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Ausgabe:

September/1996

Spalte:

864 f

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Kucharz, Thomas

Titel/Untertitel:

Theologen und ihre Dichter. Literatur, Kultur und Kunst bei Karl Barth, Rudolf Bultmann und Paul Tillich.

Verlag:

Mainz: Grünewald 1995. 388 S. gr.8o = Theologie und Literatur, 4. DM 62,-. ISBN 3-7867-1839-3.

Rezensent:

Uwe Gerber

Die Frage nach christlichen (theologischen) Motiven in der Literatur ist öfter bearbeitet worden. Hier wird umgekehrt und über bloße Literaturrezeption hinaus gefragt, welche Spuren Literatur im Leben und im Werk von Barth, Bultmann und Tillich hinterlassen haben. Diese drei Theologen bieten sich an, weil sie in der damaligen "Krise der Theologie" den Kulturprotestantismus hinter sich ließen und ihn in ihren Ansätzen einer "Theologie der Krise" zugleich als bleibenden Hintergrund behielten, so z. B. in Barths "Römerbrief", in Bultmanns Existential-Theologie, in Tillichs Diskurs mit dem religiösen Sozialismus (19-32).

Der Gelegenheitsdichter, Pfarrer und Professor Barth hatte eine besondere Beziehung zu dem "Krisenautor" Dostojewski, diesen zu Wort bringend und ihn zugleich theologisch "funktionalisierend" (35-101). In Mozarts Musik fand Barth von Kind an den Urton aller Musik - ein Gleichnis für das Evangelium. Doch, so fragt der Vf., ist dies nicht eine völlig subjektive Umgangsweise mit der Sprachform Gleichnis, um "das subjektive Empfinden" unangreifbar und verallgemeinerbar zu machen. "Hat Jesus in dieser Weise Gleichnis hörbar oder sichtbar gemacht?" (161). An Zuckmayers Werken schätzte Barth "die Abwesenheit des Mephistopheles" und "die priesterliche Funktion" (neben der prophetischen Funktion) als "analogische Teilnahme am priesterlichen Amt Christi". Literatur (und im weitesten Sinne Kultur und Bildung) ist bei Barth im Medium des Gleichnisses von Christus her und auf ihn "eingebaut", also einerseits christologisch gleichsam gebrochen, weil auf der Ebene des Natürlichen, und andererseits aber "humanistisch" ausgerichtet, ohne freilich "natürliche Theologie" zu werden, wie Barth in der "Lichterlehre" ausgeführt hatte.

Bultmann las zeitlebens schöne Literatur, dialogisierte mit Dichtern, Schriftstellerinnen wie Huch, Kaschnitz, schrieb selbst Gedichte, spielte Klavier, hatte in Frau und Töchtern Sängerin und Instrumentalistinnen, besuchte Galerien usw. (165-234). Er gebrauchte Literatur zur "Bestätigung und (als) Beispiel, Veranschaulichung und Konkretion eines behaupteten Sachverhaltes auf allen Ebenen theologischen und kerygmatischen Redens" (230). Systematisch durchgeführt bedeutet dies, daß Religion und Kultur streng zu unterscheiden sind (wie Gesetz und Evangelium): "Religion macht den Menschen zum Menschen, nicht die Kultur. Diese ist ,nur' um des Menschen willen da und niemals umgekehrt. Hier lauert ständig Gefahr für das Individuum" (248). Deswegen kann es keine religiöse Kunst geben, nur Kunst mit religiösen Themen (258) - im Gegensatz zu Barths "Königsherrschaft Christi" hier als Zwei-Reich-Lehre. Der Vf. fragt an, ob durch diese Parallelisierung von Religion und Kultur nicht eine Abwertung der "Kulturgebiete" geschehe (259 f.).

Bei Tillich steht die Literatur hinter der Malerei (bes. Expressionismus), Architektur, Theater (265-291). In der Literatur suchte er die aktuelle Geisteslage aufzuspüren oder mit ihrer Hilfe menschliche Grundhaltungen zu verdeutlichen (291). Im Symbol der Grenze liegt der fruchtbare Ort von Religion und Kultur; in der "Theonomie" ist der Gegensatz von Religion und Kultur "aufgehoben" (307); Religion ist "Richtung" (Gehalt, Substanz, Antwort) innerhalb der Kultur (Form, Frage) und diese transzendierend (309), wobei sich Tillichs Fragestellung von der Sinn-Frage zur Seins-Frage in der "Systematischen Theologie" verschoben hat (Bd. III, 176 ff.).

Abschließend: Barth hat in der Literaturrezeption zwar von 1934 "Steinbruchmethode" bis 1967 "Zuschreibung eines prophetischen und priesterlichen Amtes" eine Entwicklung durchgemacht, aber von seiner Position der Zweifelsfreiheit aus könnte Theologie auch ohne (das Gleichnishafte der) Kunst betrieben werden (443 f.). Bultmann stand (als der am meisten mit Literatur umgehende) in der Gefahr, Literatur auf Philosophie zu reduzieren. Und Tillich sah in der Literatur (Kunst) einen Seismographen für die Situation der Menschen. Kunst brachte für alle drei Theologen und bringt Konfrontation, Grenzen und Aufhebung von Grenzen, neue Lebensräume und Brüche - als "Symbol transzendierender Möglichkeiten und Wirklichkeiten", aber niemals als die Transzendenz selbst, so der Vf. (354). Darum gewinnt die Theologie ihrerseits am meisten, wenn sie sich auf den Dialog mit Literatur einläßt. Und ein anregendes Beispiel stellt diese Tübinger Dissertation (bei J. Moltmann und K.-J. Kuschel) dar.