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Ausgabe:

Juli/August/1996

Spalte:

676–679

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Dassmann, Ernst

Titel/Untertitel:

Ämter und Dienste in den frühchristlichen Gemeinden.

Verlag:

Bonn: Borengässer 1994. X, 244 S. 8o = Hereditas, 8. Kart. DM 42,-. ISBN 3-923946-26-0.

Rezensent:

Holger Strutwolf

Der Bonner katholische Kirchengeschichtler und Leiter des Franz Joseph Dölger-Instituts zur Erforschung der Spätantike zieht mit der Sammlung seiner Aufsätze zum Thema Ämter und Dienste in den frühchristlichen Gemeinden sozusagen die Summe seiner eigenen, sein ganzes Forscherleben begleitenden Forschungen zur Entstehung der kirchlichen Ämter. Neben vielen schon vorher veröffentlichten Aufsätzen, die für die Aufnahme in die Sammlung, um Wiederholungen zu vermeiden, teilweise leicht gekürzt und jeweils mit einem Anhang, in dem der inzwischen erreichte Diskussionsstand bibliographisch skizziert ist, versehen wurden, sind darüber hinaus auch einige bisher unveröffentlichte aktuelle Beiträge des Autors zum Thema aufgenommen worden. Hierbei ist der katholische Standpunkt des Vf.s in allen Studien deutlich und unverkennbar, betrifft aber, wie D. selbst betont, primär die Bewertung der theologischen Bedeutung der historischen Prozesse, nicht die historisch-kritische Erhebung und Darstellung dieser Entwicklungen selbst.

Der erste Aufsatz "Kirche, geistiges Amt und Gemeindeverständnis zwischen antikem Erbe und christlichen Impulsen" (1-21) gibt mit der Fragestellung, inwieweit bei der Entstehung der kirchlichen Ämter vor allem Umwelteinflüsse oder primär ge-nuin christliche und aus der damaligen sozialen und kulturellen Wirklichkeit unableitbare Impulse am Werk waren, den Grundton des gesamten Buches an: Es geht hier wie im Ganzen darum, die innere Logik und die Legitimität einer organischen und genuinen Entwicklung der kirchlichen Verfassungsstrukturen von den Anfängen bis zur vollen Entfaltung der kirchlichen Hierarchie von Bischöfen, Presbytern und Diakonen zu erweisen. Theologisch partizipierte danach die Ekklesiologie an der Ausgestaltung der Christologie, indem einer kleinen von der Welt kaum beachteten religiösen Gemeinschaft durch die Präexistenzekklesiologie und die Eschatologie kosmisch-universale Bedeutung zugesprochen wurde: "Es dürfte schwerfallen, eine ähnlich entfaltete und differenzierte Vorstellung von einer religiösen Gemeinschaft im Zeitalter des Hellenismus und der Spätantike zu finden, wie sie die frühchristliche Theologie von der Kirche geschaffen hat." (9)

"Sind die kirchlichen Ämter so, wie Jesus sie gewollt hat?" (22-33) versucht ebenfalls, die Legitimität und Unausweichlichkeit der Ausbildung der Ämterstruktur zu untermauern. Ausgangspunkt ist dabei die Vorstellung von der insufficientia scripturae sacrae: Denn nach Dassmann bricht "das Neue Testament - zeitlich gesehen - in einem Augenblick ab, da die Ausbildung der Ämter noch mitten im Fluß ist. Würde man heute versuchen, auf eine neutestamentliche Ämtergestalt zurückgehen, würde man nur ein Durchgangsstadium verabsolutieren" (26). Das Neue Testament liefert nur das allgemeine Kriterium, nach dem jegliches kirchliche Amt im Wesen nicht auf einem Herrschaftsanspruch beruht, sondern Dienst ist (25). Der faktische Weg, den die Kirche der ersten beiden Jahrhunderte gegangen ist, und ihre historische Entwicklung werden, am Beispiel des 1. Klemensbriefes als Übergang von der Charismatikergemeinde zur Amtskirche dargestellt, nicht nur als legitim, d.h. unter Leitung des Heiligen Geistes geschehen, sondern gerade deshalb auch als normativ und irreversibel angenommen. (29-31). Dies ist allerdings, wie Dassmann weiß und betont, "eine dogmatische Aussage und eine Glaubensentscheidung" (32), der evangelische Theologie kaum je wird folgen können.

"Das kirchliche Amt im Widerstreit. Zur Begründung und Entfaltung der Ämter in der frühen Kirche" (34-48) führt die Argumentation weiter und skizziert anhand des 1. Klemensbriefes, der Pastoralbriefe und der Ignatiusbriefe die Entwicklung der Ämter. Über weite Strecken ist allerdings dieser Beitrag eine Dublette des vorangehenden Aufsatzes und es wäre wahrscheinlich besser gewesen, beide zu einem neuen Aufsatz zusammenzuarbeiten.

Mit "Zur Entstehung des Monepiskopats" (49-73) wird ein Artikel wiederabgedruckt, in dem der Vf. die These vorstellte, ob nicht "das Urbild-Abbild-Denken, welches im 4. Jahrhundert wegen der im trinitarischen Dogma differenzierten Gottesvorstellung die theologische Absicherung des monarchisch regierenden weltlichen Herrschers nicht mehr zu leisten vermochte, ungefähr drei Jahrhunderte vorher vielleicht mit Anlaß dafür gewesen ist, die Leitung der kirchlichen Gemeinde auf einen monarchischen Bischof zu konzentrieren" (50).

Daß dies keine einlinig monokausale Ableitung des Monepiskopats sein soll, wird im folgenden Aufsatz "Hausgemeinde und Bischofsamt" (74-95) deutlich, in dem versucht wird, "einen weiteren Aspekt in die Diskussion um die Entstehung des Monepiskopats einzubringen" (75), nämlich die Ableitung des Bischofsamtes aus der Struktur der frühchristlichen Hausgemeinden, in denen dem Hausherr, als pater familias, "aufgrund natürlicher Autorität", zugleich die Leitungsfunktion in der Gemeinde zufiel. "Dann aber liegt es nahe, einen Schritt weiter zu gehen und in den Leitern der Hausgemeinden auch das Gremium zu sehen, das für die Querverbindungen zwischen den Hausgemeinden und den Zusammenhalt der Ortsgemeinde zu sorgen hatte." (85) Wenn nun einer "aus dem Kreis dieser angesehenen ,Ältesten' bzw. Episkopen... den Vorsitz übernähme, Sprecher aller würde... dann wäre der Zustand gegeben, den man ,der eine Bischof in der Ratsversammlung der Presbyter' nennen könnte." (86)

"Die Bedeutung des Alten Testaments für das Verständnis des kirchlichen Amtes in der frühpatristischen Theologie" (96-113) geht der Entwicklung nach, die von der Weigerung der neutestamentlichen Schriften, die "christlichen Amtsträger" nach dem Modell der alttestamentlichen "Priester und Kultdiener" zu verstehen, zur fast vollständigen Übernahme des alttestamentlichen Priesterbegriffs seit der nachapostolischen Zeit führt. Auch hier ist D. bemüht, die Legitimität dieser gegenüber dem Neuen Testament gewandelten Einstellung plausibel zu machen.

"Charakter indelebilis. Anmaßung oder Verlegenheit?" (114-128) hat nicht so sehr den genannten Begriff als vielmehr die darin gemeinte Sache zum Gegenstand und zeichnet die Entwicklung vom freien Charismatikertum zum Amt, das der Vf. nicht als Ersetzung des ersteren durch das letztere, sondern als Weiterleben des Charismas im Amt versteht, nach. Das Ergebnis der Untersuchung ist letztlich das schon von H. von Campenhausen herausgearbeitete, daß nämlich die Lehre vom priesterlichen Charakter nicht "hierarchische Anmaßung" ist, sondern um der Heilsgewißheit der Gemeinde willen die Unabhängigkeit des Sakraments von der Person und Würdigkeit des Priesters betont. D. weist darüber hinaus aber auch auf die dialektische Spannung zwischen "Sein und Sollen", zwischen "Gabe und Aufgabe" hin (125-127).

Diese dialektische Spannung bildet auch das Thema des Aufsatzes "Amt und Autorität" (128-141). Autorität, verstanden "als personale Überzeugungskraft" aufgrund "moralischer oder auch fachlicher (intellektueller) Überlegenheit", stand dabei nach D. im Laufe der Kirchengeschichte ständig in Spannung zu "einem vom Evangelium geforderten Verzicht auf menschliche Qualität oder Leistung als Grundlage für die Wirksamkeit des kirchlichen Dienstes" (132).

"Witwen und Diakonissen" (142-156) fragt nach der kirchengeschichtlichen Entwicklung, die zum Ausschluß der Frauen vom kirchlichen Leitungsamt geführt hat, und deren theologischer Legitimität. Hierbei war offenbar die Entwicklung vom Charisma zum Amt historisch gleichbedeutend mit der Marginalisierung der Frau in der Kirche: Während nämlich das Neue Testament in den charismatischen Diensten keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern kennt, waren die Frauen vom kirchlichen Amt weitgehend ausgeschlossen. Allein das Diakonissenamt ist hier eine gewisse Ausnahme und macht sogar die Entwicklung zu einer "Weihe durch Handauflegung" durch, die aber schnell wieder zurückgedrängt wird. Der Vf. läßt es dabei letztlich offen, ob dieser Ausschluß "gottgewollte Tradition" ist, wobei die "Ämterlosigkeit der Frau und das damit verbundene Minus an direkter Macht in der Kirche" nicht "nur ein Nachteil", sondern vielleicht auch "die Voraussetzung für anders geartete, amtlich ungeschützte, deswegen aber nicht geringere Wirkungsmöglichkeiten" sein könne (154), oder "nachträgliche Diskriminierung" darstellt, die zu beseitigen ist.

"Diakonat und Zölibat" (157-170) geht von der seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil im Rahmen der Erneuerung des Diakonats als eines ständigen Amtes eröffneten Möglichkeit aus, auch verheirateten Männern diese Weihe zu spenden, und zeigt, daß in der Kirchengeschichte die Diakone immer derselben Zölibatsverpflichtung unterlagen wie die Priester. Der Vf. gibt dann zu bedenken, "daß die für den Diakon als nicht zwingend erachteten Gründe", nämlich die kultische, allein durch Ehelosigkeit oder eheliche Enthaltsamkeit zu realisierende Reinheit als Voraussetzung des sakramentalen Diensten, "für Bischöfe und Presbyter dieselben waren", so daß "die Beibehaltung und Begründung des priesterlichen Zölibats... durch die neue Regelung noch schwieriger geworden" sei (167 f.).

Der Aufsatz "Priestermangel in der frühen Kirche?" (171-189) zeigt auf, daß es einen solchen nicht gegeben hat, weil das kirchliche Amt trotz Verfolgung und zölibatärer Zugangsbeschränkung immer attraktiv war, so daß es nie wirkliche Probleme mit der Rekrutierung des Nachwuchses, wohl aber mit der Auswahl von geeigneten Bewerbern gegeben hat.

"Bischofsbestellung in der frühen Kirche" (191-211, vorher unveröffentlicht) stellt das Zusammenwirken der verschiedenen Instanzen und Kompetenzen (nämlich des Ortsklerus, der Gemeinde und der Mitbischöfe) bei der Bischofsernennung und ihre Entwicklung in der Geschichte dar.

"Die frühchristliche Tradition über den Ausschluß der Frauen vom Priesteramt" (212-224, bisher unveröffentlicht) setzt sich mit der als "definitive" bezeichneten päpstlichen Entscheidung der Epistula Apostolica Ordinatio sacerdotalis vom 22.5.1994, nach der die "Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden", kirchengeschichtlich auseinander, in-dem es die "Traditionsgründe untersucht", "die zu ihrer Unterstützung herangezogen werden". Zwar will D. der lehramtlichen Entscheidung nicht explizit widersprechen, meint aber dennoch, daß diese Traditionsgründe, wenn sie "einer kritischen Prüfung nicht stand" halten sollten, "eher die Bereitschaft" schwächten, "einer lehramtlichen Weisung zu folgen, als daß sie sie stärken" (213). Das Ergebnis dieser Prüfung fällt nun allerdings im wesentlichen negativ aus, sollte also die Bereitschaft, dem päpstlichen Entscheid zu folgen, eher vermindern. Der Autor selbst resümiert sein Ergebnis wie folgt: "Ob die Nichtberücksichtigung der Frauen bei dieser Entwicklung... auf die providentielle Führung des Heiligen Geistes zurückgeht oder Folge des gesellschaftlichen Umfeldes ist,... ist historisch nicht zu beantworten. Hier hat Ordinatio sacerdotalis inzwischen definitive entschieden." (224)

"Entstehung und theologische Begründung der kirchlichen Ämter in der frühen Kirche. Ein zusammenfassendes Schlußwort" (225-233) faßt die Grundlinien der von D. in den hier veröffentlichten Aufsätzen dargestellten Entwicklungen nochmals prägnant zusammen.

Ein Register, in dem biblische und patristische Belegstellen ineinander verwoben erscheinen, schließt den Band ab.

Obwohl die Beiträge dieses Sammelbandes einen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren übergreifen, fügen sie sich erstaunlich gut zu einem einheitlichen Gesamtentwurf zusammen. D. hat mit dieser Aufsatzsammlung eine gut lesbare, historisch fundierte und theologisch engagierte Darstellung der Geschichte der kirchlichen Ämter vorgelegt, in der die historische Genese der altkirchlichen Ämter, aber auch die Aporien einer gegenwärtigen Verantwortung des katholischen Amts- und Kirchenverständnisses deutlich werden.