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Ausgabe:

September/1996

Spalte:

854 f

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Lekebusch, Sigrid

Titel/Untertitel:

Die Reformierten im Kirchenkampf. Das Ringen des Reformierten Bundes, des Coetus reformierter Prediger und der reformierten Landeskirche Hannover um den reformierten Weg in der Reichskirche.

Verlag:

Köln: Rheinland 1994. IX, 440 S. 8o = Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, 113. Pp. DM 37.-. ISBN 3-7927-1450-7.

Rezensent:

Hannelore Braun

Mit dieser Darstellung wird erstmals - mit Schwerpunkt auf den entscheidenden Jahren 1933 bis 1936 - eine in der kirchengeschichtlichen Forschung schon seit langem entbehrte grundlegende Untersuchung über den Weg der Reformierten im Kirchenkampf vorgelegt. Die Autorin bindet in ihrer 1992 vom Fachbereich Geschichte-Philosophie-Theologie der Bergischen Universität-Gesamthochschule Wuppertal angenommenen Dissertation das reichhaltige theologische und kirchenpolitische Quellenmaterial, das sie aus über zwanzig vorwiegend kirchlichen Archiven zusammengetragen hat, knapp und souverän in das bekannte allgemeingeschichtliche, politische, vor allem aber kirchliche Gesamtgeschehen ein. (Gelegentliche kleine Ausblicke auf das lutherische Lager haben bedauerlicherweise einen entschuldbaren Schönheitsfehler: L., die selbst so sorgfältig und hilfreich namensähnliche reformierte Institutionen voneinander scheidet, ist einer in Akten und Literatur generationenlang tradierten Nachlässigkeit "aufgesessen" und bezeichnet deshalb den im Februar/März 1936 gegründeten, kurz "Lutherrat" genannten "Rat der Evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands" als "Lutherischen Rat" (1934-36). - Es sei hier nur noch angemerkt, daß ein weiterer Irrtum aus der Literatur übernommen wurde: Oberkonsistorialrat Hymmen heißt Johannes - und nicht Friedrich).

Die Vfn. belegt Auffassungen, Meinungsumschwünge, Entscheidungsnöte und Verhaltensweisen maßgeblicher Entscheidungsträger im reformierten Lager, wobei mancher Theologe und Jurist (Otto Koopmann, August Lang, Otto Weber u. a.) neue und schärfere Konturen erhält. Zusätzlich aber berücksichtigt sie, was in der Kirchengeschichtsschreibung nicht weit verbreitet ist, in ihrer Studie ausdrücklich auch theoretische Er-kenntnisse über gruppendynamische Prozesse, eine dem Gegenstand überaus angemessene Entscheidung.

L. zeigt auf, daß die deutschen Reformierten trotz theologischer Unterschiede in den eigenen Reihen über politische und kirchliche Umbrüche hinweg seit dem 19. Jh. das Bewußtsein einte, als konfessionelle Minderheit das eigene Bekenntnis gegenüber den Lutheranern verteidigt zu haben. Reformierte Diasporagemeinden und Landeskirchen verstanden sich von daher als eine relativ homogene Gruppe, die sich schließlich im 1884 gegründeten Reformierten Bund einen organisatorischen Rahmen gegeben hatte.

Doch dem unerhörten Ansturm neuer Vorstellungen und Forderungen aus Staat und Kirche nach der sog. Machtergreifung von 1933 hält diese Gemeinsamkeit nicht stand. Der Konsens darüber, wie das reformierte Bekenntnis innerhalb der auf die neue nationalsozialistische Staatsmacht gestützten Reichskirche auf rechte Weise vertreten und bewahrt werden müsse, läßt sich nicht herstellen; ein allen Reformierten verbindliches kirchenpolitisches Handlungskonzept wird infolgedessen nicht gefunden. Nachdem die weitverbreitete Begeisterung für den Aufbruch bald verflogen ist, beurteilen reformierte Vertreter die nationalsozialistische Weltanschauung und staatliche Praxis sowie die davon nicht zu trennenden Bewegungen im Raum der Kirche schon bald sehr unterschiedlich.

Entlang der bekannten historischen Stationen: - 1933: Rheydter Versammlung, Coetus Reformierter Prediger; 1934: Erste Freie Reformierte Synode in Barmen mit Umbildung des Moderamens des Reformierten Bundes; Reformierter Konvent und Reformierter Kirchenausschuß; 1935: Siegener Synode; 1936: Reformierter Arbeitsausschuß - analysiert die Autorin ausführlich, wie unter einem völlig neuartigen gesellschaftspolitischen Druck im Zusammenhang mit den - in der gebotenen Kürze eingeführten - zentralen Kontroversen in und mit der Reichskirche und der Bekennenden Kirche (Bischofsamt in der Reichskirche; Beteiligung am Geistlichen Ministerium; Beurteilung der Barmer Theologischen Erklärung; Eingliederungspolitik des Reichsbischofs; Einsetzung von Kirchenausschüssen) das reformierte Lager auseinanderdriftet. Kompromißversuche und Stillhalteabkommen, Veranstaltungen und Vereinbarungen, die im Verständnis ihrer jeweiligen Initiatoren der reformierten Sammlung und Einigung dienen sollen, bewirken letztendlich das Gegenteil. Im Herbst 1936 stehen sich kontaktlos zwei auch theologisch voneinander geschiedene Gruppen gegenüber: auf der einen Seite "die Wuppertaler" unter Führung von Hermann Albert Hesse und Karl Immer, die im Sinne der (dahlemitischen) Bekennenden Kirche die Wahrnehmung des reformierten Wächteramtes vertreten, auf der anderen Seite Befürworter des Kurses der kirchenleitenden Männer der reformierten Landeskirche Hannover, Johannes Theodor Horn, Otto Koopmann und Walter Hollweg, die um des Erhalts der landeskirchlichen Struktur willen die Wahrnehmung reformierter Belange als ihre Aufgabe begreifen und hierfür eine größere Nähe zum Staat bejahen.

Das in der gediegenen rheinischen Reihe erschienene Buch wird mit seinem Anhang: 1 Zeittafel, 23 aussagekräftigen Dokumenten und 2 Registern künftig als fundierte Information über die Reformierten im Kirchenkampf herangezogen werden müssen und zugleich gelegentlich zurecht monierte Fehler, Ungenauigkeiten und Verkürzungen in der bislang überwiegend aus lutherischen Quellen schöpfenden Kirchengeschichtsschreibung für die untersuchte Zeit verhindern helfen.