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Ausgabe:

Juli/August/1997

Spalte:

653 f

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schottroff, Luise, u. Marie-Theres Wacker [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Von der Wurzel getragen. Christlich-feministische Exegese in Auseinandersetzung mit dem Antijudaismus.

Verlag:

Leiden-New York- Köln: Brill 1996. 283 S. gr.8 = Biblical Interpretation Series, 17. Lw. $ 87,25.ISBN 90-04-10336-8.

Rezensent:

Beate Ego

Seit Mitte der achtziger Jahre im deutschsprachigen Raum erstmals darauf hingewiesen wurde, daß auch Arbeiten aus dem Bereich der feministischen Theologie gefährliche, traditionelle christliche Vorurteile und Klischees gegenüber dem Judentum kolportieren, findet eine Reflexion über das Verhältnis von fe-ministischer Theologie und Antijudaismus statt. Ihr Ziel ist es, für diese Problematik zu sensibilisieren und einen solchen Antijudaismus zu überwinden.

Auf diesem Hintergrund wendet sich der vorliegende Band in der Mehrzahl seiner Beiträge Themen zu, die in der feministischen Theologie - wie auch in traditionellen exegetischen Ar-beiten - immer wieder antijüdisch interpretiert und gedeutet wurden. Als zentrale Themen werden dabei die Motivkomplexe "Unreinheit" (29-80), "Gewalt gegen Frauen" (81-102), die traditionelle Gegenüberstellung des alttestamentlichen Rachegottes gegen den neutestamentlichen "Gott der Liebe" (103-134) sowie das Thema "Gesetz/Gesetzesreligion" (227-246) aufgeführt; als "Extremfälle" werden die Problematik des Umgangs mit "unrettbar" frauenfeindlichen Texten (179-226) sowie die feministische Rezeption der Weisheitsgestalt (135-152) aufgegriffen. Ein Beitrag zur Forschungsgeschichte und ein zusammenfassendes Re-sümee verklammern diese Einzeluntersuchungen.

Unter der Überschrift "Unreinheit von Frauen" versammelt der Band insgesamt drei Beiträge:

Gerburis Feld betracht das Thema in ihrem Beitrag "...wie es eben Frauen ergeht" (Gen 31,35). "Kulturgeschichtliche Überlegungen zum gegenwärtigen Umgang mit der Menstruation der Frau in Gesellschaft und Theologie" (29-42) unter ethnologischen und anthropologischen Aspekten und verweist so auf dessen Komplexität, die es nicht erlaubt, in den alttestamentlichen Texten einen ,eindeutigen Beleg für die Diskriminierung der Frau' zu sehen und das ,Schweigen des Neuen Testaments als eindeutigen Beleg für die Befreiung der Frau' (39) zu interpretieren. Ina Johanne Batmartha (Petermann) stellt in ihrem Aufsatz "Machen Geburt und Monatsblutung die Frau ,unrein'? Zur Revisionsbedürftigkeit eines mißverstandenen Diktums" (43-60) die priesterlichen Reinheitsbestimmungen dar; diese sind - wenn man die für Männer geltenden Gesetze miteinbezieht - entgegen der landläufigen Meinung nicht als Ressentiment gegen die weibliche Körperlichkeit zu verstehen, sondern stehen im Kontext der priesterlichen Heiligkeitskonzeption. In ihrer exegetischen Arbeit "Jairus und die verlorenenen Töchter Israels. Sozioliterarische Überlegungen zum Problem der Grenzüberschreitung in Mk 5,21-43" (61-80) zeigt Brigitte Kahl in einer sozio-literarischen Analyse des Textes, daß nicht der Gegensatz Kirche contra Synagoge den Hintergrund dieser Erzählung bildet, sondern daß diese durch die Oppositionspaare Glaube und Furcht, Leben und Tod, gesellschaftliche Integration und Desintegration strukturiert wird. Dabei "kommt dem grenzüberschreitenden Verhalten der Frau, das die sozialen Normen einschließlich der Geschlechterrollen bricht, Schlüsselbedeutung zu"; es geht "um die Durchbrechung der alten und Konstituierung neuer Zu-gehörigkeits- und Lebensverhältnisse nicht außerhalb, sondern innerhalb der Synagoge" (76).

Da der Vorwurf der Tolerierung bzw. Legitimierung sexueller Gewalt vor allem gegen das Alte Testament erhoben wird, untersucht Ilse Müllner in ihrem Beitrag "Tödliche Differenzen. Sexuelle Gewalt als Gewalt gegen Andere in Ri 19" (81-100) einen alttestamentlichen Text und verweist auf die Dringlichkeit, "auch Frauen in Bezug auf andere Differenzen als die Geschlechterdifferenz wahrzunehmen" (86). Die Frau des Leviten wird sowohl als Frau als auch als Fremde zum Opfer sexueller Gewalt.

Eines der pauschalen antijudaistischen Klischees, das auch immer wieder in der feministischen Literatur rezipiert wurde, lautet, daß dem alttestamentlichen "Gott der Rache" im Neuen Testament der "Gott der Liebe" gegenüberstehe.

Renate Jost (Der Gott der Liebe - der Gott der Rache oder: Simsons Rachegebet [103-113]) stellt - in Anknüpfung an Arbeiten von J. Ebach und E. Zenger den dem deutschen Begriff "Rache" zugrunde liegenden hebräischen Terminus qn in einen rechtlichen Zusammenhang: Hinter dem "Gott der Rache" verbirgt sich in Wirklichkeit ein Gott, der die gebrochene Rechtsordnung wieder herstellt. Dieser Aspekt des Gottesbildes ist wegen seiner befreienden Implikationen auch für das Christentum unverzichtbar. Einen neutestamentlichen Aspekt dieses Themas behandelt Martina S. Gnadt in ihrem Artikel "Abba isn't Daddy". Aspekte einer feminstisch-be-freiungstheologischen Revision des ,Abba Jesu' (115-131), der die feministische Diskussion um die Androzentrik des Gottesbildes in die gegenwärtige Diskussion um den Titel "Abba" einzubringen versucht.

In gesamtbiblischer Perspektive wird auch das Thema der Weisheit betrachtet.

Unter dem Titel "Zukunft feministischer Spiritualität" oder "Werbefigur des Patriarchats"? Die Bedeutung der Weihsheitsgestalt in Prov 1-9 für die femininistisch-theologische Diskussion (135-152) untersucht Gerlinde Baumann verschiedene so-wohl traditionelle als auch feministische Interpretationen der Weisheitsgestalt, die "den Raum für eine biblisch begründete Gottesrede, die sich weiblicher Metaphern bedient", eröffnet. Aufgrund verschiedener Redaktionsschichten in Prov 1-9 er-scheint die Weisheit trotz des frauenfeindlichen Kontextes als eine positiv rezipierbare Gestalt (147). Angelika Strotmann ("Weisheitschristologie ohne Antijudaismus? Gedanken zu einem bisher vernachlässigten Aspekt in der Diskussion um die Weisheitschristologie im Neuen Testament" [153-178]) stellt die weisheitschristologischen Texte der Logienquelle in das Zentrum ihrer Ausführungen.

Der Problematik des Umgangs mit "unrettbar" frauenfeindlichen Texten wenden sich die beiden nächsten Artikel zu.

In ihrem Beitrag Im Vorzimmer der Unterwelt. Die Warnung vor der fremden Frau in Prov 7 in ihrem historischen Kontext (179-198) erklärt Christl Maier das polemische Porträt der fremden Frau aus Prov 7 auf dem Hintergrund einer "rhetorischen Situation", die im Kontext der Problematik der Gruppenidentität in der nachexilischen Zeit anzusiedeln ist. Marlene Crüsemanns Artikel "Unrettbar frauenfeindlich: Der Kampf um das Wort von Frauen in 1Kor 14,(33b)34-35 im Spiegel antijudaistischer Elemente der Auslegung" (199-226), die die Auslegungen des 19. und 20. Jh.s zu diesem Text mit den entsprechenden jüdischen Quellen konfrontiert, verweist auf die Bedeutung einer Sachkenntnis des Judentums und auf die Notwendigkeit, problematische Aussagen wie das Redeverbot in unseren Bibelübersetzungen mit einer Anmerkung zu versehen.

Der Beitrag von Luise Schottroff "Gesetzesfreies Heidenchristentum" - und die Frauen. Feministische Analysen und Alternativen (227-245) thematisiert die antijüdische Stoßrichtung der christlichen Aussagen vom Gesetz und versucht, deren historischen Hintergrund in der Zeit nach dem Bar-Kochba-Aufstand (nach 135 n. Chr.) zu beleuchten.

Gerahmt werden die Einzeluntersuchungen von einem forschungsgeschichtlichen und einem eher systematischen Beitrag: Unter dem Titel Feministisch-christliche Identität und Antijudaismus (1-26) zeichnet Eveline Valtink Geschichte und Vorgeschichte der Diskussion um den Antijudaismus in der christlichen feministischen Theologie nach. Marie-Theres Wacker skizziert in ihrer abschließenden Zusammenfassung mit dem Titel Den/dem anderen Raum geben. Feministisch-christliche Identität ohne Antijudaismus (247-270) die hermeneutische Situation der feministischen Theologinnen, die an einer Überwindung des Antijudaismus arbeiten; darüber hinaus entwickelt sie Strategien der Vermeidung von Antijudaismus in der feministischen Bibelexegese sowie eine Kritik an traditionellen gesamtbiblischen Deutungsrastern.

Der Band gibt einen guten Einblick in Themen und Probleme der gegenwärtigen feministischen Exegese im deutschen Sprachraum; gleichzeitig stellt er einen wichtigen Beitrag zum jüdisch-christlichen Dialog dar.