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Ausgabe:

September/1996

Spalte:

849 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Gatz, Erwin [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem Ende des 18. Jahrhunderts. Die katholische Kirche. Bd. IV: Der Diözesanklerus.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 1995. 453 S. gr.8o. Lw. DM 84, -. ISBN 3-451-23444-0.

Rezensent:

Hubert Kirchner

Der neue Band der nun schon respektablen Reihe erschien wiederum mit bemerkenswerter Pünktlichkeit und fügt dem bereits konturenreichen Bilde des "kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern" weitere wichtige Züge hinzu. In einer Kirche, in der das geistliche Amt eine so wesentliche Bedeutung besitzt, ist das ausführliche Bedenken der Situation des Klerus einfach unverzichtbar, wenn das kirchliche Leben überhaupt angemessen in den Blick kommen soll. Der erste Band der Reihe - "Die Bistümer und ihre Pfarreien" - hatte praktisch bereits das institutionelle Grundmuster gelegt. Jetzt wird dieses ausgefüllt mit wiederum ausführlichen Untersuchungen über den diözesanen Klerus.

Ein erster Teil beschreibt in zwölf Kapiteln die "historische Entwicklung" (23-249), und nicht erst in der neueren Zeit, sondern schon seit dem Ausgang des Mittelalters. Denn das erste Kapitel, "Zur Situation des Säkularklerus im 18. Jahrhundert", holt sehr weit aus, um vor allem mit der Erinnerung an Reformation und Trienter Reform den Rahmen deutlich zu machen, in dem dann der Diözesanklerus im modernen Sinne allmählich entstehen konnte. Im Nachzeichnen dieses Prozesses überwiegen vielfach die Fragen der Ausbildung und hier wiederum vor allem organisatorische Aspekte. Andere, mehr sachliche Gesichtspunkte treten demgegenüber vielleicht etwas zu stark zurück. Nicht ein Blick fällt z. B. auf die Haltung und die Reaktion des Klerus im und zum I. Vatikanischen Konzil oder dem "Modernismus". Ausbildungsverantwortung und Weihezahlen, Einsatzfelder und Gemeindegrößen, Nachwuchsförderung und Spätberufene sind zusammen ja nur die eine Seite. Es wäre schon wichtig, Näheres auch über die theologischen Ausbildungskonzeptionen zu erfahren etwa im Gegenüber von seminaristischer und Universitätsausbildung, über die Aufnahme von und Verpflichtung auf theologische Grundrichtungen (z. B. die Neuscholastik). Denn was hier vermittelt wurde, prägte dann ja die Gemeinden, Verbände usw., war weitgehend verantwortlich für das Gesicht der sich herausbildenden "Katholizismen", ließ aber womöglich auch Potenzen wachsen, die neue Entwicklungen vorbereiteten, erst deren Akzeptanz möglich machten, teilweise zumindest ja auch angedeutet ("Klerus und Jugendbewegung").

Eigene, deutlich aspektreichere Darstellungen erfahren die Auseinandersetzungen mit den totalitären Regimen, die Kriegs- und Nachkriegszeit, die Entwicklung in der DDR sowie das II. Vatikanische Konzil mit seinen Beschlüssen und seinen Auswirkungen, von der Einrichtung des Ständigen Diakonats über die Priesterräte und die Reformansätze der nachkonziliaren europäischen Synoden bis hin zum Lehrschreiben von Papst Johannes Paul II. "Ordinatio sacerdotalis" (1994). In diesem Zusammenhang fällt auf, daß die Traditionalistenbewegung von Marcel Lefebvre, die doch erheblich in den Diözesanklerus hineinreicht, auch im deutschsprachigen Raume einen wichtigen Aspekt der Konzilsrezeption bzw. -verweigerung darstellt und gerade durch die gezielte Ausbildung eines "Antiklerus", völlig übergangen wird.

Der zweite Teil (253-435) reflektiert in neun Kapiteln "Sonderaspekte": Das Collegium Germanicum und die Germaniker, soziale und geographische Herkunft der Priester, die Kultur des priesterlichen Alltags, den Zölibat, Weltklerus und Landwirtschaft, Weiterbildung und Kooperation, Priester als Partei- und Sozialpolitiker bzw. als Journalisten sowie die Priestervereine. Bewußt ausgeklammert bleiben die Feier des Gottesdienstes und die Arbeit in Schule, Vereinswesen und Caritas, die in eigenen Bänden behandelt werden sollen. Außerdem soll ein Quellenband zur Lebens- und Arbeitswelt der Priester die Darstellung hier noch ergänzen.

Den Band beschließen vier Graphiken zur Entwicklung der Priesterweihen von 1830 bis 1993 und ausführliche Register. Eine Fundgrube eigenen Wertes sind wiederum die ausführliche "Allgemeine Biographie" (14-19) sowie die speziellen Literaturnachweise vor einzelnen Kapiteln und in den reichen Anmerkungen, Erwin Gatz zeichnet erneut nicht nur als Herausgeber verantwortlich. Er ist zugleich Autor der meisten Kapitel des historischen Teils und auch mehrerer Sachkapitel. Das dokumentiert hinreichend seine weitere imponierende Leistung.