der Arbeit zum Teil nur mit Mühe folgen kann. Die soziologischen Ergebnisse der Untersuchung weisen auf eine Dominanz der Mitglieder bei Selbständigen und Beamten (290 f.) in Funktionen, die von "Berufs wegen mit Religion und Ideologie überhaupt zu tun hatten" (293) hin. Die meisten Mitglieder stammten aus dem Spektrum des Protestantismus. Insgesamt hatte die Bewegung ihre Zentren eher in Städten als auf dem Lande. Der Vf. macht bei allen statistischen Angaben deutlich, wie gering die absolute Zahlenbasis ist.

In der Beurteilung und Kennzeichnung kirchlicher Verhältnisse zeigt der Vf. manche Unschärfen (Gebrauch der Formel des "Bündnisses von Thron und Altar" 160, 217 u. ö., Bezeichnung von George Bell als "Landesbischof", 169, Ludwig Müller von der BK "exkommuniziert", 251 u. a.). Für die kirchliche Zeitgeschichtsforschung ist wohl der wichtigste Ertrag dieser Untersuchung einer marginal gebliebenen Bewegung die Perspektive (160 f.), die von dieser Bestreitung der Großkirchen her auf den Kirchenkampf als Ganzes fällt.