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Ausgabe:

Juli/August/1997

Spalte:

661–663

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schmitt, Armin

Titel/Untertitel:

Wende des Lebens. Untersuchungen zu einem Situations-Motiv der Bibel.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1996. XI, 325 S. 8 = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 237. Lw. DM 168,-. ISBN 3-11-014757-2.

Rezensent:

Wolfram Herrmann

Die mit dem babylonischen Zeitalter einsetzende Ära jüdischer Geschichte ist überaus reich an Gedanken gerade auch in dem Versuch, vom Glauben her Leben zu meistern und Schicksal zu bewältigen. Parallel laufend beobachtet man die weisheitlich begründete und - wie Sch. expliziert (188 f.) - neben den von ihm behandelten Stücken ebenfalls den Erzählblock Ex 1-15 durchziehende Frage nach dem persönlichen Geschick des Einzelmenschen und die nach dem der Juden als Volksganzem oder ausgegliederter Gruppe, nämlich der Minderbegüterten und/ oder derer, die treu den Glauben an Gott bewahrten und daraus ihr Handeln ableiteten.

Ausgehend von der Realitätserfahrung, daß überkommene Auffassungen bezüglich der Korrelation zwischen Verhalten und Ergehen nicht mehr die Wirklichkeit erfaßten, weil mit dem Untergang der Staaten Israel und Juda die ihre Bevölkerung bis dahin tragende Sippenbindung sich aufzulösen begann und vorher während der Spätphase der historischen Zeit eine Strukturierung im Volk entstanden war und beide soziologischen Er-scheinungen in der folgenden Geschichte nebeneinander her existierten, verursachten so geartete Bedingungen die Frage nach oder gar den Zweifel an der Gerechtigkeit Gottes, was im letzten auch die Erkenntnis auslöste und zum geistigen Besitz werden lassen konnte, daß Armut, Schicksalsschläge und Be-drückung Kennzeichen der frommen und von Gott geliebten Menschen sind. Da aber das menschliche Leben in vielen, wenn nicht den meisten Fällen keineswegs einseitig charakterisiert verläuft, keimten die Erfahrung und Hoffnung auf, göttlich gefügtes Gutes nach dem Durchleiden von Not erleben und sein eigen nennen zu dürfen. Der Glaube orientierte sich an Schilderungen solcher Erlebnisse oder richtete sich erwartend in die Zukunft. Dieser Problematik widmete sich Sch., indem er die uns literarisch vermittelten Partien des israelitisch-jüdischen Schrifttums durchmusterte, welche von einem Wandel der tristen Gegenwart hin zu Freude, göttlicher Hilfe und erträglichem Los reden, und den Nachdruck seiner Erörterungen auf eben den angesprochenen Sachverhalt legte. Mit Recht zog er dazu die proto- und deuterokanonische Literatur des Alten Testaments, auch die pseudonyme (außerkanonische) heran.

Ausdrücklich beschränkte sich Sch. auf Stücke, welche das Gegenüber von Bösen und Guten beinhalten, das meint, von einerseits gewissenlosen, rücksichtslosen und anmaßenden Menschen, die gleichzeitig Erfolg haben und begütert sind, und auf der anderen Seite Menschen, die voller Skrupel, freundlich und glaubenstreu sind, durch die Gewalttätigen hingegen in Be-nachteiligung und Drangsal geraten. Die Untersuchungen be-schäftigen sich also mit einer grundlegenden Lebensproblematik, die religiös bedacht wurde, denn es geht - wie man liest - "um Enthüllung und Deutung menschlicher Existenz heute und in späterer Zeit" (12).

In ausnehmender Weise hat Sch. die erforderlichen Voraussetzungen, das Sujet umfänglich und sachgerecht zu entfalten, weil er dazu bereits relevante Arbeiten veröffentlichte. Vorliegender Studie gliederte er nochmals die zur Thematik gehörenden Texteinheiten Ps 73 und Sap 1,1-6,21 ein, insofern darüber in der Zwischenzeit weiterführende Publikationen erschienen sind. Generell ist zu zeigen, wie die jeweils von Anfang an be-stehende oder irgendwann verursachte mißliche Lage, in welcher die Rechtschaffenen sich befinden, eine Umkehrung, die den Positionstausch mit den Übeltätern bedeutet, erfährt, aufgewiesen an der sie herbeiführenden Peripetie. Allseitig hat sich in den Texten "ein Stück Hoffnung" niedergeschlagen, die weisheitlich, theologiegeschichtlich und historisch begründet ist. Dabei gilt auch: "Ohnmacht, Betroffenheit und Eingeständnis schwerer Irrtümer der vor kurzem noch tonangebenden und skrupellosen Gewaltmenschen widerspricht der allgemeinen Er-fahrung" (32).

Das Motiv der Umkehrung der Ereignisse ist nun freilich in der anvisierten Literatur nicht durchweg das einzige beherrschende. Allein diesem wendet sich jedoch hier die Aufmerksamkeit zu. Daß die bearbeiteten Partien auch über andere Ak-zentuierungen verfügen, worauf Sch. selbst in der Einleitung hinweist, bleibt dabei unbenommen, sind sie doch ein Kennzeichen wertbeständiger Literatur.

Sch. stellte Sap 1,1-6,21 - obwohl inhaltlich in den dritten Teil gehö-rend- an den Anfang, denn daran können die einzelnen Erscheinungen als Typen gezeigt werden. Obendrein interpretierte er diese Einheit schon an-derweitig eingehend. Sie enthält dramatische Elemente, da bekanntlich der Konflikt entgegengesetzter Kräfte das Drama konstituiert. Es sind die Komponenten nachweisbar, welche dem Aufbau des Dramas in Exposition, aufsteigender Handlung, Höhepunkt mit Peripetie, Katabasis und Ausklang (Lösung, Wendung) entsprechen. Vor dem Umschwung ist hier ein "meditativer Block" eingeschaltet (3,1-4,19), der die Stelle des Chorliedes im griechischen Drama einnimmt und welcher das Los der Gerechten und Frevler reflektiert. Er dient dem Verständnis der Fragestellung, indem er darlegt, wie der Glaube damit umgeht und eine Deutung sucht.

Im folgenden zweiten Teil behandelt Sch. die Umkehrung der Ereignisse in zurückliegender Zeit. Sie ist in folgenden Erzählungen zu finden: Susanna; Dan 6,2-29; Ester; Josefsgeschichte; Judit; Achikartexte. An ihnen können Leser oder Hörer sich orientieren, denn eine wichtige Seite der genannten literarischen Produkte liegt tatsächlich darin, Lebenshilfe bereitzustellen. Es charakterisieren sie ebenso wie Sap 1-6 die dramatischen Elemente, ein reversibles Strukturmuster oder gegenläufige Vorgänge, die Rekurrenz, also Wiederaufnahme der gleichen Wörter und Wendungen, und die Anagnorisis, nämlich der Um-schlag von Unkenntnis in Erkenntnis. Das Entscheidende zu Sus faßt Sch. zusammen in einem Abschnitt, überschrieben "Kontrastfiguren und Namensgebung", und den roten Faden von Ester in "Die Stellung Gottes im Buch Ester". Die erzählerischen Einheiten verdeutlichen, daß man in der frühen jüdischen Literatur vielfach auf die ältere hinsichtlich verwendeter darstellerischer Mittel zurückgriff.

Bei der Besprechung der Verhörszene in der Susanna-Erzählung (58 f.) zitiert Sch. zu der zweimaligen Paronomasie im griechischen Text (schinos - schizein; prinos - kataprizein) die erste von H. Engel, Die Susanna-Erzählung, 1985, gewählte Wiedergabe: Sägebaum - zersägen. Dazu sollte die Nachahmung des doppelten Wortspiels durch Luther nicht unerwähnt bleiben; V. 54 f: Unter einer Linden - Der Engel des Herrn wird dich finden; V. 58 f: Unter einer Eichen - Der Engel des Herrn wird dich zeichen (d. i. zeichnen; WA Dt. Bibel, 12. Bd. [1961]: Historia von der Susanna und Daniel, Text von 1533 und 1545).

Der dritte Teil endlich befaßt sich mit der Umkehrung gegenwärtiger Verhältnisse in der Zukunft anhand von Ps 73; Mal 3,13-21 und 1Hen 92-105. Ps 73 ist weisheitlicher Provenienz. Sch. teilt die Überzeugung, der Autor erwarte im Tod Gemeinschaft mit Gott. Mal 3,13-21 verkörpert seiner Gattung nach ein Diskussionswort über das Geschick von Frommen und Frevlern. Der Henochbrief schließlich redet von Demütigung und Verfolgung der Gottesfürchtigen durch Menschen ohne religiöse Bindung. Gott aber wird aller Ungerechtigkeit ein Ende setzen.

Im Falle von Kompositionen geringeren Umfangs bietet Sch. eine eigene Übersetzung. Wiederholungen im Hinweis auf die literarische Gestaltung und andere Phänomene wollen offenbar der Verdeutlichung im einzelnen dienen. Man kann dadurch außerdem jeweilig nachschlagen und nachlesen und das zur Sache Notwendige vorfinden, das ausnahmslos eine beeindruckende Fülle des exegetisch Aufbereiteten kennzeichnet, betreffend den geschichtlichen Hintergrund, Entstehungszeit, Textüberlieferung, literarischen Aufbau, Fragen der Gattung, literarische Mittel (Rekurrenz, Isotopie, Kohäsion), literarische Bezüge und die Einzelbegrifflichkeit. Ferner schenkte Sch. seine Aufmerksamkeit strukturellen und kompositorischen, ebenso überlieferungsgeschichtlichen Erscheinungen.

Die Einleitung entfaltet die Veranlassung, prinzipielle Beobachtungen zur Thematik und das Vorgehen. Zum Beschluß der Darstellung schicksalhafter Wende in narrativer Form zeichnet Sch. den Hintergrund für die Entstehung solcher Erzählungen in theologischer, historischer und ideeller Hinsicht und geht dabei nochmals auf die literarische und sprachliche Gestaltung ein. Darüber hinaus gibt es andere Abschnitte, in denen er das jeweilige Fazit zieht. So durchleuchten bei Sap "Ergebnis" und "Die antithetische Ausrichtung des Buches der Weisheit insgesamt" (41-48) Aufbau und Ziel des besprochenen Teiles sowie die darin enthaltene Überzeugung. Andere Resümees findet man bei Dan 6,2-29 (90, 92), Ps 73 (240), Mal 3,13-21 (259-261) und dem He-nochbrief (285). Im Anschluß daran folgt als Bekrönung der Arbeit das Schlußwort (286-289). Es kann nur diese Teile zur Kenntnis nehmen, wer auf den exegetischen Nachweis verzichten will. In ihnen hat man den Leitfaden durch die Darlegungen.

Hilfreich dienen dabei Literaturverzeichnis und Stellenregister. An Druckfehlern sind nur einige wenige stehengeblieben. S. 67 Z. 5 ist vielleicht der Artikel vor ,Sohn' ausgefallen.

Schmitts Buch ist ein Beispiel dafür, wie die gründliche Be-schäftigung mit einem begrenzten Stoff den Blick für geistige Werte öffnen kann, die in seinem Horizont liegen. Man darf dem Autor dafür danken, die anstehenden Fragen bedacht und entfaltet und dadurch unserer Wissenschaft einen substantiellen Dienst geleistet zu haben.