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Ausgabe:

Juli/August/1997

Spalte:

711 f

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Stock, Alex

Titel/Untertitel:

Keine Kunst. Aspekte der Bildtheologie.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 1996. 192 S. m. 5 Abb., gr.8. Kart. DM 38,-. ISBN 3-506-70828-7.

Rezensent:

Hildrun Keßler

In einer Zeit, wo leer werdende kirchliche Gebäude verkauft oder umfunktioniert werden, wen kümmern da schon Bilder? In einer Zeit, wo wir einer wahren Bilderflut ausgesetzt sind, ästhetische Liebhaber statt Tempel Museen aufsuchen, was ge-ben Bilder noch zu denken?

Das Verhältnis der christlichen Religion zur bildenden Kunst ist seit alters schwierig. Durch das jüdische Erbe (sc. Bilderverbot) und die Konfrontation mit dem Heidentum haftet Bildern die Konnotation des Idolischen an. Von der Spätantike bis in dieses Jahrhundert hinein wollen Reformbewegungen die Rolle der Bilder verringern. Die Rezn. fragt sich, was mit dem eigenwilligen Titel: Keine Kunst wohl gemeint ist.

Welche Rolle spielen neben Wort und Sakrament die Bilder in der Gottesverehrung? Ist die bildende Kunst nicht schon längst aus der Theologie in die Kunstwissenschaft ausgewandert? - Diesen Fragen geht der Vf. im vorliegenden Aufsatzband nach. Unter dem Titel "Keine Kunst" entwirft er "Aspekte der Bildtheologie". Absicht des Bandes ist es, die von St. seit 1986 verstreut veröffentlichten aphoristischen, exemplarischen und/oder lexikonhaft-komprimierten Beiträge über Bildtheologie leichter zugänglich zu machen. Der vorliegende Aufsatzband möchte das 1991 ebenfalls bei Schöningh erschienene Buch "Zwischen Tempel und Museum. Theologische Kunstkritik. Positionen der Moderne" ergänzen und das dort begonnene Gespräch weiterführen. Dem Werk ist eine Bibliographie der bildtheologischen Veröffentlichungen des Vf.s und ein Namensregister angefügt. Weitere Literaturangaben sind den Fußnoten zu entnehmen.

Der Vf. schlägt einen weiten thematischen Bogen: Die An-fangskapitel I. Wozu brauchen Christen Bilder? (11-21); II. Bilderstreit als Kontroverse um das Heilige (22-44); III. Die Ehre der Bilder (45-51) erörtern die byzantinischen und lateinisch-mittelalterlichen Bilderstreitigkeiten des 8./9. Jh.s. Die byzantinischen und karolingischen Bildtheologien werden von Thomas von Aquin und Johannes Damascenus aufgenommen und weitergeführt. Dem kirchengeschichtlich interessierten Leser werden in komprimierter Form die unterschiedlichen Positionen vorgetragen. Kann angesichts einer bildlosen und unsichtbaren Gottesvorstellung eben dieser Gott in sinnlich-anschaubaren Bildern verehrt werden? Führt das nicht unwillkürlich zur paganen Idolatrie, von der man sich gerade abgrenzen wollte?

Die Bilderstürme der Reformation - IV. Bilder in der Reformationszeit (52-66) - werden anhand des V. Kölner Bilderstreites 1543 (67-80) exemplifiziert. Von der versöhnlichen Sicht Johannes Goppers haben spätere Bildprogramme profitiert. Gopper suchte die bilderverehrende Volksfrömmigkeit des 16. Jh.s mit dem wahren Glauben an Gott zu vereinen.

Das VII. Katholische Kunstgespräch in der Moderne? (83-104) hat den Weg zur Liturgiereform des II. Vaticanums - VIII. Die Bilderfrage nach dem II. Vaticanum (105-117) - bereitet. Der Artikel "Katholisches Kunstgespräch in der Moderne" faßt die weitaus umfassendere Darstellung in St.s Buch "Zwischen Tempel und Museum" zusammen. Moderne Kunst soll nunmehr dem Glauben dienen; sie soll ihre Kraft, Sinnlichkeit und Materialität dahingehend entfalten, daß sie den menschlichen "Geist zu Gott erhebt". (109) Die Mitte bildet jedoch die Eucharistie feiernde Gemeinde. Bilder erhalten dagegen eine sekundäre Bedeutung; sie verkommen zur bloßen Dekoration im sonst geordneten und gestrafften Kirchenraum.

Eine Zäsur markieren die folgenden Artikel: IX. Vom Widerstand der Bilder (118-122); X. Tempel der Toleranz. Zur Musealisierung der Religion (123-128); XI. Ist die bildende Kunst ein locus theologicus? (128-135) Hier gibt der Vf. thesenartig Rechenschaft über seine bildtheologische Position. "Die Kunst ist der Schrift voraus" (119) - zu diesem Resümee kommt der Vf. in der Analyse moderner Kunst. Bilder illustrieren nicht mehr nur Texte, sie dienen nicht allein der christlichen Lehre und sind Wort und Sakrament nachgeordnet, vielmehr treiben sie eigenständig Theologie. Dem aufmerksamen Be-trachter eröffnen sich unbekannte, nie dagewesene Einsichten. Im Bild steht man dem "Anderen, Fremden gegenüber, der Gott ist und der Nächste" (121).

Die abschließenden Kapitel wenden sich praktisch-theologischen Feldern zu: Der Abschnitt XII. Religionspädagogischer Bildergebrauch (136-142) möchte vor der vorschnellen Vernutzung von Bildern in der Pädagogik warnen. Didaktische Hinweise werben um ein Aufmerksamwerden für Bilder. Der Gebrauch verschiedener Symboltheorien im Umfeld von Kunstwerken wird im Artikel XIII. Bild und Symbol (143-156) entfaltet. Der Frage nach dem Ort des Heiligen gehen die beiden abschließenden Aufsätze nach: XIV. Heilige Stätten (157-167); XV. Gotteshaus und Kirchgang (168-183). Weshalb pilgern Menschen immer wieder zu heiligen Stätten? Bilder und Reliquien lokalisieren die Suche nach dem Heiligen an einem Platz. In einer Zeit der Dislokalisierung und Entwurzelung, der Mo-bilität und Heimatlosigkeit sehnen Menschen sich nach einem haltenden Raum, nach neuen Räumen für Spiritualität. So münden die "Aspekte der Bildtheologie" in einer Theologie des Raumes - welche Rolle spielen Bilder in ihr? Der Vf. nimmt hierbei das Kunstgespräch mit der Poesie auf.

Aus dem englisch-anglikanischen Raum werden Gedichte von Ronald Stewart Thomas und Philip Larkin untersucht. Auch hier vollzieht sich ein Wechsel: Der Kirchenraum (und nicht mehr die Gottesdienst feiernde Gemeinschaft) eröffnet dem Eintretenden die verschüttete und bedrohte religiöse Erfahrung. Der Kirchenraum als heiliger Ort zieht die Frömmigkeit aus der Privatsphäre in einen öffentlichen Raum.

Keine Kunst? St. zeigt, daß die bildende Kunst stets der Theologie und dem Kultus nachgeordnet wurde. Dagegen plädiert er für die theologische Eigenständigkeit von Bildern: Keine Kunst, sondern Bildtheologie.