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Ausgabe:

Juni/1996

Spalte:

577 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Herder, Johann Gottfried

Titel/Untertitel:

Theologische Schriften. Hrsg. von Ch. Bultmann u. Th. Zippert.

Verlag:

Frankfurt/M.: Deutscher Klassiker Verlag 1994. 1240 S. 8° = Johann Gottfried Herder Werke, 9/1. Bibliothek deutscher Klassiker, 106. Lw. DM 172,-. ISBN 3-618-60793-8.

Rezensent:

Michael F. Möller

Die theologischen Schriften J. G. Herders erscheinen als Teilband 9/1 der zehnbändigen Werkausgabe. Ausgewählt sind sieben Texte, darunter zwei Predigten aus der Rigaer Zeit. Die Frühschrift "Der Redner Gottes" von 1765 eröffnet die Auswahl. Zentrale Stellen nehmen die Schrift "An Prediger. Fünfzehn Provinzblätter" von 1773/74 und die "Briefe, das Studium der Theologie betreffend" (1779) (zusammen 2/3 des Textteils) ein. Aus der fünfteiligen Sammlung der Christlichen Schriften sind "Vom Erlöser der Menschen" (1793) und "Von Religion, Lehrmeinungen und Gebräuchen" (1798) in den Band aufgenommen. (Eine ausführlichere Auswahl ist 1994 im Wartburg Verlag Weimar und Jena von H. v. Hintzenstern herausgegeben worden.) Schriften zum Neuen Testament sind aus "Raumgründen" (876) nicht ausgewählt worden, das ist vor allem in Bezug auf das 1779 erschienene Werk "Maranatha. Das Buch von der Zukunft des Herrn, des Neuen Testaments Siegel" bedauerlich. Ebenso ist die Auseinandersetzung mit Spinoza in "Gott - Einige Gespräche" (1787) nicht zu den theologischen Schriften gezählt worden. Das hängt wohl mit der Gesamtkonzeption der Werkausgabe zusammen. Die übliche Teilung des Werkes Herders in theologische und philosophische Schriften ist jedoch problematisch. Insofern ist es besonders wichtig, daß in diesem Band des öfteren auf den Zusammenhang zwischen philosophischen und theologischen Schriften hingewiesen wird (so u. a. 896, 928).

Nicht sehr glücklich ist auch die Trennung der Schriften zum Alten Testament (Band 5) von den theologischen Schriften. Im vorliegenden Band wird auf diese Entscheidung nicht eingegangen. In Bezug auf diesen Band ist verwunderlich, daß "den Herausgebern im Rahmen dieser Ausgabe" die Aufnahme von weiteren Predigten als "entbehrlich" erscheint (876), obwohl in der Einleitung auf Herders Interesse an der Berufspraxis hingewiesen wird (870). Die "schon damals wachsende Entfremdung und mangelnde Kooperation zwischen Interessen und Kommunikationsformen von Universität und kirchlicher Praxis" (1160) wird durch diese Entscheidung nur unterstrichen. Das steht auch im Widerspruch zur allgemeinen Hochschätzung der Predigttätigkeit Herders, die bekanntlich selbst von Schiller (in einem Brief an Körner vom 12. August 1787) gerühmt wurde.

Der Kommentarteil beginnt mit einem kurzen, von Zippert verfaßten Artikel zu "Herder als Theologe", in dem darauf hingewiesen wird, "daß sich von Herders Theologie aus sein Gesamtwerk erheblich besser erschließt." Z. beklagt, daß Herder "weitgehend aus dem Blickfeld der Theologie entschwunden" sei (861). Daß die theologischen Schriften als erster Teil des vorletzten Bandes der Werkausgabe erscheint, zeigt, daß auch Germanisten, Philologen und Philosophen der Theologie nicht die Schlüsselstellung in der Herder-Interpretation zuweisen, die Z. in Anspruch nimmt. Dennoch ist es zu begrüßen, daß mit diesem Band einige der theologischen Schriften nicht nur zugänglich gemacht, sondern auch erschlossen werden.

Herders theologiegeschichtliche Bedeutung besteht nach Z. darin, daß sein Werk "eine wesentliche Voraussetzung für die Weite und Tiefe der Systementwürfe der philosphisch-theologischen Idealismus" (861) darstelle. Somit sei Herder "eine Brücke zwischen Orthodoxie und Idealismus" (865). Auf Herders pietistische Erziehung wird kurz hingewiesen, der Einfluß von pietistischer Theologie, besonders wichtig in der Bückeburger Zeit vor allem durch den Einfluß von Gräfin Maria Barbara, wird nicht genügend gewürdigt. Hier scheint der Vf. der Einschätzung H. Stephans zu folgen, der schon in seinem 1905 erschienen Buch "Herder in Bückeburg" urteilt: "trotz seiner persönlichen Beziehung zu vielen Pietisten (bekämpfte Herder) doch die Eigentümlichkeit ihrer Geistesrichtung" (a.a.O., 116).

Als besondere theologische Leistung Herders wird hervorgehoben, daß er "die grundlegende Funktion der Schöpfungslehre und der darin implizierten Anthropologie zurückgewonnen" habe (872).

Nach einer kurzen Begründung der Auswahl werden die einzelnen Schriften ausführlich kommentiert. Zunächst wird die Textgrundlage und Entstehung der Schrift erläutert. Es folgt eine Zusammenfassung von "Gestalt und Gehalt", für die längeren Schriften (4-7) auch ein Hinweis auf die Wirkung. Besonders hilfreich ist der ausführliche Stellenkommentar, der den Hauptteil des Kommentars ausmacht. Hier werden dem Leser wichtige Informationen für das Erschließen des Textes gegeben.

Die Kritik an einigen herausgeberischen Entscheidungen schmälert nicht das Verdienst der Hgg., einige der theologischen Texte Herders einem breiteren Publikum zugänglich gemacht zu haben.