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Ausgabe:

September/1996

Spalte:

865 f

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Möbius, Friedrich

Titel/Untertitel:

Der Himmel über der Erde. Kosmossymbolik in mittelalterlicher Kunst. Im Auftrag der Evang. Akademie Thüringens hrsg.

Verlag:

Leipzig: Evang. Verlagsanstalt 1995. 128 S. , 24 S. m. 38 Abb. 8o. ISBN 3-374-01567-0.

Rezensent:

Helga Neumann

Der vorliegende kleine Sammelband ist das Resümee einer Tagung, die 1994 in Thalbürgel stattfand. Kunsthistoriker und Theologen trafen sich, um über die verschiedenen Aspekte des mittelalterlichen Himmelsglaubens zu referieren. Das Programm wurde ergänzt durch dichterisch-meditative Texte, die in einer Auswahl mit in den Band aufgenommen wurden.

Bernhard Lang untersucht unter dem Titel: "Ewiges Glück im Jenseits - Perspektiven des Mittelalters und der Renaissance" die Lehre vom ewigen Leben des Thomas von Aquin und die des Lorenzo Valla. Der Vf. stellt dabei die unterschiedlichen Auffassungen zwischen der Scholastik und der beginnenden Renaissance heraus. Finden sich bei Thomas das Glück und die Seligkeit nur in der Nähe von Gott, so rücken bei Lorenzo Valla und der nachfolgenden Tradition seiner Geisteshaltung das subjektive Glücksgefühl des Menschen in den Vordergrund. Erst im Jenseits gelangen alle Wünsche und Hoffnungen zur Vollendung, während Gott eher den Hintergrund, als das Zentrum dieser himmlischen Welt bildet.

Die Benediktinerin Renate Becker zeigt im Rahmen einer Bildmeditation über die Fresken der Krypta in der Abtei Marienberg (Südtirol) "Wo der Himmel im Alltag nistet - und der Alltag im Himmel geborgen ist". Sie macht deutlich, daß in der Tradition des Ordens durch die Verbindung von Liturgie und Arbeit die Trennung zwischen dem Himmlischen und dem Irdischen weitgehend aufgehoben ist. Die Mönchsgemeinde und ihr Kloster stehen in vertrauter Komunikation mit der Gemeinschaft der Heiligen und mit dem himmlischen Jerusalem.

Das Thema von Johannes Zahlten: "Das Bild des Himmels in der Schöpfungsikonographie aus der Sicht mittelalterlicher Na-turwissenschaftler" kann notgedrungen auf den wenigen Seiten nur fragmentarisch behandelt werden. Die Auswahl der Beispiele ist sicher repräsentativ, aber natürlich nicht vollständig. Ein Quellenverzeichnis und ein Literaturverzeichnis am Ende des Artikels können dem interessierten Leser jedoch weiterhelfen.

Mit der Geschichte astrologischer Bilder im Mittelalter stellt der Autor Dieter Blume die negative Haltung des Christentums gegenüber der Astrologie heraus. Augustinus tut sie geradezu als Aberglaube ab. Da jedoch die Beobachtung der Planeten und ihre Stellung zueinander für jede exakte Kalenderberechnung unverzichtbar war, mußte sich die Wissenschaft der Astrologie durchsetzten, wenn auch vorerst nur auf dem engbegrenzten Bereich der Kathedralschulen. Bildliche Darstellungen finden sich zuerst in Handschriften, die dem staufischen Kaiserhof nahestehen, später hauptsächlich in kommunalen Repräsentationsgebäuden.

Wieder unter einem völlig anderen Aspekt behandelt Peter Dinzelbacher den Himmel. Er untersucht den Himmelsaufstieg der Seele nach Bildern und Texten des Mittelalters. Visionsberichte spiegeln die anthropologischen Grunderfahrungen vom Übergang in eine andere Welt wider, der meist als Flug oder Wanderung empfunden wird. Brücke oder Leiter,aber auch geleitende Engel,sind Hilfsmittel für diesen Übergang.

Etwas abseits des Gesamtthemas scheint die Abhandlung von Johanna Flemming über die Darstellungen des Lebensbaumes in der altchristlichen und mittelalterlichen Kunst zu stehen. Da der Baum des Lebens jedoch meist gleichbedeutend mit dem Begriff des Paradies und dem ewigen Leben gebraucht wird, gehört auch diese Abhandlung zur Himmelsthematik.

Von Friedrich Möbius wird die mittelalterliche Sakralarchitektur in den großen Zusammenhang der Kosmosvorstellungen einbezogen. Grundsteinlegung und Orientierung der Bauten weisen über die eigentliche technische und praktische Bedeutung hinaus. Sie machen sie zu "kosmischen Häusern, in denen der Himmel anwesend ist." Die Behauptung von Möbius,daß die frühen Kirchen nahezu ausnahmslos Ostportale besaßen, ihre Altäre also im Westen standen, hätte größere Überzeugungskraft, wenn er mehr Beispiele als den Jerusalemer Tempel und die alte Peterskirche in Rom angeführt hätte.

Die Beiträge des vorliegenden Bandes beleuchten auf äußerst anregende Weise die verschiedenen Aspekte des Themas, und gerade die unterschiedlichen Ausgangspunkte machen die Lektüre lohnend und interessant.