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Ausgabe:

September/1996

Spalte:

843–845

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Lenzenweger, Josef, Stockmeier, Peter (), Bauer, Johanes B., Amon, Karl u. Rudolf Zinnhobler [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Geschichte der katholischen Kirche. 3., verb. u. erg. Aufl.

Verlag:

Graz-Wien-Köln: Styria 1995. 597 S. gr. 8o. Lw. öS 490,-. ISBN 3-222-12316-0.

Rezensent:

Hubert Kirchner

Es darf durchaus als Erfolg verbucht und als Zeichen dafür genommen werden, wie nötig das Buch war und ist, daß dieses "Lehr- und Lernbuch der Kirchengeschichte" nunmehr in 3. Auflage vorliegt (vgl. zur ersten Auflage ThLZ 113 [1988], 121f.). Dabei zählt freilich der Umstand besonders, daß eine spezielle Studienausgabe für die DDR, 1990 gerade noch in de-ren letzten Wochen erschienen, aber gleichwohl schnell vergriffen, als zweite Auflage gewertet wird.

Der gegenüber der ersten Auflage nur geringfügig erweiterte Umfang zeigt, daß sich die Eingriffe in den bisherigen Bestand in verhältnismäßig engen Grenzen halten. Sie sind zum großen Teil redaktioneller Art: Umstellungen einiger Stücke, gelegentliche Neuformulierungen und besonders im ersten Teil die Beseitigung der sonst nicht üblichen Anmerkungen (statt dessen Nachweise innerhalb des Textes) und die Wiedergabe griechischer Begriffe in lateinischer Umschrift, wodurch sicher größere Einheitlichkeit gewonnen, aber wohl kaum auch der Gebrauchswert insgesamt gesteigert werden konnte. Stärker ins Gewicht fallen verschiedene Textveränderungen und -erweiterungen, am deutlichsten in dem Kapitel, das der Reformation gewidmet ist, ohne daß man freilich auch hier sagen könnte, daß das Ganze damit wesentlich gewonnen hätte. Der Abschnitt "Calvin und die Anfänge des Calvinismus" ist aber immerhin nunmehr auf drei Seiten ausgebaut worden und damit schon eher akzeptabel. (Daß Michael Servet zu denen gehörte, die Calvin "im Wege standen", als er ",seine' Theokratie in Genf durchzusetzen versuchte" [367], wird man aber beim besten Willen nicht sagen können.) Wichtig ist auch die knappe Weiterführung der Darstellung über die Überwindung des Eisernen Vorhanges hinaus bis in die neunziger Jahre hinein, zumal auch hier kritische Akzente nicht fehlen, so wenn der Durchblick mit einem Ausblick ins nächste Jahrtausend schließt, angesichts dessen es "zur Hauptaufgabe der Kirche gehören" wird, "das heute absolut dominierende hierarchische Prinzip mit dem demokratischen (synodalen) zu versöhnen, zumindest zu ergänzen" (477), wofür der "überreiche Fundus" der Kirchengeschichte und besonders der Konziliengeschichte gute Dienste leisten könnte.

Aus dem gegebenen Anlaß heraus, daß das Buch offensichtlich gute Chancen besitzt, in seiner Kategorie Standardbedeutung zu gewinnen, sei es erlaubt, auf zwei Punkte noch einmal eigens hinzuweisen: Nach wie vor allzu marginal behandelt ist die ökumenische Dimension der Kirche. Die wenigen Stellen, an denen diese in den Blick kommt, vor allem bei den entsprechenden Beratungen des II. Vatikanischen Konzils, bezeugen ein sehr distanziertes Verhältnis, das sich schon in den gewählten Begriffen ausspricht, so z. B., wenn von den "Bemühungen kirchlicher Gemeinschaften" die Rede ist, "einen ,Ökumenischen Rat der Kirchen' (ÖRK)" zu gründen (454). Daß in dem relativ ausführlichen Schlußkapitel "Kirchliches Leben in der modernen Welt" ( 166) die Ökumene als ein dieses Leben mit- bestimmender Faktor schlicht nicht existiert, daß kein Wort darüber verloren wird, daß sich die römisch-katholische Kirche verpflichtend in ein weit gespanntes Netz zwischenkirchlicher Beziehungen, theologischer Dialoge und praktischer Zusammenarbeit begeben hat, bedeutet schon eine arge Verkürzung gerade auch des modernen kirchlichen Lebens.

Dafür gibt es allerdings - und das wäre der andere Punkt - auch einen triftigen Grund: Die verschiedenen Facetten kirchlichen Lebens, die hier dargestellt werden, - Themen sind u. a. katholische Parteien, soziale Bestrebungen, Laienfragen, Bi-schöfe und Priester, allgemeine Frömmigkeit, Feste, Maria und überhaupt die Heiligenverehrung, liturgische Bewegung, Bibelbewegung - werden ohnehin nur an wenigen Stellen und mit allzu pauschalen Bemerkungen, die dem Erneuerungsprozeß nicht gerecht werden, über die Schwelle des II. Vatikanischen Konzils hinausgeführt. Das aber bedeutet: Das gesamte "kirchliche Leben in der modernen Welt" wird weithin noch mit dem Bilde einer nicht nur längst vergangenen, sondern auch theologisch überholten Epoche beschrieben. Und dieses Manko wird auch nicht durch den gezielten Hinweis auf weiterführende Untersuchungen ausgeglichen und damit zumindest das Problem angedeutet. So fehlt im Literaturnachweis, der natürlich stark auswählen muß, das inzwischen unter der Leitung von E. Gatz gerade für diesen Bereich zum Standardwerk gewachsene Opus "Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem Ende des 18. Jahrhunderts" (seit 1991). Und dieses Defizit betrifft auch die weltweite Dimension der Kirche. Über die lateinamerikanische Theologie der Befreiung erfährt man gerade, daß es im derzeitigen Pontifikat "langwierige Auseinandersetzungen" gibt (477) - kein Wort davon, daß hier im Grunde die römisch-katholische Kirche eines ganzen Kontinents - und darüber hinaus! - um ihren Weg ringt. Es sollten doch wenigstens die unterschiedlichen Ansätze und Positionen deutlich gemacht werden, aufgrund derer es zu "Auseinandersetzungen" kommt, damit Problembewußtsein wachsen kann - die für ein "Lehr- und Lernbuch" doch wohl wichtigste Aufgabe.

Es muß bei diesen wenigen Beispielen sein Bewenden haben. Sie mögen zeigen, daß die seinerzeit schon geäußerten Vorbehalte leider auch jetzt noch wohlbegründet scheinen. Angesichts vieler gelungener Kapitel einerseits und des offensichtlichen Bedarfs einer solchen, auf engen Raum gefaßten Darstellung, der sicher anhalten dürfte, andererseits, wäre zu wünschen, daß sich Herausgeber und Autoren dazu entschließen, manche Partien doch gründlicher zu bearbeiten, um auch tatsächlich den Dienst mit erfüllen zu können zur Lösung der "Hauptaufgabe", den man selber angeboten hat.