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Ausgabe:

Juli/August/1997

Spalte:

708–710

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Cottin, Jérôme

Titel/Untertitel:

Le regard et la Parole. Une théologie protestante de l'image.

Verlag:

Genéve: Labor et Fides 1994. 342 S. 8 = Lieux Théologiques, 25. ISBN 2-8309-0740-X.

Rezensent:

Bernd Schröder

Cottin geht es um die theologische Würdigung des Bildes - einerseits in kritischer Revision traditioneller protestantischer Bilderskepsis, andererseits im Blick auf den Bedeutungswandel von Bildern in der modernen (westlichen) Gesellschaft. Somit unterscheidet er zwei Problemebenen, die Verhältnisbestimmung von Wort (Gottes) und Bild sowie die von Protestantismus und Moderne (8), die beide in der Leitfrage der Untersuchung festgehalten sind: Was bedeutet es, Kirche des Wortes (Gottes) in einer Bild-bestimmten Gesellschaft zu sein (7)? Die eigenen Optionen legt C. dabei gleich offen: Es gilt s. E., sowohl die herkömmliche Aversion gegen Bilder zu überwinden (8 f.) als auch sich ,positiv', d. i. kritisch, aber konstruktiv, in die Moderne und die Diskussion der Wissenschaften einzubringen (9 f.).

Im ersten Teil profiliert C. unter der Überschrift ,Das Bild als Gegenstand kultureller und sozialer Praxis' (23-83) das Bild gegenüber Wort und Schrift. Dabei bezieht er sich systematisch auf strukturalistische und postmoderne französische Philosophie (Roland Barthes, Jean Baudrillard u. a.; 25 ff.) und arbeitet in geschichtlicher Perspektive die Erfindung der Photographie, später die der Massenmedien als qualitativ revolutionierende Etappen der Bildkultur heraus (37 ff., bes. 46 ff.). Derzeit steht das Bild in Folge dessen in der Gefahr, zum bloßen "Zeichen, das man konsumiert" (56) degradiert zu werden, die Gesellschaft in derjenigen, eine alles visualisierende "societé du spectacle" (Guy Debord, 61 Anm.25) zu sein.

Theologisch ist dies als ,Herausforderung' anzunehmen (77ff.): Den üblichen ästhetischen gilt es durch einen ethischen bzw. asketischen Zugang zu Bildern zu ersetzen (78). Massenmedien sind - mit Girgio Girardet - kritisch zu nutzen; die subversive (nicht zuletzt gemeinschaftliche und prophetische) Dimension des Evangeliums ist in ihnen zur Geltung zu bringen (81).

Der zweite Teil betrachtet "das Bild in der Perspektive einer trinitarischen Theologie" (87-218). Das Bilderverbot setzt nach C. dem Gebrauch von Bildern Grenzen, verhindert ihre Vergot-tung (117 ff.), und bietet so Grundkriterien einer "Ethik des Bildes" (138 ff.). Christologisch läßt sich begründen, daß das Bild - der Predigt gleichwertig - kerygmatisch zu wirken (169), ja, "visuelles Kerygma" zu sein vermag (ebd.). Entscheidende theologische Kategorie zur Bewertung der Bilder ist nach C. jedoch der Heilige Geist. Er ermöglicht deren theologische Deutung, eröffnet aber keinen Weg vom Bild zu Gott (210): Es ist nicht so, "daß das Bild ,den Unsichtbaren zu sehen' erlaubt, vielmehr so, daß es der Unsichtbare ist, der die Bilder sehen lehrt" (211). Von daher ist von einer "Theologie in Bildern" ("théologie en images"), nicht aber einer "Theologie des Bildes" ("théologie de l'image") zu sprechen (211).

Im dritten Teil ("Eine Neubewertung des Bildersturms der Reformation", 221-314) rekonstruiert C. das faktische und theologische Gewicht von Bildern am Vorabend der Reformation (exemplarisch anhand von Zürich) und skizziert die Positionen Luthers und Calvins (weniger Zwinglis).

Angesichts von Luthers Defiziten in Sachen ,Bild' (283) knüpft C. an Calvins Ansätze einer theologischen Ästhetik an (286. 302 ff.): Die Schönheit der Schöpfung ist nach Calvin Spiegel und Zeichen Gottes (302), entschlüsselbar ist dies allerdings nicht per natürliche Theologie (305), sondern nur vom Glauben bzw. Wort her (308 ff.). Alle drei Reformatoren lehnten nur kultisch gebrauchte Bilder scharf ab, akzeptierten jedoch andere Verwendungsweisen von Bildern (313) - sofern ihre Verwiesenheit auf Sprache und das Wort Gottes erkennbar bleibt (314). C. hält daran fest.

Im Schlußteil (315-326) optiert C. für ein doppelgleisiges Verstehen von Bildern als "menschliche und spirituelle Realität" (315). Vom Glauben her läßt sich Gott in Bildern erkennen (317 f.), kann selbst nicht-christliche Kunst zu "visuellen Exegesen" (Hans-Ruedi Weber) werden (319 ff.).

Folgerichtig gilt es heute, das ,Andachtsbild' wieder zu entdecken bzw. eine "visuelle Meditation und Liturgie" (Henri Lindegaard) zu entwickeln. Protestantischer Gottesdienst sollte nicht nur ,wahr', sondern auch ,schön', nicht nur ,didaktisch', sondern auch ,symbolisch' sein (323). Nicht minder wichtig und dringend als solch ein spiritueller Gebrauch von Bildern ist die Entwicklung einer Ethik der Massenmedien (324 ff.) - wobei C. aus seiner Skepsis gegenüber deren verantwortlicher, kommunikativer und spiritueller Nutzbarkeit keinen Hehl macht.

Ausgesprochen interessant an diesem Buch sind die Erarbeitung der Problemlage anhand der neueren französischen Philosophie sowie die theologischen Akzente, die C. setzt. Manche Folgerungen (z. B. die kerygmatische Dignität des Bildes und ihre spirituelle Lesbarkeit) sind vielleicht nicht neu, doch die Argumentionen sind anregend entfaltet und weisen ein in die nicht-deutschsprachige Diskussion. C.s Überlegungen bilden eine gute theologische Ausgangsbasis für die Arbeit an denjenigen Aufgaben, die er selbst skizziert: ,visuelle Liturgie' und Ethik der Massenmedien.