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Ausgabe:

September/1997

Spalte:

801 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Wysny, Andreas

Titel/Untertitel:

Die Erzählungen von Bel und dem Drachen. Untersuchung zu Dan 14.

Verlag:

Stuttgart: Kath. Bibelwerk 1996. 366 S. 8 = Stuttgarter biblische Beiträge, 33. Kart. DM 89,-. ISBN 3-460-00331-6.

Rezensent:

Ernst Haag

Das Anliegen dieser bei E. Zenger (Münster) angefertigten Dissertation ist, wie der Vf. einleitend formuliert, die Beschäftigung mit den Erzählungen von Bel und dem Drachen in Dan 14 "zum Zweck der Dokumentation der Wichtigkeit und Schönheit der Geschichten im Hinblick auf die bestehenden Forschungsmeinungen und in Hoffnung auf eine größere Diskussion deuterokanonischer Schriften" (11 f.).

Ausgangspunkt der Studie ist die Ermittlung des Textes, der für Dan 14 bekanntlich in zwei griechischen Versionen vorliegt: in der Version des Theodotion (TH), die seit dem 4./5. Jh. in den christlichen Kirchen die Vorherrschaft erlangte, und in der Version der Septuaginta (LXX), die durch die Auffindung des Papyrus 967 im Jahre 1931 und dessen Veröffentlichung im Jahre 1968 nach Jahrhunderten der Verdrängung neue Bedeutung erlangt hat. Nach einem kurzen Überblick über die Wertschätzung, die Dan14 bei Juden und Christen gefunden und zu einer unterschiedlichen Beurteilung in der Kanonfrage geführt hat, untersucht der Vf. in einer breit angelegten Analyse zunächst den Stil und die Syntax der beiden griechischen Versionen, fährt dann fort mit narrativen Beobachtungen zu der Personenkonstellation in den Erzählungen von Bel und dem Drachen und schließt mit der Literarkritik der beiden Texte. Hierbei gelangt der Vf. zu dem Ergebnis, daß der LXX unbedingt die Priorität zukomme gegen-über TH, der sich wegen der konsequenteren Zeichnung der auftretenden Personen und wegen der seiner Darstellung zugrunde gelegten Chronologie und Logik als der jüngere, die Vorlage der LXX korrigierende und anders pointierende Erzähler erweise. Die literarische Gattung der beiden Geschichten in Dan 14 be-stimmt der Vf. als weisheitliche Lehrerzählungen mit einer in gleicher Weise erbaulichen und unterhaltsamen Zielsetzung.

Zurückhaltend beurteilt der Vf. bei Dan 14 die Frage nach einem semitischen Original, dessen Annahme er bei dem jetzigen Kenntnisstand der Forschung nicht unbedingt für notwendig hält. Hinsichtlich der in Dan 14 verarbeiteten Traditionen und Motive stellt der Vf. fest, daß die Geschichten von Bel und dem Drachen aus der großen Erzähltradition stammen, die sich in Israel mit Bezug auf Daniel als Symbolfigur der schriftgelehrten Weisheit gebildet hat, und daß sich von daher auch die Ähnlichkeit mit Motiven aus anderen Büchern des Alten Testaments hinreichend erklären läßt. Den Grund für die Einfügung der Habakukepisode in Dan 14 (V. 33-39) nebst Überschrift (LXX: V. 1) sieht der Vf. darin, daß sie allem Anschein nach dem Erzähler als Interpreta-tionshilfe gedient hat; zur Demonstration der Machtfülle Gottes in einer ausweglosen Situation und zur Akzentuierung der Polemik gegen den Staatskult und die ihn stützende Ideologie.

Als entstehungsgeschichtlicher Kontext für die LXX-Version kommt, wie der Vf. mit guten Gründen wahrscheinlich macht, Alexandria zwischen 145 und 188 v. Chr. in Frage, wo als Erfahrungshintergrund für die Drachengeschichte vor allem die dortige Verehrung des Agathos Daimon hervorzuheben ist. Der Autor von Dan 14 ist ebenso wie seine Adressaten in Alexandria beheimatet gewesen und hat allem Anschein nach dort zu den gebildeten Kreisen der jüdischen Oberschicht gehört, was auch für den Redaktor der Habakuknotizen gilt. TH hingegen hat die LXX-Version zwischen 80 v. und 50 n. Chr. in Palästina bearbeitet und in seinem Sinn umgestaltet. Mit einer ausführlichen Interpreta-tion der theologischen Aussagen sowohl in der LXX- wie auch in der TH-Version und einem Vergleich der Intentionen beider Er-zählungen beschließt der Vf. seine Untersuchung von Dan 14. Als hilfreich empfindet man, daß der Vf. den Text der beiden griechischen Versionen mitsamt einer Interlinearübersetzung ins Deutsche der Untersuchung als Anhang hinzugefügt hat.

Die Dissertation macht insgesamt einen erfreulichen Eindruck: einmal wegen der mit überzeugender Begründung vorgetragenen Thesen, sodann aber auch wegen der Pionierleistung, die hier mit der Untersuchung von Dan 14 auf dem Gebiet der Erforschung der deuterokanonischen Literatur des Alten Testaments vollbracht worden ist. Störend ist im äußeren Erscheinungsbild der Dissertation die hohe Zahl der Druckfehler in den Anmerkungen, wo gegen die Regeln der Orthographie am Satzanfang die Kleinschreibung vorherrscht.