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Ausgabe:

September/1996

Spalte:

852–854

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Hornig, Ernst

Titel/Untertitel:

Rundbriefe aus der Evangelischen Kirche von Schlesien 1946–1950. Hrsg. von D. Neß.

Verlag:

Sigmaringen: Thorbecke 1994. 192 S. gr.8o = Beihefte zum Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte, 9. DM 38,-. ISBN 3-7995-3809-7.

Rezensent:

Norbert Ernst

Im Zusammenhang mit dem Hornig-Gedenken aus Anlaß des 100. Geburtstages Ernst Hornigs (geboren am 25.8.1894) legte als Hg. Dietmar Neß die "Rundbriefe aus der Evangelischen Kirche von Schlesien" vor, die dem Zeitraum Juli 1946 bis Ostern 1950 entstammen. Das Geleitwort von Bischof Dr. Dr. Rogge und OKR Dr. Kühne verweist auf die Notwendigkeit, sich die geschichtlichen Dimensionen zu erschließen. Die Einführung des Hg.s (9-16) zeichnet ein aufschlußreiches Bild jener Zeit.

Die Rundbriefe des ersten Bischofs in der Kirche Schlesiens nach 1945 kennenzulernen, ist lohnend. Begegnung mit der Vergangenheit bedeutet nämlich Anfrage an gegenwärtige geistliche Prägung und Haltung. Insofern gewinnen die Rundbriefe Hornigs eine auch uns herausfordernde Aktualität. Dies soll an einigen Beispielen verdeutlicht werden.

Daß die Theologische Erklärung von Barmen in den Briefen eine wichtige Rolle spielt, wird niemanden verwundern: Wenn "die Kirche eine Gemeinde von Brüdern" ist (These 3), muß das Auswirkungen auf den Leitungsstil haben. So bittet Hornig immer wieder in seinen Rundbriefen die Gemeindeglieder und Mitarbeiter der Kirche um Rat, Berichte, Hinweise, Vorschläge, Mitteilung der Nöte und die Gemeindeglieder bedrängenden Fragen. Nur so könne Rat und Fürbitte konkret werden. Das Gebet füreinander ruft er intensiv als Verpflichtung ins Ge-dächtnis; denn die Fürbitte für die Verstreuten und für die Gemeinden in Schlesien beiderseits der Neiße sieht er als eine wesentliche Bischofsaufgabe. "Unsere Leitung will dienen, raten und helfen" (71).

Auch der Frage nach der rechten und zeitgemäßen Verkündigung geht er in seinen Schreiben immer wieder nach und gibt Anregungen, wie denn z. B. eine Evangelisation gestaltet werden müßte (63). Die rechte Verkündigung wird nur möglich sein, wenn wir ganz und gar und immer wieder neu zum Herrn der Kirche umkehren. Ohne Umkehr muß das Zeugnis kraftlos bleiben. Solche Umkehr zu Gott den Gemeinden immer wieder nahezubringen, sieht Hornig als weitere wesentliche Bischofsaufgabe. Für ihn stehen äußerer und innerer Aufbau der Gemeinden in einem engen geistlichen Zusamenhang (95). So sorgt er sich darum, daß die drei "Lebensbücher" den Gemeindegliedern zur Verfügung stehen: Bibel, Gesangbuch, Katechismus. "Jeder evangelische Christ sollte diese Bücher zu eigen haben, wie er ja auch eigene Schuhe hat. Der Weg zum ewigen Leben ist nicht weniger wichtig als unsere irdischen Wege... Die Reformation unserer Kirche ist von diesen drei Büchern... getragen worden und auch heute wird die Erneuerung der Kirche durch nichts anderes kommen als durchs Wort" (98).

Im Blick auf die rechte Verkündigung des Wortes Gottes denkt Hornig auch über Strukturen und Finanzen nach, erklärt dann aber, daß kirchlicher Dienst "kein Rechenexempel" ist, "weder mit Zahlen von Gemeindegliedern, noch mit irdischen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten" (19). Auch der Frage, was genuin kirchlicher Auftrag sei, geht Hornig nach: "Wir haben es in unseren Beziehungen zu unseren Mitmenschen, insbesondere auf dem Boden der Gemeinde Christi, mit Gott zu tun, überall und immer mit Gott. Wenn wir meinen, unser Wort und unsere Meinung müsse in der Kirche gelten, dann fragt es sich, ob unsere Meinung Gottes Meinung ist" (28). "Unsere Sorge soll nur die eine sein: daß wir nicht meinen, ohne Ihn könnten wir etwas tun, was die Kirche baut, und die andere, daß wir im Gehorsam Jesu Christi bleiben" (29).

Aufgrund der Erfahrungen aus der Bekennenden Kirche und den ersten Nachkriegsjahren sieht Hornig in der Mitwirkung der Laien ein wichtiges Element kirchlichen Lebens (25). Mehrfach spricht er von seiner schlesischen Kirche als von der "Kirche der Lektoren und Laien" (50, 76). Demzufolge fordert er auch die Erneuerung des Ältestenamtes (172 f.).

Daß Kirche "Anwalt des Volkes" (23) sei, ist ihm wichtig. Von daher setzt er sich auch intensiv für die Flüchtlinge aus dem Osten ein und bittet die Evangelischen aus Schlesien, sich als Aussaat Gottes verstehen zu wollen, so schmerzlich dies Geschick auch sei (48, 91, 156 f.). Besonders zu danken ist dem Hg. für die Beifügung der diesbezüglichen Texte der Breslauer Synode von 1946 (43-48) und des "Sendschreibens zur Flüchtlingsfrage" des Bruderrates der EkiD vom 7. 1. 1949 (174-177).

Die große Bedeutung diakonischer Arbeit in Schlesien findet auch in den Briefen Hornigs ihren Niederschlag. Über das Verhältnis von Diakonie und Gemeinde nachzudenken, lädt Hornig ungewollt uns Heutige ein: Wir haben bei der Auflösung des Sozialwesens der DDR, was ein unvergleichlicher Vorgang war, in unsere Diakonie Einrichtungen übernommen, die geistlich-diakonisch noch nicht durchdrungen sind. Auf dem Hintergrund der Rundbriefe Hornigs lohnt hier ein Nachdenken.

Den Rundbriefen ist eine Reihe von Erkenntnissen zum Verhältnis der deutschen zu den polnischen Evangelischen, der Evangelischen zu den Katholiken und der Evangelischen Kirche Schlesiens zum polnischen Staat zu entnehmen (z. B. 31, 83, 94). Darüber hinaus erfährt der Interessierte einiges zur Verlegung des Kirchenleitungssitzes von Breslau nach Görlitz.

Zuletzt ein Wort zur Sprache der Rundbriefe: Sie ist sachlich, nüchtern, am Luthertext der Bibel orientiert und findet trotz schmerzlichster Lebenserfahrungen jener Generation immer wieder zum Lobpreis Gottes, auch wenn es ein Lob aus der Tiefe ist. An dieser Sprache kann Ernst Hornig wiedererkannt werden.