Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/1998

Spalte:

1069 f

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

[Böhm, Winfried]

Titel/Untertitel:

Freiheit - Geschichte - Vernunft. Grundlinien geisteswissenschaftlicher Pädagogik. Festschrift hrsg. von W. Brinkmann u. W. Harth-Peter unter Mitarbeit von M. Böschen u. F. Grell.

Verlag:

Würzburg: Echter 1997. 641 S., 1 Porträt gr.8. Geb. DM 68,-. ISBN 3-429-01904-4.

Rezensent:

Christian Grethlein

Die dem Würzburger Pädagogen Winfried Böhm zur Vollendung des 60. Lebensjahrs gewidmete Festschrift "will in systematischer und kritischer Absicht das geisteswissenschaftliche Denken in der Pädagogik von Schleiermacher an bis in die unmittelbare Gegenwart neu zur Diskussion stellen" (9).

Dies geschieht zum einen durch Personalartikel; hier werden - zum Teil in stärker biographischer, zum Teil in mehr einem Einzelproblem systematisch im jeweiligen Werk nachdenkender Weise - folgende Autoren vorgestellt: F. Schleiermacher, W. Dilthey (als "Grundlegung"); M. Frischeisen-Köhler, H. Nohl, A. Fischer, Th. Litt (in drei Artikeln), E. Spranger, G. Reichwein, W. Flitner (als "Auslegungen"); F. Blättner, E. Weniger, A. Reble, J. Derbolav (als "Weiterführungen"); M. Uber, R. Guardini, M. Langeveld, H. Roth, Th. Ballauf (als "Wandlungen").

Zum anderen schließen sich hieran systematische Auseinandersetzungen an: H. Zdarzil: Zur Anthropologie der geisteswissenschaftlichen Pädagogik; G. Bittner: Prolegomena zu einer hermeneutischen Psychologie; J. Schurr: Zur Konzeption einer pädagogischen Hermeneutik (als "Vertiefungen"); A. Pieper: Flexibilität als neue Tugend. Haben unsere Bildungsanstalten eine Zukunft?; Chr. Niemeyer: Sozialpädagogik in der geisteswissenschaftlichen Pädagogik; R. Brödel: Erwachsenenbildung in der geisteswissenschaftlichen Pädagogik; Chr. Weigand: Geisteswissenschaftliche Didaktik; G. Henner: Geisteswissenschaftliche Pädagogik und Personalismus: mit der Beigabe "Gesundheitspädagogik" (als "Anwendungen"); A. Schäfer: Paradigmenwechsel als Traditionssicherung. Zum Übergang von der geisteswissenschaftlichen Pädagogik zu einer kritischen Erziehungswissenschaft; L. Koch: Hermeneutik des Sollens. Ein Problem geisteswissenschaftlicher Pädagogik; M. Heitger: Transzendentalphilosophische Kritik an der geisteswissenschaftlichen Pädagogik (als "Kritische Sichtungen").

Während einige Beiträge auch für Studierende zur Einführung dienen können, wie z. B. M. Winkler: Uneingelöster Anfang: Friedrich Schleiermacher ... und die geisteswissenschaftliche Pädagogik (39-63), E. Hufnagel: Pädagogik als letztrangig-universale Integrationswissenschaft. Wilhelm Flitner ... (247-268), oder H. Zdarzils gleichsam in die geisteswissenschaftliche Pädagogik einführende Darstellung der Anthropologie (423-436), behandeln andere speziellere Probleme und setzen hierbei erhebliches Vorwissen voraus, z. B. J. Oelkers: Herman Nohl ..., die geisteswissenschaftliche Pädagogik und das Problem des "historischen Bewußtseins" (106-133).

Angesichts der großen Zahl der Beiträge und der Vielzahl der behandelten Personen und Themen stellt sich bei der Lektüre natürlich immer wieder die Frage nach dem Zusammenhang, nicht zuletzt wegen der unvermeidlichen Unschärfe des Begriffs "Geisteswissenschaftliche Pädagogik", den manche der hier Vorgestellten, wie z. B. E. Spranger, bewußt nicht zur Charakterisierung ihres Werkes aufnahmen, während bei anderen, wie z. B. A. Fischer oder J. Derbolav, mit guten Gründen die Subsumierung unter dieses Attribut bezweifelt wird (134 ff.). Hier geben die für das Werk des Jubilars bestimmenden Begriffe "Freiheit", "Geschichte" und "Vernunft" eine bessere Orientierung, obgleich auch ihre Deutung im einzelnen sehr unterschiedlich ist.

Vielleicht kann man - wie in verschiedenen Beiträgen anklingt - als einigendes Band die scheinbare Unaktualität der hier vorgestellten Autoren und Probleme angeben. So gibt diese Festschrift einen Einblick in pädagogische Richtungen, die heute nicht (mehr) den Hauptstrom dieser Wissenschaft bilden, die aber in ihrem hermeneutischen Bemühen und ihrem Bezug auf die Geschichtlichkeit menschlichen Lebens wichtige Fragestellungen entwickelten, die weiter der Bearbeitung bedürfen. Theologisch verdienen die hier präsentierten Ansätze besondere Beachtung, weil sie Möglichkeiten für den weithin verschütteten Dialog zwischen Pädagogik und Theologie eröffnen. Allerdings wird gerade deshalb ein(e) Leser(in) mit theologischem bzw. religionspädagogischem Interesse bedauern, daß der Bezug vieler hier behandelter Pädagogen zu Theologie und Kirche, wenn überhaupt, nur äußerst knapp gestreift wird. Nicht zuletzt die Wirkungsgeschichte von Pädagogen wie Spranger, Weniger (der sehr einseitig vor allem als Militärpädagoge präsentiert wird) oder Litt in der Religionspädagogik kann zum besseren Verstehen dieser Autoren selbst dienen. Positiv sind schließlich noch die reichhaltigen Literaturangaben zu nennen, die jedem Artikel beigegeben sind und unschwer ein vertieftes Studium ermöglichen.