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Ausgabe:

Juni/1996

Spalte:

574–577

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

(1) Eckermann, Willigis und Achim Krümmel [Hg.] (2) Eckermann, Willigis und Achim Krümmel

Titel/Untertitel:

(1) Repertorium annotatum operum et translationum S. Augustini. Lateinische Editionen und deutsche Übersetzungen (1750–1920).
(2) Johann Alfons Abert (1840–1905). Ein unbekannter Augustinusübersetzer aus dem 19. Jahrhundert.

Verlag:

(1) Würzburg: Augustinus 1992. XXXV, 552 S., 4 Taf. 8o = Cassiciacum, 43,1. DM 138,-. ISBN 3-7613-0166-9.
(2) Würzburg: Augustinus 1993. XXXI, 210 S. m. Abb., 1 Farbtaf. 8o = Cassiciacum, 43,3. Kart. DM 58,-. ISBN 3-7613-0170-7.

Rezensent:

Alfred Schindler

Willigis Eckermann ist Augustinerpater und Professor an der Universität Osnabrück (Standort Vechta). In der Augustin-Forschung ist er vor allem durch seine Edition und weitere Arbeiten zum Sentenzenkommentar Hugolins von Orvieto OESA (14. Jh.) bekannt geworden. Seit 1988 verfolgt er ein neues, ebenfalls der Wirkungsgeschichte Augustins gewidmetes Projekt, und zwar auf einem bisher wenig bearbeiteten Gebiet: die Augustinus-Rezeption im 19. Jh. Assistiert von dem Historiker Dr. Achim Krümmel hat er bisher zwei Bände als Ergebnis der neuen Forschungstätigkeit vorgelegt, beide als Teilbände XLIII,1 und XLIII,3 der in Würzburg erscheinenden Reihe Cassiciacum.

Es ist zwar sinnvoll, beide Bände in einer Rezension anzuzeigen, aber dem "Repertorium" kommt natürlich eine ungleich größere Bedeutung für die internationale Augustinus-Forschung zu als der Abert-Biographie. Wann der Teilband II mit der "Darstellung der Rezeption augustinischer Gedanken" (XLIII,1, S.V) erscheinen kann, ist derzeit nicht bekannt.

Innerhalb des heutigen Angebots von "Instrumenta Studiorum" der Augustin-Forschung - vor allem die CD-ROM-Konkordanzen - schließt dieses Buch eine echte Lücke. Wer sich wissenschaftlich forschend oder unterrichtend mit dem Kirchenvater befaßt, stößt im deutschen Sprachraum ziemlich bald auf große Hindernisse. Außer für die Confessiones und De civitate dei und einige wenige andere Werke hat man, falls man überhaupt fündig wird, mit deutschen Übersetzungen große Schwierigkeiten, und Editionen der Originaltexte sind ebenfalls recht verstreut und in einzelnen Fällen schwer auffindbar. Die üblichen Hilfsmittel - am besten der inzwischen abgeschlossene erste Band des Augustinus-Lexikons - erlauben zwar einen Zugriff auf Neueres, aber der Mangel - seit eh und je! - einer vollständigen deutschen Augustin-Übersetzung und das Fehlen einer vollständigen Edition aus unserem Jh. erwiesen sich bis zum Erscheinen des Repertoriums von Eckermann und Krümmel als ständiges Hemmnis beim Zugriff auf den vollständigen Augustin.

Das Grundkonzept des Repertoriums überzeugt: Der Zeitraum ist über die Grenzen des 19. Jh.s hinaus ausgedehnt auf einen Teil der Aufklärungszeit und reicht bis 1920, also gerade noch bis zur zweiten Auflage der "Bibliothek der Kirchenväter". Eröffnet wird die Liste der Gesamtausgaben richtigerweise mit der Mauriner-Ausgabe und ihren Nachdrucken (bis Migne). Dann folgen Teil- d. h. Auswahlausgaben, Ausgaben aller Werke einzeln, einige der bekanntesten unechten Werke - für die Wirkung "Augustins" ein wichtiger Faktor! - und die Florilegien. Sodann präsentieren die Autoren in einem zweiten Hauptteil die deutschen Übersetzungen, wieder nach derselben Anordnung, um am Schluß auf die (für diesen Zeitraum) einzige, nie publizierte Bibelstellen-Konkordanz einzugehen, die seinerzeit Anna de Lagarde für ihren Mann (Paul Anton de Lagarde, 1827-1891, Orientalist, Prof. in Göttingen) anfertigte. Das Repertorium gibt alle nötigen Informationen sowohl bibliographischer Art (inkl. Nachweis mindestens einer Standortsignatur in einer Bibliothek) als auch zu den Biographien der Editoren und Übersetzer. Durch Querverweise und ein an das Augustinus-Lexikon angelehntes Sigel-System der (echten) Augustin-Werke ist der Gebrauch als Nachschlagewerk einfach.

Den Schluß bilden statistische Angaben mit Listen und kurzen Kommentaren. Sie ersetzen natürlich nicht, was in Band II folgen sollte, eine geistesgeschichtliche Einordnung und Weiterführung, und man findet z. B. auch nicht eine Frequenzliste, aus der direkt entnommen werden könnte, daß die Confessiones mit ca. 20 Editionen und ca. 25 Übersetzungen bei weitem an der Spitze stehen, gefolgt von De catechizandis rudibus im Lateinischen mit 18, im Deutschen mit nur 7 Ausgaben, d. h. vor De civitate dei (lateinisch 10, deutsch 4 Ausgaben), aber übertroffen von den drei pseudo-augustinischen Schriften Meditationes, Soliloquia, Manuale mit 7 lateinischen und 22 deutschen Ausgaben. Solche Informationen kann (und muß) sich der Benützer relativ schnell selbst zusammensuchen. Andererseits zeigen die Listen, wie sehr z.B. bei den Übersetzungen die katholischen Ausgaben dominierten, somit natürlich auch Geistliche als Hg. oder Übersetzer, während es andererseits heißt: "Der größte Teil der im Deutschen Reich erschienenen lateinischen Ausgaben dagegen wurde im protestantischen Leipzig gedruckt...". "Die Rolle Leipzigs als Zentrum der Wissenschaften im Deutschland des 19. Jh.s zeigt sich hier besonders deutlich" (530). Allerdings überwiegen die katholischen Editoren trotzdem noch (47, gegenüber 10 Protestanten, 10 Anglikanern und 55 konfessionell nicht mehr identifizierbaren Editoren). Da der erste Hauptteil über die lateinischen Ausgaben nicht auf den deutschen Sprachraum beschränkt ist, ergeben sich auch statistische Vergleiche mit anderen europäischen Ländern. (Daß Nord- und Südamerika fehlen, erscheint mir seltsam.) Demnach fallen auf das Deutsche Reich 112, Österreich-Ungarn 43, die Schweiz 2 (!?) und das übrige Europa 98 lateinische Editionen.

Alles in allem ist mit diesem Handbuch für den deutschen Sprachraum eine Grundlage geschaffen, auf der die Wirkung Augustins vorzüglich erforscht werden kann. Einen wichtigen Beitrag leistet es durch die Berücksichtigung der Florilegien, die auch einen der Wege zur Erforschung der zahllosen echten (und vor allem unechten!) Augustin-Zitate eröffnen könnten, denen man bis heute allenthalben begegnet.

Im einzelnen gibt es an dem umfangreichen und komplizierten Werk mancherlei zu kritisieren, und bei längerer Benutzung merkt man zwar auch, wie alles seine Ordnung hat, aber auch, wo etwas, meist winzige Details, nicht ganz stimmt. Zwei Kritikpunkte seien angefügt, die mehr allgemeiner Natur sind:

Der Bildschmuck ist epochengemäß ausgewählt, interessant und trotzdem nicht aufdringlich, aber eben deshalb nicht er-schöpfend, schwerlich repräsentativ und vor allem: nicht erläutert. Man hätte besser daran getan oder müßte noch planen, einen eigenen Ikonographie-Band herauszubringen, in Fortführung anderer Arbeiten, vor allem der Bände von J. und P. Courcelle.

Mit dem Siegel "AL" und einer Nummer sind die Werke alle gekennzeichnet und als Gliederungselemente des Katalogs auch gut auffindbar. Weshalb dann aber im lateinischen und nochmals im deutschen Teil die verlorenen Werke getreulich aufgeführt werden (mit "deperditus", natürlich ohne Angaben über Editionen u. dgl.), die im gewählten Zeitraum nie edierten oder/und nicht übersetzten Werke aber einfach fehlen, ist nicht recht einzusehen. Wer einfach nachschlägt, ist erst einmal verwirrt. Nur ganz am Schluß, auf S. 531 f., kann man eine nicht ganz fehlerfreie Aufzählung dieser "Negativ-Nummern" finden: 40 Werke wurden nie übersetzt, 17 nie ediert (von den Gesamtausgaben abgesehen).

Es wurde schon darauf hingewiesen, daß nie eine Übersetzung der gesamten Augustin-Werke auf Deutsch erfolgte. Diese Feststellung ist hinsichtlich dessen richtig, was im Druck erschien. Im Repertorium sind nun aber auch die ungedruckten Übersetzungen eines Mannes verzeichnet, der möglicherweise alle Augustin-Werke übersetzt hat. Erhalten ist freilich nicht die Übersetzung des Gesamtwerkes, sondern (in der Bibliothek des Augustinerklosters in Münnerstadt) nur diejenige von ca. 60 echten und einigen unechten Werken, aber immerhin etwa 40 sonst nie auf Deutsch übersetzte Werke, einschließlich eines großen Teils der damals bekannten Briefe. Der Übersetzer war Pater Johann Alfons Abert, der von 1840 bis 1905 lebte und dem Münnerstädter Konvent der Augustiner-Eremiten angehörte. Seine Übersetzungen sind offensichtlich direkt auf Grund (leider!) der Löwener Ausgabe aus dem Urtext hingeschrieben und nicht von einer Qualität, die es Späteren gestattet hätte, die Manuskripte mehr oder weniger unbesehen zum Druck zu bringen. Die Abertschen Übertragungen können künftigen Übersetzern als Anregungen nützlich sein, aber die vollständige Durcharbeitung und Neuübersetzung der Texte machen sie leider nicht überflüssig.

Die Monographie über Abert ist ein interessantes Werk und ein Mosaikstein in der Geschichte des deutschen Katholizismus und der Ordensgeschichte in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s. Insofern paßt sie in die Zielsetzung des Forschungsvorhabens "Augustin im 19. Jahrhundert" hinein. Leider muß man feststellen, daß Abert nur mit Vorbehalten für irgendwie "typisch" gehalten werden kann. Er war ein höchst eigenwilliger Mann, der mit seiner Augustin-Verehrung und -Kenntnis Ideen verband, die ihn weder als Neuscholastiker noch als Modernisten, nicht als Kulturkämpfer und nicht als Kryptoprotestanten, weder als konservativen Nationalisten noch als Kommunisten ausweisen - und alles doch ein bißchen. Einen unbändigen Haß hegte er gegenüber den Jesuiten, deren Einfluß er die weitgehende Dekadenz der (katholischen) Kirche zuschrieb, während er für die Reformation Verständnis aufbrachte und in Augustin und dem Orden der Augustiner die biblische und unverfälschte kirchliche Form des Glaubens und Christenlebens wahrnahm. Seine für einen Priester, Religionslehrer und Ordensmann verdächtigen Auffassungen blieben halbwegs verdeckt innerhalb seiner Ordensgemeinschaft. Aber seine Schüler merkten sehr wohl, daß sie es mit einem zwar irgendwie genialen, aber auch schrulligen Lehrer zu tun hatten. Und das bischöfliche Ordinariat Würzburg untersagte ihm 1890 (bis zu seinem Tod), Beichte zu hören und zu predigen.

Die Biographie Aberts aus der Feder von Eckermann und Krümmel ist lesenswert, solide dokumentiert und im Rahmen des heute noch Möglichen bzw. Rekonstruierbaren erschöpfend. Daß dennoch immer neues Material auftauchen kann, hat Eckermann selbst durch einen aufschlußreichen Nachtrag im COR UNUM, der Zeitschrift der deutschen Augustiner, in einem Artikel gezeigt (52. Jg., 1994, H.3/4, 66-76). Dort erfolgt der Abdruck eines erst nach der Buchveröffentlichung entdeckten Briefes des Augustiner-Ordensgenerals P. Clemens Fuhl von 1932, in welchem dieser sich der Veröffentlichung einer Abert-Biographie widersetzte. Der Plan, den ein ehemaliger Schüler Aberts gefaßt hatte, wurde damals jedenfalls nicht ausgeführt. Man wollte nichts beschönigen, aber das Andenken an Abert auch nicht nachträglich schädigen. Daß man heute anders denkt und die Konsequenzen gezogen hat, ist sehr zu begrüßen.