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Ausgabe:

Juli/August/1997

Spalte:

645 f

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bader, Günter

Titel/Untertitel:

Psalterium affectuum palaestra. Prolegomena zu einer Theologie des Psalters. Hrsg. von H. D. Betz, P. Bühler, D. Lange u. W. Mostert ().

Verlag:

Tübingen: Mohr 1996. 266 S. gr.8 = Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie, 33. Geb. DM 178,-. ISBN 3-16-146505-9.

Rezensent:

Friedrich Mildenberger

Nicht eine "Theologie der Psalmen", Ergebnis alttestamentlicher Exegese (H. J. Kraus, H. Spieckermann), ist im Blick, sondern Psalter - ursprünglich Saiteninstrument - ist der erklingende Psalmtext. Dieser begegne der griechischen Theologie als dem dichterischen Benennen und Preisen der Götter. Orphenus und David (vgl. Exkurs 23 ff.) verschmelzen zu einem Bild, das freilich die Spannung zwischen den beiden Gestalten festhält. Ein erster Paragraph nimmt den Titel des Buches auf und will ihn als "Luthers Psalterformel" erweisen. Dazu wird ein Text aus Luthers "Operationes in psalmos" angeführt, wonach der Psalter nichts anderes sei als "affectuum palaestra et exercitium". Den "affectus psalmorum" werden die "affectus nostri" entgegengesetzt. Die palaestra affectuum sei das knapp vermiedene Chaos aller Affekte, in der nicht einfach Affekte gegen Affekte stünden, sondern "affectus nostri" gegen "affectus psalmorum". Letztere verwiesen auf erklingendes Psalmwort mit seinem einzigartigen Plus des Gesanges.

Ein erstes Kapitel behandelt "Vorbegriffe". "Palaestra" sei als hellenistische Bildungsinstitution Verbindung von Leibesübung und in der Rhetorik gipfelnder geistiger Bildung. Im Rahmen der von Platon diskutierten archaischen Bildung, also zwischen Musik und Gymnastik, erscheine dabei auch Theologie, frühester Beleg des Wortes, freilich auch von ihrem ersten Auftritt an bereit, die Verbindung mit der Musik zu lösen. In der christlichen Welt erscheine palaestra als freischwebende Metapher für die Vorbereitung aufs Martyrium bzw. für das koinobitische Leben als Vorbereitung für das Anachoretentum. Bevor bei Luther der Psalter zur palaestra werde, müsse diese ein monastischer Begriff gewesen sein. Der Ausdruck "exercitium" als lateinisches Äquivalent von palaestra habe seine primäre Wirklichkeit im Handwerk. Doch neben der weiten Bedeutung des Wortes erscheine eine konzentrierte, nach der exercere als intensives, murmelndes, auf Gedächtnis bedachtes Lesen des göttlichen Wortes. Durch diese Konzentration werde aus Psalter, Meditation, Exercitium, Palaestra geradezu ein und dasselbe. Zu "Lectio" sei auf die Spannung von Oralität und Literalität zu achten. Sobald mit scholastischer Literalität das Lesen immer mehr verstumme, verstumme auch der Psalter. Werde Lesen zum reinen Bedeutungslesen, so werde aus der ehemaligen Theologie des Psalters mit derselben Notwendigkeit eine Theologie der Psalmen.

Das 2. Kapitel behandelt "Vorreden", hier zunächst "Athanasius und die griechische Tradition". Nach der "Epistola ad Marcellinum" sei das Proprium des Psalters im Zusammenhang der biblischen Schriften nicht so sehr die Botschaft, sondern die Art und Weise der Darbietung der Botschaft, wonach er die Um-schwünge und Wiederaufrichtungen einer jeden Seele in sich aufgeschrieben enthalte. Die Nachwirkungen gehen bis zu Luther hin. Auch auf den "Oktoechos" geht der Vf. in diesem Zusammenhang ein. Weiter wird dann "Augustin und die lateinische Tradition" behandelt. Psalterübung sei Sprach- und Af-fektschule zugleich. Dabei wird auch der "Tonar" als Hilfsbuch zu einer im wesentlichen noch nicht schriftlich fixierten Ge-sangsüberlieferung behandelt. Abschließend geht es um "Luther und der deutsche Psalter", Luthers Vorrede, die auf den verstummten Psalter vorausblicke. Dieses Verstummen des Psalters geschehe nicht einfach mit der Epochenschwelle zur Neuzeit, sei vielmehr ein komplexer Vorgang, der "die erste Sprache des Menschengeschlechts" (Herder) rationalisierte und humanisierte. Im Protestantismus, angefangen bei Luther, sei das Psalterlob durch das Lob der Musik abgelöst worden.

Ein letztes Kapitel bringt "Vorstudien". Zunächst wird über "Affekte" gehandelt. Der Psalter sei "palaestra affectuum", weil die Unmöglichkeit eines sinnlichen, affektiven Vakuums nichts anderes zulasse als Psalterspiel am Ort elementarer Mächte und Gewalten. Weiter wird nach der Psalmodie gefragt, wie sie in der - abgeschlossenen - Epoche der Theologie des Psalters ih-ren Ort hatte.

Die musikalisch nicht darstellbare Einheit der Vielzahl von Psalterformeln, die im oktomodalen System der Psalmtöne erscheint, werde dabei in der mittleren Pause als Ruhe in der Bewegung gegenwärtig. "Name Gottes als Klang und Bedeutung" benennt das Ziel der Überlegungen. Bedeutung trete desto reiner hervor, je mehr sie sich vom Klang löse. Theologie im ursprünglichen Sinn, im Hymnus konzentriert, habe für je-den Gott seinen eigenen Hymnus. Darum wirke die Achtzahl der Psalmtöne wie eine vorchristliche Reminiszenz. Die In-kompatibilität löse sich freilich, sobald unter den acht Psalmtönen dem ersten ein besonderer Rang zuerkannt werde. Schließlich stellt der Vf. im Verweis auf Luthers Psaltervorrede fest, daß hier die Gattungslehre des Psalters vom Klang auf die Texte übertragen worden sei.

Reich belehrt und doch etwas enttäuscht habe ich die Lektüre des Buches beendet. Sollte es das gewesen sein? Schon in der Einleitung gibt ja auch der Vf. dieser Enttäuschung Ausdruck, wenn er meint, anwesend sei unter den gegenwärtigen Bedingungen der verstummte Psalter.

Daß dieser erklinge, sei Gegenstand des Wünschens. Ob freilich nach dem Verstummen des Psalters eine historisierende "Theologie der Psalmen" als einzige Alternative bleibt, ließe sich immerhin fragen, gerade angesichts der Vorrede Luthers zu seinem deutschen Psalter, um die die Überlegungen kreisen. Denn Luther weist ja darauf hin, daß wir hier alle Heiligen, ja Christus als ihr Haupt in ihrem Reden mit Gott finden. Vielleicht ist darum der Weg zurück zur klingenden griechischen Theologie, den der Vf. mitsamt seinem Fazit des Verstummens gegangen ist, nicht der Weg, uns Heutigen den Psalter aufzuschließen. Bleibt nicht auch der Weg über die Ökonomie, der dann vielleicht auch eine Theologie erlaubt, die mehr ist als bloße Negation?