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Ausgabe:

September/1996

Spalte:

842 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Lehmann, Hartmut

Titel/Untertitel:

Alte und Neue Welt in wechselseitiger Sicht. Studien zu den transatlantischen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1995. 272 S. gr.8o = Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 199. Lw. DM 59,-. ISBN 3-525-35433-9.

Rezensent:

Eric W. Gritsch

Der ehemalige Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Washington D. C. veröffentlicht hier zwanzig Studien (drei in englischer Sprache) im Rahmen von drei Zentralthemen: 1. "Aneignung und Distanzierung im Bereich nationaler Symbole und Traditionen" (mit je einer Studie über die amerikanische Columbusinterpretation und das amerikanische Geschichtsbild des preußischen Barons Friedrich Wilhelm von Steuben, der 1777 nach Amerika kam und sich militärische Verdienste erwarb, und 4 Studien über die amerikanische Lutherrezeption). 2. "Chance und Grenzen einer Kooperation in der Geschichtswissenschaft" (mit vier Studien über deutsche Geschichtswissenschaft als amerikanisches Vorbild, über das amerikanische Europabild, über die Beziehung zwischen der deutschen und amerikanischen Geschichtswissenschaft und über die Entstehung und Bedeutung des politischen Slogans "sechzig Millionen Amerikaner deutscher Herkunft". 3. "Transatlantische Religionsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts" (mit sechs Studien über Religionsfreiheit, Einfluß des deutschen Pietismus in Amerika, anti-katholische und anti-protestantische Propaganda, amerikanische Kirchengeschichtsschreibung, Reform- und Verfallserscheinungen im amerikanischen Christentum und ein Argument für Zusammenarbeit in der gemeinsamen Religionsgeschichte.)

Besonders eindrücklich sind die Studien über Luther in Amerika (mit einem Seitenblick auf Australien), besonders die Bedeutung der Lutherjubiläen von 1883 und 1917. Der Sammelband bereichert, wie ein gut arrangierter Blumenstrauß, nicht nur den Einblick in die Eigenheiten der deutschen und amerikanischen Geschichtsschreibung, sondern korrigiert auch bestehende historiographische Stereotypen über Prozesse des Rezipierens, des Sich-Aneignens und Integrierens. In diesem Sinne will das Buch, im Urteil des Autors, eine Fortsetzung der Arbeit von Dietrich Gerhard sein (Alte und neue Welt in vergleichender Geschichtsbetrachtung, Göttingen, 1962), die ebenfalls vergleichende Studien als Erkenntnisse der Vorurteilsforschung vorlegte. Es enthält Forschungsresultate, die in zwei Jahrzehnten entstanden sind und mit wissenschaftlichem Einfühlungsvermögen wie auch in klarem Stil dargeboten werden. Deutsche und amerikanische Leser werden in diesem Sammelband eine neue Sicht alter Erfahrungen entdecken, gespickt mit historischen Details (wie z. B. die Erfahrungen des ausgewanderten württembergischen Pietisten Michael Hahn, der zu Beginn des 19. Jh.s seine Auswanderung mit Endzeiterwartungen verband). Lutherforscher werden mit einigem Erstaunen lesen, daß man 1883 Luther und George Washington als Verteidiger nationaler Unabhängigkeit und geistiger Freiheit feierte - "ohne Luther in Deutschland hätte es in Amerika keinen Wa-shington gegeben". Ebenfalls erstaunlich ist das Phänomen der Lutherstatuen in Washington D. C. und Baltimore, wo man den Reformator als deutschen Nationalhelden feierte und nach der Enthüllung der Statue im Jahre 1936 einen Blumenkranz mit Hakenkreuz niederlegte.