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Ausgabe:

Juli/August/1996

Spalte:

681–683

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Jones, F. Stanley

Titel/Untertitel:

An Ancient Jewish Christian Source on the History of Christianity. Pseudo-Clementine Recognitions 1.27–71.

Verlag:

Atlanta: Scholars Press 1995. XIII, 208 S. gr. 8o= SBL. Texts and Translations, 37. Christian Apocrypha Series, 2. Lw. $ 39.95. ISBN 0-7885-0118-6.

Rezensent:

Jürgen Wehnert

Die Erforschung des entstehungsgeschichtlich außerordentlich verwickelten pseudoklementinischen Schrifttums, des ersten christlichen Romanwerks (2.-4. Jh.), ist nach der grundlegenden Studie von Georg Strecker (Das Judenchristentum in den Pseudoklementinen, Berlin 1958, (2)1981) in eine gewisse Stagnation verfallen, die durch die Arbeiten eines internationalen Kreises von Spezialisten erst allmählich überwunden zu werden beginnt. Zu den ausgewiesenen Kennern der Pseudoklementinen (PsKl) zählt der in Göttingen promovierte Amerikaner F. Stanley Jones. Seine neue Untersuchung basiert auf einer 1989 von der Vanderbilt University, Nashville, angenommenen Dissertation (ein Hinweis darauf fehlt seltsamerweise) und widmet sich dem ersten Buch der Rekognitionen (R) - einer nur in lateinischer und z. T. in syrischer Übersetzung des griechischen Originals erhaltenen Bearbeitung des pskl. Romans. Die als Retrospektive hierin eingeschaltete Passage R I 27-71 stellt den Weg des "wahren Propheten" durch die Geschichte der Welt bis zur Jerusalemer Urgemeinde dar und ist seit langem als nachträglich eingeschobene Quelle verdächtigt worden. Der von J. erneut unternommene Versuch, Umfang, Herkunft und Tendenz dieser Quelle zu eruieren, ist daher jedenfalls gut begründet, auch wenn derselbe Gegenstand kürzlich schon von Robert E. Van Voorst monographisch behandelt wurde (The Ascents of James. History and Theology of a Jewish-Christian Community, Atlanta 1989, SBLDS 112), wodurch sich zwangsläufig Überschneidungen beider Arbeiten ergeben.

Den größten Umfang in J.' Untersuchung nehmen eine Forschungsgeschichte (Kap. 1) sowie eine synoptische englische Übersetzung des syrischen und lateinischen Textes sowie der armenischen Fragmente von R I 27-71 ein (Kap. 3). Beide Teile weisen gegenüber den entsprechenden Abschnitten bei Van Voorst deutliche Verbesserungen auf. So erfaßt J. (als früherer Mitarbeiter an dem von Gerd Lüdemann geleiteten Göttinger Pseudoklementinen-Projekt) sehr viel genauer die verästelten Erträge der deutschsprachigen PsKl-Forschung, und er bietet den kompletten Text von R I 27-71, während sich Van Voorst auf eine Übersetzung der von ihm postulierten Quellenstücke beschränkt. Eine andere Frage ist, ob die Van Voorst unterlaufenen Versehen solch harsche Kritik verdienen, wie J. sie 31-33 vorträgt: Es ist ja immer leichter, in schon gezogenen Furchen zu ackern. Unangemessen erscheint mir J.' pauschaler, in einem einzigen Satz vorgetragener Verriß von Van Voorsts immerhin achtzigseitiger Kommentierung der R I-Quelle (32). Da J. einen solchen notwendigen Kommentar seinerseits nur in Aussicht stellen kann (XII), wäre hier ein höheres Maß kollegialen Respekts angebracht gewesen.

In Kapitel 2 unternimmt J. eine Bewertung des syrischen und lateinischen Texts von R und gelangt zu dem Schluß, daß beide von gleich hoher Bedeutung sind - eine auch in der übrigen Forschung sich durchsetzende Einsicht (vgl. etwa C. Colpe: Das Siegel des Propheten, Berlin 1990, ANTZ 3, 169 f.).

Hypothesenfreudig zeigt sich J. bei der Behandlung der Einleitungsfragen (Kapitel 4 und 5). Dies betrifft freilich weniger die Umfangsbestimmung der Quelle (die nur wenig von derjenigen Streckers abweicht) als etwa die Frage, in welchem literarkritischen Stadium der PsKl diese judenchristliche Schrift eingearbeitet wurde - vom pskl. Romanverfasser oder erst vom Rekognitionisten. J. plädiert für ersteren, da sich Parallelen zu I 27-71 auch in den von R unabhängigen pskl. Homilien (H) fänden (119-121). Doch sind diese Entsprechungen sämtlich nicht zwingend, zumal die stärkste Parallele (R I 54,2-5 par. H II 22,5) durch eine sekundäre Glosse entstanden ist (so J. selbst 131). Da auch die vom Vf. ergänzend herangezogenen Kirchenväterzeugnisse diese Frage nicht sicher entscheiden können, wäre es erfolgversprechender gewesen, den Interpolator der Quelle mit Hilfe der von J. 35 empfohlenen rein literarischen Kriterien zu bestimmen. Dabei hätte sich vermutlich herausgestellt, daß nicht Pseudoklemens, sondern erst R die Quelle eingeschaltet hat. Zwei Gründe sind dafür ausschlaggebend:

1. Die abrupte Einführung des Petrus-Begleiters Zachäus in I 20,1-3, der hier zu Unrecht als bekannt vorausgesetzt wird, ist gegenüber dem entsprechenden Erstauftritt des Zachäus in H II 35 sekundär. Dies folgt daraus, daß Zachäus nach R I 20,1; 21,2 par. H II 35,1.5 eine Botschaft des Simon Magus überbringt und sogleich mit der Antwort des Petrus wieder abgeht, woraus sein zweites Hereinkommen in R II 19,3 par. H III 29,1 resultiert. Dieser logische Zusammenhang wird in R durch die traditionelle Jüngerliste R II 1,2 par. H II 1,2 unterbrochen, die Zachäus' Anwesenheit bei Petrus in den Folgekapiteln impliziert. Um Zachäus in R II 19,3 "eintreten" lassen zu können, muß ihn R daher zunächst noch einmal hinausschicken, was er mit Hilfe eines läppischen Relativsatzes tut ("qui paulo ante egressus fuerat"), der sich im Vergleich mit der sonst wörtlichen Parallele H III 29,1 als redaktioneller Zusatz erweist. Der Erstauftritt des Zachäus gehört also ursprünglich hinter die Jüngerliste II 1,2, wie es in H der Fall ist (nach II 1,2 bedarf die Figur des Zachäus keiner Vorstellung mehr - vorher bedurfte sie es, was R übersieht).

2. Der Beginn von R I 20,1 ("postera vero die"; so auch der Syrer) enthält den ursprünglichen Anfang von Buch II des pskl. Romans (= H II 1,1: ÙÉ ÌbÓ ÔsÓ âÈÔÛË ÌÚ,) oR I 20-74 sprengt also den traditionellen Erzählzusammenhang, der in H II 1 noch unversehrt vorliegt, während R II 1,1 ("cum autem dies, quae ad disceptandum cum Simone statuta fuerat")
eine von R in I 20,2 vorgenommenen Verschiebung der Disputation zwischen Petrus und Simon Magus um sieben Tage reflektiert, durch die sich der Bearbeiter den chronologischen Rahmen für die Einarbeitung der umfangreichen Quelle schuf. Durch die Einschaltung dieses Stücks bewirkt
R im übrigen das Kuriosum, daß der Ich-Erzähler Klemens die Begleiter des Petrus erst am achten Tage seines Aufenthalts bei dem Apostel wahrnimmt und ihre Namen mitteilt (II 1,2)

Die anschließend von J. erörterte Frage nach dem "ursprünglichen Ort" von R I 27-71 im pskl. Roman (125-127) mutet im Lichte dieser Beobachtungen abwegig an, um so mehr, als ihre knappe Beantwortung darauf hinausläuft, R habe den ursprünglich in Buch II des pskl. Romans untergebrachten Stoff aus (angeblichen und unkontrollierbaren) Gründen einer besseren Ordnung sekundär in Buch I seiner Version eingefügt. Durch diese ganz unwahrscheinliche Hypothese wird die komplizierte Überlieferungsgeschichte der PsKl nicht erhellt, sondern weiter verwirrt.

Mit einiger Skepsis wird man auch die von J. vorgeschlagene historische Einordnung der in R I verarbeiteten Quelle betrachten (sie sei um 200 in Judäa, vielleicht in Jerusalem, als Werk eines judenchristlichen "Bischofs" oder Presbyters entstanden [157-167] - trotz des Einschnitts, den die Niederschlagung des Bar-Kochba-Aufstands auch für das judäische Judenchristentum bedeutete, und obwohl die Quelle explizit mit dem Auszug der Christen aus Jerusalem endet [R I 71]). Dieselben Vorbehalte gelten für die These, daß diese Schrift ursprünglich mit dem Namen des in ebionitischen Kreisen geschätzten Matthäus verbunden gewesen sei (155): Der Befund, daß dieser nur in R I 55,4 erwähnte Apostel die Reihe der Zwölf in I 55-61 anführt, reicht zur Begründung dieser Annahme kaum aus.

Das gut geschriebene und in der Aufarbeitung der älteren Forschung so gewissenhafte Buch von J. wird daher in vielen Punkten kaum das letzte zum Thema gewesen sein.