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Ausgabe:

Juni/1996

Spalte:

542–544

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Jost, Renate

Titel/Untertitel:

Frauen, Männer und die Himmelskönigin. Exegetische Studien.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 1995. 268 S. 8°. DM 88,-. ISBN 3-579-00098-5.

Rezensent:

H. Balz-Cochois

Das Alte Testament bietet, ein weites Feld, feministischer Theologie seit rund zwanzig Jahren mehr Auslauf, Angriffsfläche und Inspiration als das Neue. Die erste Phase, bestimmt von Polemik gegen Patriarchales, hat inzwischen größerer Sachlichkeit Raum gegeben. Im Mittelpunkt des Interesses stehen Frauen, Göttinnen und weibliche Aspekte im Gottesbild.

Wie die Reihenfolge Frauen - Männer andeutet, geht es in den exegetischen Studien von Renate Jost um die Frage, was vor allem Frauen, insbesondere Judäerinnen zur Zeit des Propheten Jeremia, von der in Jer 7 und 44 erwähnten Himmelskönigin erwarteten und auf welche Weise dieselbe von ihnen verehrt wurde.

Das Thema wird einleitend im Rahmen der neueren Diskussion um die Entstehung des biblischen Monotheismus situiert, der Begriff ,Patriarchat' differenziert im Hinblick auf ,Mittäterschaft' von Frauen an Unterdrückung; auf die ,Gefahr des christlichen Antijudaismus' wird hingewiesen. Bei der Rekonstruktion von vergessener Frauenreligion entscheidet sich die Autorin für soziologisch ausgerichtete historische Kritik und bekennt sich gleichzeitig zur Parteilichkeit für Frauen vermittels einer ,Hermeneutik des Erinnerns' sowie ,des Verdachts' gegenüber androzentrischer Überlieferung.

Nach knapper Skizzierung der (von kanonisch-androzentrischer Sicht bestimmten) Forschungslage (I) wird in II nach der Identität der Himmelskönigin und in III nach ihrer Bedeutung für Frauen gefragt, beginnend mit archäologischem Material (Abbildungen dazu im Anhang) einschließlich der neueren Inschriftenfunde, YHWH und seine Aschera betreffend. Aus biblischen wie außerbiblischen Texten ergibt sich die weitverbreitete Verehrung (durch Frauen und Männer) des Typus ,Himmelskönigin' (darunter Astarte, Aschera, Ischtar und Isis) über einen Zeitraum von 2500 Jahren. Bedeutsam ist die universale Funktion dieses Typus, vor allem die Beziehung zur Totenwelt. Höhere Priesterämter für Frauen sind selten belegt und der Aristokratie vorbehalten. ,Kultprostitution' ist neuerdings um-stritten.

Es folgt ein umfangreicher Teil IV, in welchem die Lebenswelt von Frauen in Juda kurz vor und nach der Katastrophe von 587 aus Texten des Jeremiabuches erhoben wird anhand von Rollenbezeichnungen (Hure, Ehefrau, Witwe etc; besonders ausführlich die Königsmutter als ,Gebieterin' sowie die Klagefrauen) und chronologisch geordnet nach Friedens-, Kriegs- und Katastrophentexten, wobei erkennbar wird, daß es für Frauen Schlimmeres gab als die patriarchale Ordnung, nämlich deren Zusammenbruch: das schutzlose Ausgeliefertsein an den Feind.

Ein Blick auf Ezechiel 8 befaßt sich (V) mit den Frauen, die in Jerusalem zwischen 597 und 587 nahe beim Tempel, einer uralten sumerisch-babylonischen Tradition folgend, "den Tammuz beweinten", möglicherweise nicht nur um sterbende Vegetation, sondern auch um die Toten des Krieges klagend. In dem im gleichen Text erwähnten ,Eiferbild' wird das unter Josia aus dem Tempel entfernte Ascherabild vermutet.

Bei einem Vergleich (VI) mit Frauenrollen im neubabylonischen Reich anhand neubabylonischer Texte zeigt sich, daß Frauen im Herkunftslande der Ischtar als Himmelskönigin kaum größeren religiösen Einfluß hatten als in Juda. Der vorgegebene soziale Status allein bedeutet Macht oder Ohnmacht.

Vor diesem umfassenden Hintergrunde bringt die Exegese von Jer 7,17.18 und 44,15-22 (VII) Neues ans Licht. Die Himmelskönigin als synkretistisches Phänomen aus Astarte, Aschera und Ischtar wurde nicht nur auf Familienebene und nicht nur (weil angeblich zuständig für Weiberkleinkram, "Kohlgarten und Masern", wie etwa Duhm seinerzeit meinte) von Frauen verehrt. Vielmehr war sie auf Staatsebene zuständig für Krieg und Frieden, ging also gerade auch die Männer an und mußte in der Krisenzeit um 600 als Konkurrenz zu Jahwe empfunden werden von Leuten wie Jeremia. Der kultische Dienst, des Kuchenbackens etwa, ist besonders bei Frauen des königlichen Harems zu vermuten.

Abschließende Anstöße für die gegenwärtige Debatte um die Göttin fragen nach "Spuren der Integration des Weiblichen ins Göttliche", verweisen auf die personifizierte Weisheit, die Got-tesebenbildlichkeit der Frau und auf Maria als Himmelskönigin.

Die Arbeit vermittelt ein breit gefächertes Bild des Typus ,Himmelskönigin' im Alten Orient und darüber hinaus und entrollt ein differenziertes Panorama weiblicher Lebenswelten in Juda um 600 und in Babylonien im 6. Jh. auf der Suche nach kultischen Funktionen von Frauen im Dienste der Göttin. Dieses alles anhand einer umfassenden Sekundärliteratur, die immensen Arbeitsaufwand dokumentiert. So ist etwa im Abschnitt VI auf wenigen Seiten viel Literatur mesopotamisches Material betreffend aufgearbeitet. Erfreulich, daß Autoren der griechisch-römischen Antike zitiert werden (auch Sappho), mithin das Interesse über den Alten Orient hinausgeht. Die Darstellung ist bei aller Parteilichkeit sachlich, die Hypothesenbildung besonnen; das Ergebnis ist, nach der Autorin eigenen Worten, "ernüchternd" - die Verehrung von weiblichen Gottheiten hat für Frauen keinen Machtzuwachs bedeutet.

Was ist mit der Fülle des Erarbeiteten anzufangen? Es ist hier ansehnliches Material für eine Religionsgeschichte Israels aus feministischer Sicht bereitgestellt. Das ist viel und kann durchaus genügen. Ich würde allenfalls den Wunsch hinzufügen, es möge Material dieser Art auch bearbeitet werden im Hinblick auf Fragen wie: (1) Warum überlebte die Himmelskönigin die Krise um 600 v. Chr. nicht, obwohl sie Jahwe offenbar an Macht so gut wie gleichkam? Lag es etwa auch daran, daß sie zwar Klagefrauen, aber keine Unheilsprophetinnen hatte, denen die ,Wende' nachträglich Recht geben konnte? (2) Wie ist die Verquickung eines guten Gewissens im Dienste der Himmelskönigin mit Schuld (auf Seiten der Frauen als ,Mittäterinnen') und Leiden (ebenderselben als Opfer einer politischen Katastrophe) theologisch zu verarbeiten im Hinblick auf das Gottesbild nicht nur damals, sondern, in analogen Situationen, auch heute?

Abschließend eine Bemerkung zum Sprachgebrauch. Die Beweggründe, das "Alte" durch das "Erste" Testament zu ersetzen, leuchten ein. Daß damit Dialog gefördert wird, bleibt zu hoffen. Theologische Unterschiede und religiöse Ansprüche werden damit nicht ausgeglichen; wohl aber ergibt sich innerchristlich (z. B. Hebr 8) Dissens.