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Ausgabe:

Mai/1996

Spalte:

464 f

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Foschepoth, Josef

Titel/Untertitel:

Im Schatten der Vergangenheit. Die Anfänge der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Mit einem Vorwort von W. Jochmann.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1993. 250 S. 8o = Sammlung Vandenhoeck. Kart. DM 28,-. ISBN 3-525-01349-3.

Rezensent:

Martin Stöhr

Der Vf. vertritt, bestätigt durch den renommierten Historiker Werner Jochmann, die Grundthese, daß die "Geschichte der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit eng mit der Geschichte der Staatswerdung der Bundesrepublik Deutschland verknüpft" sei. Das Buch ziert ein Foto, auf dem Adenauer in Berlin sich mit Juden, Katholiken und Protestanten trifft, die zwar der Berliner Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit angehören, das gehörte sich damals so, aber nicht deren Aktivitäten initiierten oder gar trugen. Das gilt von Bischof Dibelius, von Msgr. Prange und von Heinz Galinski. Damit trifft F. in der Tat eine Schwäche der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, ihre oft zu gefällige Akzeptanz. Zugleich aber illustriert sich damit ein Manko des Buches: Die Vorstellung von Prominenten und die Erarbeitung nur aus dem Aktenmaterial des Bundesarchivs (und z. B. nicht der Kirchen, der jüdischen Gemeinden, des Ökumenischen Rates der Kirchen etc.) läßt eine zu schmale und gelegentlich zu oberflächliche Materialbasis erkennen. Es fehlt auch die Erschließung der Nachlässe bzw. biographischen Materialien der Menschen "der ersten Stunde". Eine erste publizistische Resonanz (H. J. Schoeps) faßt das Buch denn auch glatt unter der Überschrift zusammen: "Verordneter Dialog". Diese Kennzeichnung trifft zwar eine Grundthese des Buches, aber nicht die tieferliegenden Anfänge einer neuen jüdisch-christlichen Beziehung.

Es wird zu Recht Gertrud Luckner erwähnt, aber nicht Helene Jakobs, F. von Hammerstein, Marga Meusel, Gertrud Staewen, Hans Lamm, Hermann Müller, Hannah Vogt - Namen, die sowohl zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu zählen sind, wie zu dessen Opfern, aber eben auch zu denen, die Juden halfen und damit einen sehr direkten Dialog vor der Befreiung 1945 und erst Recht nach 1945 führten. Sie bessern das Bild Deutschlands nicht auf, aber sie sind die wahren Anfänger des Dialogs. Wenn der Autor fragt: "Wie sah die Rekrutierung und Beteiligung der Mitglieder aus?... Wie sah der Umgang mit der NS-Vergangenheit der Deutschen aus?", so beantwortet er diese Fragen angesichts der schwierigen Quellenlage zu den von mir genannten Namen und Initiativen nur teilweise.

Dazu kommen ärgerliche Fehler. F. nennt Martin Niemöller als "Verfasser" einer Kanzelabkündigung, "die zu offenem Widerstand gegen die Besatzungsmacht aufrief". Liest man die Kanzelabkündigung sorgfältig durch, so stellt man fest: Es handelt sich um eine Abkündigung der gesamten Kirchenleitung (die eben keinen Bischof hat). Darin wird die Aufgabe "einer echten Befreiung unseres Volkes vom Ungeist des Nationalsozialismus bejaht". Aber wegen der eingerissenen Denunziationen, Lüge und Unwahrhaftigkeit leistet das Gesetz zur Befreiung vom Nationalsozialismus eben diese Befreiung nicht. Zudem lag seit dem 5. März 1946 (Erlaß der deutschen Ministerpräsidenten) die Entnazifizierung in deutschen Händen, also nicht in denen der Besatzungsbehörden. Den Pfarrern wird die Mitarbeit in den Verfahren aus den genannten Gründen verboten.

An der Oxforder Konferenz - F. geht dankenswerterweise auf die internationale Dimension der Arbeit breit ein -, die zur Gründung des Internationalen Rates der Juden und Christen 1946 führte, nahmen aus Deutschland nicht nur Hermann Maaß und Propst Grüber teil, sondern auch die Frankfurter Pfarrer Fricke und Musial.

Sehr gut herausgearbeitet ist die Ambivalenz und Schwierigkeit der von F. beschriebenen Anfänge echter Bemühungen um einen Neuanfang, die erst langsam die grauenhafte Dimension der Schoah und die dadurch geforderte Neuorientierung auf christlicher und deutscher Seite deutlich machte. Hier ist zu fragen, ob F. die von den US-Amerikanern so stark in den Vordergrund gestellten universalen Menschenrechte und ihre Reeducation in Sachen Demokratie nicht positiver zu bewerten hätte? Auf der anderen Seite bringt F. beschämende Dokumente aus den Gesellschaften, die sich um die Präsentation eines "guten Deutschland" bemühen. Alibi und Umkehr, Selbstrechtfertigung und Neuorientierung - jeweils beides findet sich in der von F. beschriebenen Gründungsphase der Gesellschaften. Das macht, trotz der notwendigen Kritik, schließlich den Wert des Buches aus.