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Ausgabe:

Juni/1996

Spalte:

582 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Steiger, Johann Anselm

Titel/Untertitel:

Bibel-Sprache, Welt und Jüngster Tag bei Johann Peter Hebel. Erziehung zum Glauben zwischen Überlieferung und Aufklärung.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1994. 380 S. gr.8o = Arbeiten zur Pastoraltheologie, 25. ISBN 3-525-62334-8.

Rezensent:

Gottfried Adam

Kürzlich hat Rainer Wunderlich mit seiner gelehrten Arbeit über "Johann Peter Hebels ,Biblische Geschichten'" (Göttingen 1990) die biblischen Geschichten Hebels einer intensiven Analyse im Blick auf die Gattung Bibeldichtung unterzogen. Nun legt Johann Anselm Steiger eine weitere Untersuchung zu Johann Peter Hebel vor. Dabei geht es ihm ebenfalls um die Bibel und Bibelsprache, nun aber im Blick auf das literarische Gesamtwerk Hebels.

Es ist in der bisherigen Forschung verschiedentlich auf die biblische Sprachprägung in Hebels Werk hingewiesen worden. Eine eingehende Untersuchung fehlt aber bislang. Der Grund liegt möglicherweise darin, daß das Interesse an der mundartlichen Prägung seiner Sprache stärker war und so den anderen Aspekt in den Hintergrund treten ließ. Der Autor schließt diese Forschungslücke, indem er in seiner Untersuchung der Frage nachgeht, wie die biblische Sprachwelt in Hebels Werk wirksam wurde und wie die Rezeption biblischen Sprachmaterials mit seiner Theologie in Verbindung steht. Auf diesem Wege will der Autor zugleich einen Zugang zu Hebels Theologie finden.

Im Einleitungsteil werden zunächst Stand und Geschichte der theologischen Hebel-Forschung referiert und analysiert. Dabei geht es einerseits um den Zusammenhang von biblischer Sprache und Hebels Sprache und andererseits um die theologiegeschichtliche Einordnung und die Frage der inhaltlichen Gestaltung seiner Dogmatik. In Anknüpfung an Beobachtungen Walter Eisingers und Uli Dästers, daß Hebel von der Hoffnung auf die ewige Heimat herkommend fähig war, dieselbe in die jetzige Heimat zu transponieren, deren Prolepse aufzuzeigen und sie so gewissermaßen in die jetzige hinabzuziehen, will Steiger untersuchen, wie sich Hebels narrativ-poetisch umgesetzte Eschatologie biblisch-theologisch speist, um so zu einer Differenzierung, ja Korrektur, der Ansicht Dästers zu gelangen, Hebels Jenseitsglauben sei unreflektiert, kindlich vertrauensvoll und unabhängig von jeder Theologie und Dogmatik. Steiger will zeigen, daß Hebel durchaus theologisch reflektierte und dabei weder die alten Lehrinhalte unbesehen repristinierte noch über der Aufklärung die Inhalte vergessen habe.

Sein Vorhaben führt J. A. Steiger so durch, daß er die Thematik in zwei Schritten angeht. In einem ersten Kap. behandelt er die "Bibel-Sprache und Welt: Hebels Hermeneutik des Buches der Natur". In einem zweiten Kap. geht es um "Jüngster Tag und Bibel-Sprache: Hebels Eschatologie und deren homiletische und narrative Umsetzung". Am Ende werden in siebenundzwanzig Thesen die Ergebnisse der Arbeit noch einmal gebündelt und im Blick auf die verschiedenen praktischen Handlungsfelder zusammengefaßt (342-345).

Von der These ausgehend, daß die Eschatologie die Basis für alle theologischen loci, sozusagen das theologische Rückgrat, darstelle, wird untersucht, wie Hebels eschatologisch ausgerichtete Hermeneutik des Buches der Natur in schöpfungs- und vorsehungstheologischer Hinsicht gestaltet wird. Die These des Autors wird am Textmaterial unterschiedlicher literarischer Gattungen (Predigten, Briefe, Kalendergeschichten) erprobt und einsichtig gemacht.

Angesichts der damaligen Verbreitung der rationalistischen Physiko-Theologie ist Hebels Verhältnis zu ihr zu untersuchen. Im Gegenüber zur Physiko-Theologie arbeitet Steiger heraus, daß und in welcher Weise Hebel in seinen Predigten auf die Bibel zurücklenkt und daß er von daher eine Kritik an der rationalistischen Physiko-Theologie übt. Dies geschieht aber nur implizit und wird in der Öffentlichkeit nicht deutlich ausgesprochen. Steiger postuliert, daß man wohl sagen dürfe, so wie Hebel mit seiner Wiederentdeckung der Eschatologie gerade nicht Kind seiner Zeit sei, so treffe dies auf seine Theologie der Natur zu, "die weder als in Abhängigkeit von der Physiko-Theologie seiner Zeit stehende noch als bloß biedermeierliche oder romantische verbucht werden kann" (64). Was solchermaßen grundsätzlich geäußert wird, sieht dann in der Konkretion so aus: "Was tut Hebel? Er heftet das Buch der Natur gewissermaßen hinter Apk 22 in den biblischen Buchdeckel hinein und erkennt per analogiam fidei (Rö 12,6) die Bibel in den Sternen wieder. Hebel befreit sich von dem deistischen dictum probans in Rö 12,1 und mahnt implizit Rö 12,6 an" (66).

Dem Autor gelingt sein Erkenntnisfortschritt, indem er auf die Sprachformen und ihre Leistungen achtet. So kann er in der Tat auch aufzeigen, wie Hebel in seinen Kalenderbeiträgen klassische dogmatische Inhalte, etwa die Lehre von der providentia Dei, in narrativ-homiletischer Form neu zur Sprache zu bringen vermag. Dem korrespondiert, daß auch sonst Hebel eine ausgesprochene Begabung besaß, wissenschaftliche Sachverhalte, beispielsweise neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse, in schlichte Erzählungen einzuweben. So überrascht die Herausarbeitung des Sachverhaltes, daß die Bibel-Sprache - näherhin die Luthersche Bibelsprache - das sprachliche Fundament in allen Werken Hebels bildet, nicht.

Galten die Untersuchungen von Kap. I den Fragen von Natur, Vorsehung und Pädagogik, so geht es in Kap. II um Hebels Eschatologie und deren homiletische und narrative Umsetzung. Auch hier werden wiederum Predigten, Briefe und Kalendergeschichten analysiert. Der Kalendergeschichte vom "Unverhoffte(n) Wiedersehen" kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Sie ist nach Steiger diejenige Kalendergeschichte, in der Hebel seine Eschatologie am breitesten expliziert (Textwiedergabe im Anhang: 347-349). Freilich wird daran auch deutlich, wie zurückhaltend Hebel in der erzählerischen Umsetzung dogmatischer Inhalte ist.

Hebels Theologie wird häufig der zeitgenössischen "Normaltheologie der Spätaufklärung" zugerechnet. Er wird als gemäßigter Rationalist oder Physikotheologe eingestuft. Auch wird er bisweilen als unkritischer Heimatdichter abgetan. Der vorliegenden Untersuchung gelingt m. e. im Blick auf solche "Vorurteile" der Nachweis, daß Hebel auch als Theologe ernstzunehmen ist. Daß seine Theologie ihr Zentrum in der Eschatologie hat, ist eine spannende These, der weiter nachzugehen sein wird. Daß bei Hebel ein starkes Interesse an Pädagogik und einem Bildungsverständnis besteht, in welchem das humanistische und das volksaufklärerische Interesse miteinander verbunden sind, wird auch durch diese Untersuchung erneut bestätigt. Künftig wird man Hebel nicht mehr als "üblichen Durchschnittstheologen seiner Zeit" charakterisieren können. Darin liegt der entscheidende Erkenntnisfortschritt dieser Arbeit.