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Ausgabe:

Juli/August/1996

Spalte:

655–658

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Zwickel, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Der Tempelkult in Kanaan und Israel. Studien zur Kultgeschichte Palästinas von der Mittelbronzezeit bis zum Untergang Judas.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1994. XVI, 424 S. gr. 8o = Forschungen zum Alten Testament, 10. Lw. DM 228,-. ISBN 3-16-146218-1.

Rezensent:

Diethelm Conrad

Das anzuzeigende Buch ist die Druckfassung seiner Kieler Habilitationschrift von 1992, mit dem W. Zwickel ein weiteres umfangreiches Werk zu einem, ja dem kultgeschichtlichen Thema vorlegt. Nach den kultgeschichtlichen Forschungen der 50er und frühen 60er Jahre zum offiziellen Kult, den Kultritualen, den Opfern und Festen waren im letzten Jahrzehnt besonders Fragen der religiösen Vorstellungswelt, der persönlichen Frömmigkeit und des privaten Kults an der Reihe. "Der offizielle (Opfer-)Kult der vorexilischen Periode fand dagegen in den letzten Jahren kaum mehr Beachtung" (3). Diese Lücke möchte der Vf. mit seiner Arbeit füllen. Dabei will er zur Überprüfung älterer Thesen und zur Rekonstruktion der Kultgeschichte vor allem auch Ergebnisse der Archäologie als eigenständige Quellen einbringen.

Das Buch gliedert sich in 8 Kapitel, zwei Anhänge, ein ausführliches Literaturverzeichnis (377-415) sowie ein Stellen- und ein Sachregister (417-424). In einem ersten Kapitel Einführung (1-7) gibt der Vf. zunächst einen kurzen Abriß der Forschungsgeschichte zum Thema. Dabei stellt er u.a. fest, daß die nachexilischen Texte (Dtr, P) relativ gut erforscht seien, daß das aber nicht für die Texte der vorexilischen Periode zutrifft. In einer diachronen Vorgehensweise will er deshalb bei den ältesten Texten einsetzen. Und: "Nur die Zusammenschau aller zeitgleichen Texte kann ein einigermaßen korrektes Bild der kultgeschichtlichen Verhältnisse einer jeden Epoche vermitteln" (4). Die These: die kultischen Ordnungen Israels haben sich lange unverändert erhalten, soll dabei überprüft werden. Die Bedeutung archäologischer Ergebnisse wurde schon erwähnt. Auf sie ist man vor allem bei der Rekonstruktion des kanaanäischen Kults angewiesen. Der Vf. betont in diesem Zusammenhang aber zurecht, daß die archäologischen wie die literarischen Quellen zunächst mit den je eigenen Methoden zu bearbeiten und (auch kultgeschichtlich) auszuwerten sind. Erst danach können die jeweiligen "Befunde derselben Epoche miteinander verglichen und zur gegenseitigen Erklärung herangezogen werden" (5). Dementsprechend werden zunächst in einem archäologischen Teil (Kap. 2-6) alle derzeit bekannten Kultstätten aus Palästina diskutiert, im Gebiet von "Dan bis Beerscheba", von der Mittelbronzezeit bis 586 v. Chr., wie schon der Untertitel des Buches angibt. Der exegetisch-literarische Teil (Kap. 7 und die beiden Anhänge) behandelt dann die Entwicklung der Opferpraxis nach den alttestamentlichen Texten. In Kap. 8 Ausblick (340-344) werden die Ergebnisse der Untersuchungen nochmals zusammenfassend diskutiert.

Im Kap. 2 Methodische Vorüberlegungen zur Bestimmung von Kultbauten (8-16) setzt sich der Vf. zunächst kritisch mit dem Problem auseinander, wann denn ein ergrabener Gebäuderest als Kultgebäude interpretiert werden darf, wie sich ein Kultbau von einem Profangebäude unterscheidet. Dazu definiert er auch Begriffe wie Tempel, Kapelle, Nebenraum/-haus, Kultstätte, Kulthöhe (Bamah), Privatkult. Da religionsgeschichtliche Überlegungen zur Frage "Was ist ein Tempel?" nicht weiterhelfen (vgl. die Diskussion mit Lundquist, 10 ff.), sucht der Vf. dafür nach archäologischen Kriterien. So fordert er sorgfältige Untersuchung 1. der Architektur und deren Struktur im Vergleich mit anderen Bauwerken, 2. der vorhandenen typischen und möglicherweise kultisch zu interpretierenden Installationen (u.a. Depositbänke, Podien, Altäre, Brandplätze), 3. der Kleinfunde und deren (ggf. kultische) Konnotationen und 4. der möglichen kultischen Kontinuität aufgrund von Vorgängerbauten. Dabei ist keines der Kriterien für sich alleine anzuwenden.

In den Kapiteln 3 Die Mittelbronzezeit (17-74), 4 Die Spätbronzezeit (75-203), 5 Die Eisenzeit I (204-239) und 6 Die Eisenzeit II (240-284) geht der Vf. jeweils in gleicher Weise vor. Zuerst diskutiert er die Anlagen, die keine Kultstätten darstellen, dann die, deren kultische Funktion umstritten ist. Dann folgt die ausführliche Darstellung der (tatsächlichen) Kultstätten. Dabei greift der Vf. nach Möglichkeit auf die (originalen) Ausgrabungspublikationen zurück, berücksichtigt aber auch die inzwischen erfolgte Diskussion, außerdem wird seine Darstellung durch die Wiedergabe zahlreicher Planskizzen (insgesamt 49 Abbildungen) unterstützt. Den Abschluß oder eher Höhepunkt eines jeden Kapitels bildet die Auswertung. In ihr versucht der Vf. aus den zuvor dargestellten Elementen, ein zusammenfassendes Bild der Kultgeschichte der betreffenden Periode zu beschreiben.

Leider kann ich hier nicht auf Details eingehen; aber es werden hier Themen behandelt wie Lage der Kultstätten in oder außerhalb von Städten und in Dörfern; Gestaltung der Tempel als Breit- oder Längsräume, mit direktem oder indirektem Zugang, was vielleicht Nähe oder Distanz der Beter andeutet; Zunahme und Abnahme von Depositbänken, Podien und Nischen; Stelenreihen; Figurinen von Göttern und Göttinnen verschiedenen Typs; verschiedenartige Kultgefäße; symbolische und reale Opfer, Kultmahlzeiten, Feuerstellen zum Kochen und Backen, Altäre zum Schlachten, Opfern und Räuchern; Gefäße zum Libieren oder auch für Abgaben; Rhythmusinstrumente (für Kultmusik?). Die reichhaltigsten Ergebnisse gibt es dabei für die Spätbronzezeit, während sie für die gesamte Eisenzeit sehr bescheiden ausfallen.

Hier in den archäologischen Kapiteln liegt die Stärke dieses Buches. Die Ausgrabungsergebnisse werden sorgfältig, aber auch kritisch registriert und nach den zuvor beschriebenen Methoden behutsam ausgewertet, selbst wenn man an verschiedenen kleineren Punkten anderer Meinung sein kann. Allerdings müssen m.E. bei einer künftigen zusammenfassenden Kultgeschichte Kanaans und Israel/Judas die Ergebnisse viel stärker in einen allgemeinen kulturgeschichtlichen und politisch-historischen Zusammenhang eingeordnet und mit diesen zusammen interpretiert werden (z.B. die Einflüsse aus dem Norden, der Zusammenhang Stadtregent-Stadttempel in der MB-Zeit; in der E I-Zeit Trennung von [Küsten-]Ebenen und Bergland).

Mit Kap. 7 Die Entwicklung der Opferpraxis nach den alttestamentlichen Texten (285-339) beginnt der exegetisch-literarische Teil des Buches. In ihm bespricht der Vf. die Texte, die er zur Entlastung der Darstellung in Anhang I Datierung der Belegstellen für Kultbegriffe im Alten Testament (345-372) gesammelt und im Anhang II Historische Auswertung der Tabellen in Anhang I (373-376) zeitlich geordnet hat. Der Reihe nach behandelt er Texte aus vorstaatlicher Zeit, aus dem 10. Jh. (inklusive J), aus dem 9. Jh., die Festkalender in Ex 23 und 34, Texte aus dem 8. Jh. (inklusive Prophetentexte), den elohistischen Fragmenten und dem Jehowisten zugewiesene Belegstellen (mit Exkurs: Die Kultreform des Hiskia), das Deuteronomium und sonstige Texte des 7. Jh.s (bis einschließlich 586 v.Chr.).

Zweifellos hätte eine eigene literarkritische, überlieferungs- und traditionsgeschichtliche Untersuchung der wichtigsten Texte den Rahmen des Buches bei weitem überschritten. Insofern ist es sicher gerechtfertigt, die benötigten Angaben für die entsprechenden Datierungen aus der exegetischen Literatur zu kompilieren. Es fällt jedoch auf, daß der Vf. in literargeschichtlichen Fragen einen außerordentlich konservativen Standpunkt einnimmt (etwa in Fragen der Entstehung des Pentateuch, aber auch der Prophetenbücher). Da hier in der exegetischen Forschung schon lange kein Konsens mehr besteht, ist die Datierung von kultgeschichtlichen Erscheinungen mit Hilfe dieser Texte jedoch fragwürdig.

Im Kap. 8 Ausblick (340-344) stellt der Vf. zwei Ergebnisse seiner Untersuchung dar, die er für die wichtigsten hält. Einmal: Entgegen der o.g. These unterlag der Kult in Israel und Juda im Verlauf der Jahrhunderte durchaus einem wesentlichen Wandel. So sei das ursprünglich bedeutendste Opfer, das Gemeinschaftsopfer, langsam durch das Brandopfer überflügelt worden, auch die Festkalender haben sich in der vorexilischen Zeit verändert, bis hin zur Kultzentralisation unter Josia. "Aus dem lokalen Familienkult... war so letztendlich ein priesterlich kontrollierter Zentralkult geworden" (341). Das zweite: Der Vf. nennt eine Reihe von Ergebnissen, die sich aus der Kultgeschichte des Übergangs von der Spätbronze- zur Eisenzeit ergeben hätten und die gegen neuere Modelle von der Landnahme Israels sprechen, wobei sie vor allem mit den soziologischen Modellen nicht vereinbar seien. M. E. argumentiert der Vf. hier aber viel so kurz und knapp sowie viel zu wenig differenziert, so daß mich seine Argumente nicht überzeugt haben.

Das hier besprochene Buch ist - bei aller Kritik, die man gegen es haben kann - ein wichtiger, vor allem die archäologische Seite weitgehend abdeckender Beitrag zur Kultgeschichte Palästinas. Es ist gut zu lesen und enthält nur wenige irritierende (Druck-)Fehler. Jede künftige Arbeit zu kultgeschichtlichen Fragen wird es berücksichtigen müssen.