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Ausgabe:

Juli/August/1997

Spalte:

684–686

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Busch, Roger J.

Titel/Untertitel:

Einzug in die festen Burgen? Ein kritischer Versuch, bekennende Christen zu verstehen.

Verlag:

Hannover: Luth. Verlagshaus 1995. 454 S. 8. ISBN 3-7859-0699-4.

Rezensent:

Friedrich Jacob

Das vorliegende Buch ist die überarbeitete, für die Drucklegung gekürzte Fassung einer Dissertation, die der Vf. an der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau vorgelegt hat; sein Thema ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Spannungen und Kämpfen, die sich in den letzten Jahrzehnten innerhalb der evangelischen Kirchen in Deutschland durch den antimodernistischen, antipluralistischen Protest abgespielt haben, wie er besonders durch die Bekenntnisbewegung "Kein anderes Evangelium" vertreten wurde. Im Vorwort werden "mehrere Ziele" für das Buch genannt: 1. dazu beitragen, "Bekennende Christen besser zu verstehen" (13), 2. den Bekennenden Christen "Im-pulse für eine Öffnung auf ein wahrhaft bekennendes Christsein" geben (14), 3. "auf einer übergeordneten Reflexionsebene ein Plädoyer für partikulares Bekennen geben" (14). Die Aufgabe ist also weit gespannt: Neben soziologischen und kommunikationswissenschaftlichen Analysen steht die praktische Be-mühung um die Gestalt der Kirche heute und um den Umgang miteinander in dieser Kirche, wobei sich auch immer wieder ein Selbstbewußtsein zeigt, daß gewiß für Vertreter der Bekenntnisbewegung nicht leicht hinzunehmen ist, etwa wenn der Vf. mit dem Anspruch auftritt, "Hinweise auf ein wahrhaft bekennendes Christsein zu geben".

Folgende Schritte werden gegangen: Nach kurzen "hinführenden Überlegungen" über Intention und Aufbau der Untersuchung (15-21) werden in einem ersten Hauptteil die "Rahmenbedingungen" für die innerkirchliche Auseinandersetzung erörtet (22-154). Leitbegriff ist dabei der des "Pluralismus". Er wird auf breiter Basis entfaltet. Gewährsleute sind Habermas und W. Welsch, A. Schwan, Peter L. Berger und W. Rieß. Der nächste Schritt behandelt die Anfragen, wie sie vor allem von theologischer Seite an den Pluralismus gerichtet werden. Schließlich werden in einem dritten Schritt "Möglichkeiten der konstruktiv-kritischen Bewährung christlicher Existenz im Pluralismus" gezeigt. Die Argumentation gipfelt in der "These" daß "bekennendes Christsein unter den Bedingungen einer pluralistischen Gesellschaft besonders in der Weise des Willens zum und der Teilhabe am Dialog-Diskurs Gestalt annehmen kann" (66). Die These bestimmt im folgenden sowohl die Auseinandersetzung mit der Bekenntnisbewegung als auch die praktischen Vorschläge für "wahrhaftes Bekennen". Zu den Rahmenbedingungen der Bekenntnisbewegung im engeren Sinne gehören die Besonderheiten unserer gegenwärtigen kirchlichen Landschaft. Unter dem Oberbegriff "Meta-Profile" werden "Volkskirche", "Evangelische Allianz" und der "Fundamentalismus" beschrieben und analysiert (68-154).

Es spricht für die Gründlichkeit der Arbeitsweise des Vf.s, daß er vor die Darstellung der Bekenntnisbewegung selbst noch einen Abschnitt über "Bekennen und Bekenntnis in der Bibel und in der Geschichte der Kirche" (155-225) stellt. Da werden nicht nur einzelne Texte besprochen, sondern sogar die mit Bekennen oder Bekenntnis übersetzten hebräischen Wurzeln erläutert. Aber auch hier bringt der Vf. seine Grundhaltung zum Ausdruck, etwa wenn er zusammenfassend schreibt, "daß eine theologische Option, die den Akzent auf das referentiell-rekursive Element des Bekennens, aber auch des Bekenntnis-Be-griffs legt, in der Gefahr steht, das dahinterstehende Maßgebliche zu vernachlässigen: den Impuls allen Bekennens, die Wahrnehmung der Wirklichkeit Gottes in und mit dieser Welt zu erweitern und daraus für die Bekennenden neue Handlungsspielräume zu erschließen" (179). Sowohl die biblischen Erörterungen als auch Darstellungen der kirchengeschichtlichen Entwicklungen zielen auf ein Verständnis von Bekennen, das möglichst offen für den Diskurs ist; Bekenntnis als "Bekenntnis ,auf dem Wege' muß prinzipiell überholbar sein" (220). "Das Beziehen einer Position im Dialog-Diskurs [ist] im Sinne der Artikulation einer Hypothese auf Bewährung angelegt" (220).

So vorbereitet beginnt der Hauptteil des Buches: "Die Be-kenntnisbewegung ,Kein anderes Evangelium' (Gal 1,6) als Versuch der Realisierung bekennenden Christseins unter den Bedingungen einer pluralistischen Gesellschaft" (226-386). Zunächst werden der Aufbau und die wichtigsten Aktionen der Bekenntnisbewegung dargestellt, anschließend die Veröffentlichungen von H. Stratmann und F. Jung zum Thema referiert. Es folgt eine Analyse des Ausgangspunkts und der Motive der Bekenntnisbewegung. Eine entscheidende Rolle spielt die Auseinandersetzung mit der Theologie Bultmanns und seiner Schüler. Der Vf. macht deutlich, daß sich die Bekenntnisbewegung dabei nur sehr be-dingt auf den Galaterbrief berufen kann. Vielmehr hat ihr eigenes Evangeliumsverständnis die "Tendenz, die Heilszusage Gottes in den Schatten der Bußpredigt zu stellen" (281). In den restlichen Abschnitten des Hauptteils wird die Bekenntnisbewegung in ihren unterschiedlichen Bezügen dargestellt: Da spielen noch einmal die "Meta-Profile" eine Rolle (Volkskirche, Evangelikale und Fundamentalismus), dann aber auch die Stellung der Kirchenleitungen und der Vertreter der Universitätstheologie.

Schließlich werden zwei wichtige Texte der Bekenntnisbewegung analysiert (Barmen 1934-1984. Sechs Thesen des theologischen Konvents Bekennender Gemeinschaften; und: R. Westerheide, Die Gemeinde mischt sich ein [1990]) und zuguterletzt kurze Lebensbilder führender Männer der Bewegung angefügt. Es sind dies: R. Bäumer, P. Deitenbeck, S. Findeisen, K. Hauschild und M. Westerheide. In einem letzten Kapitel versucht der Vf. Impulse zum Bekennen in einer pluralistischen Gesellschaft zu geben. Stichworte sind "Dissenserlaubnis", "Ambiguitätstoleranz" ("das Verstehen-Wollen des Andersartigen"), "Konfliktfähigkeit" und "offener, fairer Streit". Als Modell werden die in der Leuenberger Konkordie vereinbarten kontinuierlichen Lehrgespräche empfohlen: Wenn wir bekennend Christ sein wollen in einer pluralistischen Gesellschaft, brauchen wir eine ähnliche "Konsultations-Kultur" (396).

Es ist ein spannendes Buch, das uns Roger J. Busch vorgelegt hat. Da wird nicht nur ein Stück jüngste Theologie- und Kirchengeschichte dargestellt, spannend ist vor allem der Versuch, die kommunikativen Abläufe innerhalb der evangelischen Kirchen zu durchleuchten. Freilich wird gerade durch diese Verfahrensweise der Wunsch nach einer Erweiterung des Untersuchungsgebietes geweckt. Ich denke dabei etwa an die Kommunikationsstrukturen innerhalb der Universitätstheologie und bei den kirchenleitenden Gremien. Das Bild unserer kirchlichen Landschaft würde noch deutlicher und ausgewogener, wenn der Vf. auch die Antipoden der Bekenntnisbewegung in die kritische Betrachtung einbezogen hätte. Ein anderes Desiderat besteht darin, daß das anerkennenswerte Bemühen des Vf.s, alle Aspekte des Themas einzubeziehen, etwa bei den exegetischen und historischen Partien, auf schmaler Basis referiert und argumentiert. Positiv möchte ich anmerken: Es handelt sich um ein engagiertes, - wenn man so will - um ein parteiliches Buch, um einen Versuch zu verstehen, wie es schon im Titel heißt. Auch der mit einem Fragezeichen versehene Anhang an das Lutherlied weist in diese Richtung. "Die ,festen Burgen' erscheinen als Synonym für eine unter kommunikationstheoretischem Ge-sichtspunkt pathologische Regressionsbewegung" (13). Solches Engagement ist der Auseinandersetzung um den Weg der Kirche in der pluralistischen Gesellschaft angemessener als ein Bericht sine ira et studio. Die Diskussion selber muß fortgesetzt werden. Dabei sollten alle von der bei Busch angewendeten Methodik lernen.