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Ausgabe:

Mai/1996

Spalte:

446–448

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Humbert, Jean-Baptiste, et Alain Chambon

Titel/Untertitel:

Fouilles de Khirbet Qumrân et de Aïn Feshkha. I: Album de photographies. Répertoire du fonds photographique. Synthèse des notes de chantier du P. R. de Vaux.

Verlag:

Fribourg: Éditions Universitaires; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1994. XV, 411 S. m. 538 Abb., 1 Porträt, 4o = Novum Testamentum et Orbis Antiquus, Series Archaeologica 1. Lw. DM 220,-. ISBN 3-7278-0940-X u. 3-525-53970-3.

Rezensent:

Alexander Maurer

Im Jahr 1947 tauchten einige Handschriften in Jerusalem auf. Vom 15.2.-5.3.1949 fand die Ausgrabung der Höhle (1Q) statt, in der diese Schriftrollen ursprünglich gelegen hatten. Auf der Suche nach dem einstigen Kontext dieser Funde stießen die Siedlungsreste und Friedhöfe der ca. 1,3 Kilometer südlich von 1Q gelegenen Ruine von Qumran auf besonderes Interesse. Deren Ausgrabung führte schließlich in den Jahren 1951-57 (in Zusammenarbeit mit der jordanischen Antikenbehörde) die École biblique et archéologique française de Jérusalem durch. Vorläufige Berichte des Ausgräbers Père Roland de Vaux OP (1904-1971) erschienen in der Revue Biblique 60 (1953), 83-103; 61 (1954), 206-236; 63 (1956), 533-577 sowie zur Ausgrabung von Aïn Feshkha 66 (1959), 225-255. Schließlich legte de Vaux eine erste zusammenfassende Darstellung im Rahmen der Schweich Lectures of the British Academy 1959 vor: L'archéologie et les manuscrits de la mer Morte, London 1961, Revised Edition in an English Translation, London 1973.

Der vorliegende Band ist der erste von geplanten fünf, die nunmehr der endgültigen und kompletten Dokumentation der Ausgrabungen von Qumran und Aïn Feschkha am Nordwestende des Toten Meeres gewidmet sind, nachdem ursprünglich als "volume spécial" der Reihe Discoveries in the Judaean Desert nur ein Band erscheinen sollte, der "donnera les résultats de la fouille mené dans la ruine de Khirbet Qumrân" (RB 63, 1956, 51; dieser Plan wurde offenkundig aufgegeben). Bd. 2 wird die Keramik enthalten, Bd. 3 Objekte aus Stein, Glas, Metall und anderen Materialien, Bd. 4 die Münzen, Inschriften und Graffiti und Bd. 5 eine zusammenfassende Behandlung des archäologischen Befundes.

Im Namen der École biblique et archéologique française de Jérusalem haben die Archäologen J.-B. Humbert und A. Chambon zunächst 538 ausgewählte Grabungsphotographien zusammen mit 48 Gesamt- und Detailplänen herausgegeben. Nach der Einführung in die Bearbeitung der Grabungsbefunde (IX-XI) sowie einem Vorwort zu den Hintergründen der Publikation und zum Überblick über das Dokumentationsmaterial (XIII-XV) befaßt sich der erste Teil mit der Qumran-Siedlung (3-188), der zweite (189-227) mit deren Umgebung: dem Wadi Qumran, der davon ausgehenden Anlage zur Wasserversorgung, den Höhlen mit Schriftrollenfunden und den Friedhöfen. Der dritte Teil (229-272) ist der ca. 3 Kilometer südlich von Qumran gelegenen Ansiedlung Aïn Feshkha sowie einer kleinen Anlage noch weiter südlich (Khirbet Mâzen) gewidmet und architektonischen Resten zwischen Aïn Feshkha und Qumran, vor allem einer Mauer, die die beiden Anlagen verband. Den Band beschließt ein "Index documentaire" (273-411). Er enthält zunächst ein Verzeichnis der für diesen Band ausgewählten Photographien (275-287), die hier ergänzend zu den Bildunterschriften noch einmal separat nach ihrer topographischen Orientierung aufgeschlüsselt sind, und eine Liste der Planskizzen (289). Es folgt (291-368) die eigenhändige Zusammenfassung des Grabungstagebuchs durch de Vaux und (369-411) die Aufschlüsselung sämtlicher Architekturphotographien der Grabung (Errata: Das Photo Nr. 1241 [392] stammt aus dem Oktober 1957 [statt: 1954] und seine PAM-Nr. ist 42.491 [statt: 40.491], cf. The Dead Sea Scrolls on Microfiche: A Comprehensive Facsimile Edition of the Texts from the Judean Desert, ed. by Emanuel Tov, Leiden, New York, Köln 1993, Companion Volume, S. 87. Die PAM-Nummern der Photos Nr. 1274 [Abb. 466] und Nr. 1275 [Abb. 8] sind vertauscht [392]).

Die Lage der auf einer Mergelterrasse gelegenen Ruine von Qumran (als flache Siedlungsruine Khirbeh genannt) wird von außerordentlich schönen Photographien, z.T. aus der Luft, z.T. auch vom Oberlauf des Wadi Qumran aus, dokumentiert. Vom zuletzt genannten Standpunkt blickt man in Abb. 2 (Aufnahme: Jean Starcky 1955) auf den Grabungsort, den die Sonne durch ein Loch in der Wolkendecke bescheint. Die Luftaufnahmen, auf denen die Zelte der Ausgräber wie Pilze erscheinen (Abb. 4; 8; 9), stammen weitgehend von der jordanischen Luftwaffe (JAF, z.B. Abb. 4; 9; 10; 384; 442-444, cf. 402 f.). Zusammengesetzte (Panorama-)Aufnahmen geben einen sehr guten Eindruck von der Lage des Terrains (Abb. 3; 302; 413; 415). Allerdings ist Abb. 247 aus drei einzelnen Photographien falsch zusammengesetzt worden: Die beiden Teile der unteren Hälfte muß man gegeneinander austauschen (cf. Abb. 246; 248). Manche Abb. (2; 5; 478; 481) dokumentieren, daß das Tote Meer zur Zeit der Ausgrabungen wegen des höheren Wasserspiegels noch näher an Qumran und Aïn Feshkha heranreichte. Das ist insbesondere für die Interpretation von Aïn Feshkha wichtig, wenn es sich dabei um eine Rohleder-Produktionsstätte gehandelt haben sollte (cf. Hartmut Stegemann, Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus, Freiburg 41994, S. 55-58).

Zusätzlich zu den reproduzierten älteren Dokumenten sind von den Hgg. neu beigesteuert worden (191-200) die Abb. 392-412 und die Pläne Nr. XXIXf zum Wadi Qumran sowie zur Wasserversorgung: "Enfin la note sur l'adduction d'eau en amont du khirbeh est de notre cru, puisque que nous n'avons retrouvé aucun texte qui la documentait." (XIV)

Nur sehr wenige Aufnahmen sind (mit Ausnahme von Höhle 4Q) von den Höhlen in der und um die Mergelterrasse herum überhaupt vorhanden. Soweit sie in einem der Publikation würdigen Zustand sind, wurden sie abgedruckt, so z.B. Abb. 433-435 (208 f.) zu den Höhlen 5Q und 9Q.

Die Lage des Nord- und des Zentralfriedhofs mit den nach Norden (d.h. nach der Vorstellung der Essener zum Paradies) ausgerichteten Einzelgräbern ist hervorragend Abb. 8, mit noch größerer Auflösung Abb. 442 zu entnehmen. Man kann darauf sogar die während der Grabung geöffneten Gräber erkennen. Steht man dagegen heute an Ort und Stelle, dann sind nicht nur die über den Gräbern errichteten Steinsetzungen oft kaum noch wahrzunehmen, sondern man kann auch die Gesamtanlage nur dann erahnen, wenn man weiß, wonach man Ausschau zu halten hat. Unter den geöffneten Gräbern fallen Nr. 17-19 und 32 f. auf - wegen der nur dort gefundenen Särge, in denen die Leichname bestattet wurden. So bietet S. 223 mit Abb. 464-466 und Planskizze Nr. XXXVIII z.B. den Befund des Grabes 18. Leider wurde auf der Querschnittzeichnung der Holzsarg vergessen. Abb. 466 zeigt Sarg und Skelett nach der Restaurierung, wie sie sich heute in den Magazinen des Rockefeller-Museums in Jerusalem befinden.

Der Abschnitt über Aïn Feshkha ist von besonderem Interesse, weil das Terrain heute unzugänglich ist und die Ruine nie restauriert wurde (cf. zum schlechten Erhaltungszustand S. 403). Sie liegt heute unter Büschen im Bereich einer Badeanlage am Ufer des Toten Meeres.

In den Planskizzen (mit Ausnahme der älteren Pläne Nr. III-VI; XLII f. hervorragend gezeichnet von A. Chambon) ist es durch die Verwendung schraffierter Pfeile gelungen, den Aufnahmestandort und Blickwinkel der den arabischen Ziffern entsprechenden Photographien zu reproduzieren. Dieses Verfahren macht eine präzise Identifizierung möglich, hätte allerdings erläutert werden müssen. Die Pläne zeigen die Räume der Ruine, sog. loci, wie sie beim Freilegen zutage traten; denn in den Jahren der Ausgrabung von Qumran ging man noch nicht nach bestimmten Planquadraten mit strenger stratigraphischer Orientierung vor. Diese loci sind aber nicht einfach unterschiedliche Bereiche auf einer horizontalen Ebene, sondern geben auch schon Hinweise auf die von de Vaux erhobene Stratigraphie.

So ist z.B. der Planskizze Nr. XI zu entnehmen, daß in den Besiedlungsphasen Ib und II der locus 30 ein einziger großer Raum war. Nach einem
Umbau in der III. Periode befinden sich dort die loci 15; 16; 20 und 21. Die Seiten 11-14 bieten zum besseren Überblick ein Verzeichnis der loci, die man mit Hilfe eines Koordinatensystems in den Planzeichnungen Nr. III-VI (15-18) wiederfindet (cf. für Aïn Feshkha S. 237 und Plan Nr. XLIII [234]). Neue Nummern wurden an von de Vaux nicht bezifferte loci vergeben, nämlich Khirbet Qumran Nr. 145-152 und Aïn Feshkha Nr. 30-36. Die loci werden im Grabungstagebuch dann unter Angabe des Grabungstages einzeln durchgegangen und die gefundenen Objekte und Münzen aufgelistet. Dabei behielten die Hgg. die grobe drei-Phasen-Einteilung von de Vaux (wg. zweier Zerstörungsschichten) bei, wenngleich die stratigraphische Ordnung und die absolute Chronologie der Besiedlungsphasen immer noch einige Rätsel aufgeben. Deren Lösung ist für den abschließenden Band 5 der Publikation vorgesehen.

Die Veröffentlichung der originalen Grabungsnotizen ist aus zwei Gründen besonders verdienstvoll. Zum einen, weil die Notizen Père de Vaux's zum Teil nur schwer verständlich sind ("De tempérament impulsif, il notait ses impressions selon un code d'abréviations qu'il s'était forgé." [XIV]) und von den Hgg. in lesbaren Stil umgeschrieben werden mußten. Und zum anderen, weil auf diese Weise die unmittelbaren Informationen der Ausgrabung - ohne Deutungen aus zweiter Hand - der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnten. So geben manche Aufzeichnungen Erwägungen von de Vaux zu verschiedenen Möglichkeiten der Befunddeutung wieder, Hypothesen werden durchgespielt, deren Für und Wider diskutiert (cf. z.B. zu locus 8 und 8A, S. 294 f.). Neben allerlei archäologischen Einzelheiten treten dem Leser an manchen Stellen auch einmal die alltäglichen Umstände der Grabung vor Augen: Am 6./7. März 1956 gab es bei den Ausgrabungen der Höhle 11Q "Difficultés avec le moteur électrique" (44). Und wer würde nicht gerne an einem heißen Arbeitstag auf Khirbet Qumran seinem Tagebuch eine Bemerkung hinzufügen können wie jene vom 23. Februar 1954 (340): "À 8 heures du soir, orage, grand vent et pluie pendant une demi-heure".

Ein Index könnte die Arbeit mit den Grabungsaufzeichnungen erleichtern, ohne der endgültigen Interpretation von Details oder Objekten vorzugreifen (etwa mit Stichworten wie Ofen, Tür, Brandspuren o.ä.). Eine gute Übersicht über die gefundenen - inzwischen größtenteils verschollenen - Münzen gibt bereits E.-M. Laperrousaz, Qoumrân. L'établissement Essénien des bords de la Mer Morte. Histoire et archéologie du site, Paris 1976, 149-154.

Auf den Spuren von Roland de Vaux Schritt für Schritt der Freilegung dieser viel diskutierten, nicht zuletzt wegen der mit ihr im Zusammenhang stehenden Schriftrollen-Fundhöhlen so interessanten Siedlung der Essener am Toten Meer zu folgen, bereitet ein ebenso großes Vergnügen, wie dem Ausgräber über die Schulter ins Grabungstagebuch zu schauen, ein Vergnügen, das man jedem an Qumran, den Essenern oder einfach an einer außerordentlichen Ausgrabung am Nordwestende des Toten Meeres Interessierten empfehlen möchte ("Se souvient-on que la fouille qui commence là en 1949, est la première de quelque envergure dans le bassin de la mer Morte... ?" [X]). Der vorliegende Band ist fast vierzig Jahre nach Abschluß der Grabung ein archäologischer Meilenstein, zudem verlegerisch glänzend betreut. Ihm und seinen mit Spannung erwarteten Folgebänden ist höchste Aufmerksamkeit gewiß.