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Ausgabe:

Juli/August/1997

Spalte:

655–657

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

(1) Warns, Else Natalie, u. Heinrich Fallner [Hrsg.] (2) Keßler, Hildrun

Titel/Untertitel:

(1) Bibliodrama als Prozeß. Leitung und Beratung.
(2) Bibliodrama und Leiblichkeit. Leibhafte Textauslegung im theologischen und therapeutischen Diskurs. Mit einem Geleitwort von Ruth Passauer.

Verlag:

(1) Bielefeld: Luther 1994. 262 S. 8. Kart. DM 36,-. ISBN 3-7858-0364-8.
(2) Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1996. 208 S. m. 10 Abb. gr.8 = Praktische Theologie heute, 20. Kart. DM 59,80. ISBN 3-17-013714-X.

Rezensent:

Ulrich Bubenheimer

Mit den vorliegenden Titeln liegen zwei von mehreren innerhalb von drei Jahren erschienenen Bibliodramabüchern vor. Die Verlage bauen auf einen Absatz dieser Bücher innerhalb der "Bibliodrama-Bewegung" (G. M. Martin in Warns/Fallner 9 f.). Eine empirische Untersuchung des Phänomens "Bibliodrama" als (religiöse) Bewegung sei damit als Desiderat angezeigt. Die "Bibliodramatiker" selbst, die in beiden Büchern zu Wort kommen, leisten einen Beitrag zur wissenschaftlichen Reflexion des Phänomens in dem Maß, in dem es ihnen gelingt, Selbstdistanz gegenüber der eigenen Arbeit und den eigenen Überzeugungen zu gewinnen und eine Methode der kritischen Selbstreflexion so zu beschreiben, daß sie auch der Nicht-Bibliodramatiker als Methode identifizieren und nachvollziehen kann. Die Forderung nach methodisch ausgewiesener Selbstkontrolle erwächst natürlicherweise nicht aus einer von Begeisterung getragenen "Bewegung", sondern steht im Kontext des Bemühens einiger Vertreter des Bibliodramas, die eigene Arbeit mit Kategorien wissenschaftlicher Methodik auszuweisen.

Das von Warns/Fallner für die professionelle Arbeit mit dem Bibliodrama herausgegebene Handbuch läßt an vielen Stellen erkennen, daß das Erfordernis kritischer Selbstdistanz im Horizont der Autoren steht. Die neue "Etappe" (G. M. Martin), in die das Bibliodrama eingetreten ist, ist für mich am deutlichsten ablesbar an der von E. N. Warns und H. Fallner S. 205-224 beschriebenen, methodisch strukturierten Fachsupervision im Rahmen differenzierter Fortbildungsangebote. Damit erhalten Personen, die das Bibliodrama anwenden, ein Angebot zu qualifizierter Selbstreflexion der eigenen Arbeit. Auch zwei verschiedene Fortbildungsangebote lassen auf der dargestellten Ebene der Planung methodisch ausgewiesene Strukturen erkennen. Neben einer kürzeren Fortbildung in "Aufbauform", die zur Arbeit mit "Elementen des Bibliodramas" in pastoralen und religionspädagogischen Berufsfeldern befähigen soll, steht eine längere Fortbildung, deren Ziel die "Qualifizierung zu Leitung und Beratung von Bibliodrama-Seminaren" ist. In einem An-hang (259-262) finden sich Informationen über Aufbau, Inhalte und zeitlichen Umfang der beiden Curricula nebst Namen der Leiter und Mitarbeiter sowie Adresse der das Unternehmen tragenden "Gesellschaft für Bibliodrama e. V.".

Die beiden Bücher legen im Titel jeweils einen spezifischen Akzent: "Prozeß" (Warns/Fallner) bzw. "Leiblichkeit" (Keßler). Beiden Begriffen ist eine Konnotation gemeinsam: Ganzheitlichkeit. Dem "Bibliodrama als prozessualen Konzept" ist ein Beitrag von H. Fallner in Warns/Fallner 85-126 gewidmet. Im "prozessualen und ganzheitlichen Bibliodrama" (86) geht es "nicht vorrangig um Inhalte und vorformulierte Ziele, sondern der Erlebnis-Prozeß der Gruppe ist der Weg mit und zu den Inhalten des biblischen Textes" (98). Ich verstehe das folgendermaßen: Der Erlebnisprozeß der Gruppe in der Begegnung mit einem biblischen Text ist Inhalt und Ziel des Bibliodramas zugleich, weil sich in diesem Erlebnisprozeß Textaneignung vollzieht. Ganzheitlich ist dieser Prozeß zum einen als eine praktizierte Form von Erlebnishermeneutik, zu der körperliche, seelische und geistige Erlebens- und Wahrnehmungsprozesse gehören. Zum anderen wird der Prozeß von den Leitern "ganzheitlich" im Sinne einer klaren Prozeßstruktur aufgebaut, in dem ein Schritt aus dem anderen herauswächst. Der Begriff "Prozeß" wird ferner dadurch weiter umschrieben, daß das Erleben der Teilnehmer während des Prozeßverlaufes und nicht ein vorweisbares Ergebnis oder Produkt die Gestaltung des Bibliodramas bestimmt. Allerdings kommen produktorientierte Elemente mit herein, explizit in einer von E. N. Warns und Uwe Beermann beschriebenen, theaterpädagogisch mitbeeinflußten Variante für pädagogische Anwendungsbereiche ("Die Arbeit in Projekten mit Elementen des Bibliodramas", 175-204).

H. Keßler benennt in ihrer Berner Dissertation mit "Leiblichkeit" ihr Programm einer "leibhaft(ig)en Textauslegung". Sie führt einen Aspekt des Bibliodramas fort, der bereits in den Ansätzen von Martin ("Körperarbeit") und Warns ("Körper- und Bewegungserfahrungen", Warns/Fallner 15) ein wichtige Rolle spielte: das körperliche Erleben und Wahrnehmen als ein Element der Textauslegung, das ein Gegengewicht gegen das herrschende Übergewicht verbal-kognitiver Auslegungsmethoden setzen sollte. In diesem Sinne hat E. Warns in dem Sammelband von Warns/Fallner (127-150) versucht, körperliche und kognitive Rezeptionswege hermeneutisch aufeinander zu beziehen und miteinander zu verbinden: "Im Kern geht es dabei darum, das Verhältnis von begrifflich rationaler Erfassung der Weltwirklichkeit und vorbegrifflicher, bildhafter Erfassung neu zu bestimmen...". Keßler jedoch rückt die "Leiberfahrung" als Inbegriff ganzheitlichen Erlebens eines Textes radikal in den Vordergrund, verständlich aus ihrer apologetischen Wendung gegen das verbal-kognitive "verwaltete Herrschaftswissen der Exegese" (182).

Schon an dieser Stelle wünschte sich der Rez., etwas über die Berufsbiografie der Autorin zu erfahren, um die in diesem Kontext spürbaren Affekte besser im Blick auf ihre Bedeutung für die bibliodramatische Arbeit der Autorin einschätzen zu können. Im Horizont der Methodik des Bibliodramas gesehen, ist das Fehlen jeglicher Information über die Autorin eine Lücke, da sie nach einem referierenden Überblick über die Hauptrichtungen des Bibliodramas (Teil I) und der kommentierenden Darbietung von Ausschnitten aus der philosophischen, therapeutischen und theologischen Leibdiskussion (Teil II) in Teil III eigene Bibliodramaerfahrungen interpretiert. Der Leser müßte im Interesse einer eigenen Urteilsbildung u. a. wissen, welchen Anteil die Autorin an den beschriebenen Bibliodramaprozessen hatte und was die Inhalte und Ergebnisse der erwähnten "einjährigen Vorbereitungszeit" des Leitungsteams waren.

Der Leser kann erschließen, daß die Autorin selbst eine der Leiterinnen des "fünftägigen Bibliodramas" (152) über Jes 59 war, aus dem das Material für Teil III stammt. In diesem Teil wirkt sich am meisten aus, daß die Autorin in ihrem Buch nicht explizit über die Methodik ihres Vorgehens reflektiert. Im Nachvollzug nehme ich in Teil III, der "Ein Beitrag zur Vertiefung einer leibhaftigen Textauslegung" sein soll, eine Mischung empirischer und geisteswissenschaftlich-hermeneutischer methodischer Elemente wahr. Das Material, das interpretierend analysiert wird, stammt aus Protokollen, deren Anfertigung, zumal bei In-volvierung der Autorin in den Prozeß, einer methodischen Vorgehensweise und Kontrolle bedurft hätte. Die Protokolle sind nicht als ganze abgedruckt. Über die zitierten Protokollfragmente wird nur mitgeteilt, daß eine "Vorbereitungs- und Reflexionsskizze" der Autorin sowie ein "Gedächtnisprotokoll einer Teilnehmerin und einer anderen Leiterin" eingeflossen seien (152). Wer die einzelnen Zitate verfaßt hat, bleibt offen. Über die Teilnehmergruppe erfährt man nur, daß es eine reine Frauengruppe war.

Der Gesamtprozeß ist in Form einer Verlaufsskizze angedeutet, die aus einer Auflistung der Phasen und Themen der betreffenden Bibliodramaveranstaltung besteht (154). Ansonsten konzentriert sich die Autorin auf die interpretierende Wiedergabe solcher Elemente der Veranstaltung, die ihr geeignet erscheinen, mittels assoziativer hermeneutischer Reflexion ihre Hauptthese plausibel zu machen, daß "sich der Text... auslegt" (60) über die beschriebene Körperarbeit und die daraus resultierenden Leib-erfahrungen der Frauen im Sinn von "Bibliodrama als demokratische(r) Exegese mündiger Christen" (183): "Wird man leiblich, legt man die Begrenztheit des Körpers ab und wandert aus dem hierarchischen Gebäude der Exegese aus. Der Zuwachs an Leiblichkeit äußert sich in der ,Respektlosigkeit' gegenüber biblischen Texten, in ihrer eigenständigen Aneignung und der dabei intensiv erlebten Gemeinschaft. Dies sind Kirche bildende Aspekte, wie sie für mündige Christen im Bibliodrama charakteristisch sind" (148).