Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/1998

Spalte:

1265–1267

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Wrogemann, Henning

Titel/Untertitel:

Mission und Religion in der Systematischen Theologie der Gegenwart. Das Missionsverständnis deutschsprachiger protestantischer Dogmatiker im 20. Jahrhundert.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1997. 350 S. gr.8. Kart. DM 98,-. ISBN 3-525-56285-3.

Rezensent:

Christoffer H. Grundmann

Diese 1995 verfaßte missionswissenschaftliche Dissertation, die 1996 mit dem Ruprecht-Karls-Preis der Stiftung Universität Heidelberg ausgezeichnet wurde, liegt nunmehr in leicht überarbeiteter und um Literaturangaben erweiterter Form als Band 79 der "Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie" im Druck vor. Der umfangreiche Stoff ist in drei klar strukturierte Hauptteile untergliedert, von denen die beiden ersten wesentlich referierenden, darstellenden Charakter haben, während der deutlich kürzere dritte Hauptteil Grundlinien eines eigenen, äußerst interessanten missionstheologischen Entwurfes skizziert.

Die Wahl der Thematik sowie ihre Behandlung unter der pointierten Fragestellung, was und inwiefern die jeweiligen theologischen Entwürfe zur Mission, verstanden als "Hermeneutik des Fremden", beitragen (18 ff.; 268 ff.), erschließen einen Reichtum an Einsichten und Erkenntnissen, der sicherlich für die weitere missionstheologische Arbeit anregend sein dürfte, wobei der "Begriff der Mission als Hermeneutik des Fremden" darauf "aufmerksam machen" soll, "daß ein vorgängiges Nein zur Religion des Fremden ... oder ein Nicht-Ernstnehmen ... nicht länger vertretbar ist" (307). Demzufolge ist Mission hier durchweg als christliches Zeugnis im interreligiösen Kontext, nicht als "Evangelisierung" bzw. "Re-Evangelisierung" zu verstehen.

Der erste große Hauptteil der Studie (I - "Mission zwischen Konfrontation mit den und ’missionarischem Verstehen’ der Religionen", 23-134) untersucht die Behandlung des Themas "Mission" seitens protestantischer Systematiker in der ersten Hälfte des 20. Jh.s, namentlich bei M. Kähler (Mission als Evangelisierung), E. Troeltsch (Mission als Christianisierung), P. Althaus (Mission und Gottes zweifache Offenbarung [als "Ur-Offenbarung" und "Heilsoffenbarung"]), K. Barth (Mission und Gottes direkte Selbstoffenbarung) sowie bei P. Tillich (Mission als Umwandlung von "latenter" in "manifeste" Kirche). In einem zusammenfassenden Abschnitt werden dann die dargestellten und entsprechend der Leitfrage kritisch analysierten Aussagen mittels einer Typologie hinsichtlich ihrer "Verhältnisbestimmung von Christentum bzw. christlichem Glauben und den Religionen" charakterisiert (128 ff.). Dabei lassen sich nach Wrogemann drei Modelle ausmachen, die sowohl den jeweils hermeneutischen Ansatz als auch "das daraus resultierende Verhältnis des christlichen Glaubens zu anderen Religionen" (128) bezeichnen sollen, nämlich ein "induktiv-inklusives" (z. B. bei Treoltsch), ein "dialektisch-duales" (z. B. bei Althaus) und ein "deduktiv-diastatisches" (z. B. bei Barth). Kennzeichnend für alle Ansätze sei es, daß sie sich dessen "zu sicher" sind, "worin das endgültige Heil besteht" (134).

Aus der Feststellung, daß "das Thema Mission ..., mit Ausnahme des Werkes von Jürgen Moltmann in den seit den sechziger Jahren veröffentlichten systematischen Entwürfen so gut wie keine Beachtung gefunden hat" (142), sondern statt dessen allenfalls über die Frage von "Mission und Dialog" reflektiert werde, erklärt sich die Überschrift des zweiten Hauptteils: "Auf dem Weg zu einer dialogischen Mission" (II, 135-274). Darin findet zum einen die kritische Auseinandersetzung mit den Systematikern W. Pannenberg (Dialog als Mission?), H. Thielicke ("Dialog" und Mission; darin ein wohl erst im Zusammenhang mit der Drucklegung eingefügter Exkurs zu W. Härle, 189 f.), J. Moltmann (Dialog als "Qualitative Mission") und F.-W. Marquardt (Theologie im christlich-jüdischen Dialog: Teilnahme an Israels Mission) statt; zum anderen aber auch mit dem Missionstheologen M. v. Brück (Theologie im christlich-hinduistischen Dialog: Mission als Dialog), und das deswegen, weil "erst mit diesem Ansatz" die "Analyse den gegenwärtigen Problemhorizont" erreiche. (22) Während sich nämlich die Aussagen der meisten der genannten Systematiker zu Mission und Dialog ebenfalls den Kategorien der erwähnten Typologie zuordnen lassen (vgl. 145 f.;268 ff.), repräsentiere der Ansatz von M. v. Brück neben dem von F.-W. Marquardt ein aus praktischen Erfahrungen gewonnenes, nicht-begriffliches Dialogverständnis.

Im dritten Hauptteil werden aus den gewonnenen Untersuchungsergebnissen und in Abgrenzung zu diesen "Aspekte einer missionstheologischen Neubesinnung" (275-318) in der Absicht angedeutet, damit "einen "sympathischen" Missionsbegriff zu entwickeln" (277) und "Mission als Hermeneutik des Fremden zu entwerfen, die sich als Konzeption komplementärer Ordnung beschreiben läßt" (294), ohne dabei einem pluralistischen Relativismus anheimzufallen; darf doch "das christliche Heilsverständnis, in dessen Mitte Jesus Christus steht, nicht nivelliert werden" (289). Zur Lösung dieser schwierigen Aufgabe plädiert W. für eine differenzierende, "bipolare Soteriologie", die zwischen dem Segens- und (Er-)Rettungshandeln Gottes zu unterscheiden weiß. Auf diese Weise könne es gelingen, in der Begegnung mit dem Fremden diesem gegenüber auch theologisch wirklich offen zu sein; denn wenn man "den Heilsbegriff nach rettendem Handeln, das Offenbarung einschließt, und segnendem Handeln, das dieses nicht tut, differenziert, dann kann man einerseits von Segensheil in den Religionen sprechen", ohne "andererseits ... den Letztgültigkeitsanspruch der Offenbarung, die einem zuteil wurde, preis" zu geben (300). Folgerichtig habe auch die christliche Mission daher einen doppelten Auftrag wahrzunehmen, nämlich einen "Segensauftrag", der "der Ermöglichung von Konvivenz" dient (303) und einen "Verkündigungsauftrag von Gottes Rettungshandeln in Jesus Christus" in einem solchen "konvivalen Kontext" (309); denn Konvivenz, wenn sie sich denn ereignet, sei der hermeneutische Ort kognitiven Verstehens und leiblicher Erfahrungen des Fremden (zutreffender wohl: von Fremdheit und fremden Menschen).

Diese sehr gehaltvolle und anregende Studie hebt nicht nur Schätze, sondern zeigt ebenso zukunftsweisende Linien missionstheologischen Denkens auf, die weiterer Diskussion bedürfen.

Formal leidet diese erfreulich druckfehlerarme Publikation aber etwas an dem Verzicht auf eine integrative Sprache, an unnötigen Wiederholungen in
den Fußnoten sowie an dem eher zergliedernden denn sinnvoll aufgliedernden Inhaltsverzeichnis (6 1/2 S!). Sachlich ist außer dem unreflektiert gebrauchten Religionsbegriff das völlige Ausblenden der kommunikationstheoretischen, insbesondere der sprachphilosophischen Problematik dialogischer Begegnung zu bemängeln und nicht zuletzt die Abwesenheit von anthropologischen Überlegungen, impliziert doch "Mission als Hermeneutik des Fremden" immer Begegnungen mit "fremden Menschen". Hier ist das weiterführende Gespräch zu suchen und zu führen.