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Ausgabe:

Mai/1996

Spalte:

437–439

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Brian B.

Titel/Untertitel:

Israel's Beneficent Dead. Ancestor Cult and Necromancy in Ancient Israelite Religion and Tradition.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1994. XV, 400 S. gr.8o = Forschungen zum Alten Testament, 11. Lw. DM 158,-. ISBN 3-16-146221-1.

Rezensent:

Ludwig Wächter

Die vorliegende Untersuchung sucht die Frage zu beantworten, ob die alten Israeliten an eine übernatürliche wohltätige Kraft, die von Verstorbenen ausgeht, glaubten oder nicht, und wenn dies der Fall gewesen sein sollte, was der Ursprung, die Geschichte und der Charakter dieses Glaubens war. Um zu einem begründeten Urteil zu gelangen und die diese Bereiche berührenden Texte historisch zutreffend einordnen zu können, wird der geographische Rahmen recht weit gesteckt.

Kapitel 2 und 3 behandeln die außerbiblischen Bezeugungen von Syrien-Palästina: Kap. 2 aus dem späten 3. zum frühen 2. Jahrtausend v. Chr. (Texte von Ebla und Mari); Kap. 3 aus dem mittleren und späten 2. Jahrtausend v. Chr. (Texte von Ugarit, Nuzi und Emar). Kap. 4, das sich mit dem Zeugnis der hebrä-ischen Bibel befaßt, wird eingeleitet mit (4,1): "The Extra-biblical Textual Evidence from Syria-Palestine: The Early to Mid- First Millenium B. C. E.", und es wird in diesem Kapitel auch immer wieder auf Texte der Umwelt des Alten Testaments Bezug genommen.

Kap. 1 "Mortuary Rites: A Descriptive Glossary" klärt wichtige terminologische Vorfragen, ein Verfahren, das darum nötig ist, weil in der Literatur etwa mit dem Begriff "Totenkult", der den Gedanken an eine religiöse Verehrung des Verstorbenen suggeriert, vielfach recht leichtfertig umgegangen wird. Unter dem Oberbegriff "Mortuary Rites" werden die mit Tod und Begräbnis zusammenhängenden Riten zusammengefaßt. Aus den "Situationally Observed Rites" (Bestattung, Begräbnis, Totenklage) läßt sich nicht auf den Glauben an übernatürliche Kräfte des Verstorbenen schließen, auch nicht aus den "Regularly Instituted Cults", die der Pflege und Verpflegung des Toten dienen sowie dem Gedenken an ihn, setzen sie doch seine Bedürftigkeit voraus. Anders steht es bei der Verehrung oder Anbetung des verstorbenen Ahnen. Erst recht ist dies der Fall bei den "Magical Mortuary Rites", zu denen vor allem die Nekromantie zählt.

Bei der Untersuchung der Texte von Ras-Schamra-Ugarit wird ausführlich auf die rp'um eingegangen, die seit der Entdeckung und Entzifferung dieser Texte je verschieden interpretiert worden sind: entweder als Götter oder als Totenschatten (Totengeister) oder als lebende Personen. Dem Konsensus, der sich herausgebildet hat, daß die rp'um synonym mit den toten vergöttlichten Königen sind (bzw. sie einschließen) und daß sie, als Begründer der Dynastie, übernatürliche fördernde Macht im Rahmen des königlichen Ahnenkultes ausübten, tritt der Vf. entgegen. Er plädiert dafür, daß es sich bei den rp'um ursprünglich um ein Kriegerkontingent im Dienst des ugaritischen Hofes gehandelt habe. Als viele davon im Kampfe gefallen waren, bekam der Begriff eine über den Tod hinausreichende Dimension, und unter rp'um konnten mythische Heroen verstanden werden.



Genau wie den rp'um-Texten ist der Vf. bei allen anderen Belegen aus dem syrischen Bereich, die als Hinweise auf einen Totenkult und eine von den Toten ausgehende Macht verstanden worden sind, in einer ständigen Auseinandersetzung mit der Forschung, etwa bei der Wertung der in Ugarit (und auch schon Ebla) gepflegten marzeah-Institution, die nach verbreiteter wissenschaftlicher Meinung mit einem Totenkult zusammengehangen habe. Diese Auffassung wird vom Vf. mit guten Gründen zurückgewiesen. Hier und anderwärts handelt es sich immer wieder um Fragen des Verständnisses bestimmter Termini und des Kontextes, in dem sie stehen. Die Entscheidungen fallen bei dem Vf. stets gegen das Vorhandensein eines Glaubens an die übernatürliche Macht des Verstorbenen. So kommt er zu dem Ergebnis (131): "Our findings... strongly suggest that an indigenous belief in the supernatural beneficent power of the dead remains unattested for the Syrian cultures at Ebla, Mari, Ugarit, and Emar of the third to second millenia". Auch die Untersuchung aramäischer Texte aus der ersten Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrtausends ergibt kein anderes Bild.

Anders steht es im Zweistromland, wo zweifellos der Glaube an eine von den Toten ausgehende Macht verbreitet war und Totenbeschwörung geübt wurde. Auf die älteren Zeugnisse hierfür (Gilgamesch-Epos) wird in diesem Buch nicht eingegangen, beschränkt es sich doch auf den syrisch-palästinensischen Raum, und da kommt Babylonien-Assyrien erst von da ab in den Blick, wo diese Mächte Syrien-Palästina beherrschten.

Anders scheint es auch im alten Israel zu stehen, wird Totenbeschwörung doch in der Bibel aus frühester Zeit berichtet. Um die Frage zu klären, ob dieser Zeitansatz wirklich zutreffend ist oder nicht mit einem späteren Eindringen von Totenverehrung und Totenbeschwörung nach Israel zu rechnen ist, werden in Kap. 4, eingeteilt in eine vorläufige chronologische Ordnung, alle alttestamentlichen Texte, die von Totenverehrung, Totenkult oder Nekromantie sprechen oder von der Forschung bisher als Belege hierfür angenommen worden sind, untersucht.

Begonnen wird mit der vorexilischen prophetischen Literatur, wobei Amos 6,7; Jes 8,19-23; 19,3; 28,7-22 und 29,4 behandelt werden. Am 6,7 wird darum von manchen mit einem Totenkult in Verbindung gebracht, weil der Terminus marzeah fällt. Er hat aber ebensowenig wie bei den Texten aus Ebla und Ugarit mit dem Totenkult zu tun.

Die herangezogenen Jesajatexte, mit Ausnahme von 28,7-22, handeln - es fallen die hierfür kennzeichnenden Termini 'ôb und jidde ' onîm, vom Vf. übersetzt mit "One-who-returns" und "the knowers" - zweifellos von Nekromantie. Diese Stellen stammen nach Meinung des Vf.s nicht von Jesaja selbst, sondern von einem "post-Isaianic redactor with a dtr orientation". Seine Polemik, eine Reaktion auf den wachsenden mesopotamischen religiösen Einfluß, sei nachträglich in die jesajanischen Traditionen eingefügt worden. Bei den vorexilischen Propheten habe weder Nekromantie noch Ahnenkult eine Rolle gespielt, weil es so etwas im vorexilischen Israel nicht gegeben habe (so 164 f.).

Anschließend wird auf deuteronomische Gesetzestexte eingegangen: Dtn 14,1; 18,11; 26,14. Hiervon handelt lediglich 18,11 von Nekromantie: Unter der Gruppe der sieben oder acht mantischen Praktiken, die den Vorbewohnern Palästinas zugeschrieben werden, wird auch genannt so'el 'ôb wejidde'onî "he who inquires of the One-who-returns and the knower". Dtn 14,1 wendet sich gegen zwei besonders drastische Trauerbräuche: sich Einschnitte zu machen und sich eine Glatze vorn am Kopf zu scheren, was, wie der Vf. zu Recht bemerkt, weder mit einem Totenkult noch mit einem Ahnenkult etwas zu tun hat. Dtn 26,14 läßt bei welo' - natattî lemet mehrere Interpretationen zu: "für einen Toten", "einem Toten" oder "wegen eines Toten". Der Vf. entscheidet sich für die letzte Möglichkeit, und dann ist auf keinen Fall mit Totenspeisung oder gar Totenkult zu rechnen.

Es folgt die Untersuchung von drei Texten, die vom Vf. zum deuteronomistischen Geschichtswerk (DtrG) gezählt werden: 1Sam 28,3-25; 2Kön 21,6; 23,24. Es mag überraschen, die anschauliche Erzählung über den Besuch Sauls bei der Totenbeschwörerin von Endor in das DtrG eingereiht zu sehen. Der Vf. geht mit seiner Datierung sogar noch ein Stück weiter. Er meint, "to be sure, there are independent arguments for the post-dtr character of 28:3-25" (so 205), und er betrachtet das Kapitel als eine späte Komposition.

In 2Kön 21,6 wird die Befragung von 'ôb und jidde'onîm und Sonderzeichen unter den verabscheuenswerten Handlungen Manasses aufgeführt, und in 2Kön 23,24 gehört sie zu dem, was Josia in seiner Reform abschafft. Es ist bemerkenswert, daß in der dtr religiösen Kritik an den israelitisch-judäischen Königen vor Manasse weder Totenkult noch Nekromantie erwähnt wird. Daraus ist nach dem Vf. zu folgern (241 u. ö.), daß erst während Manasses Herrschaft in Juda Nekromantie aufkam, hervorgerufen durch den religiös-kultischen Einfluß, den Assyrien ausübte, wo Totenkult und Nekromantie verbreitet war.

Damit wird das Bild, das durch die biblische Darstellung gegeben ist und das weitgehend auch die bisherigen Entwürfe der israelitisch-judäischen Religionsgeschichte beherrschte, entscheidend abgewandelt: Der Glaube an übernatürliche se-genbringende Macht von Toten, derer man sich durch Nekromantie bedienen konnte, ist nicht mehr etwas, was in Israel seit alters verbreitet war (1Sam 28), schon von den Vorbewohnern her (Dtn 18,11), dann unterdrückt wurde und später wieder ans Licht trat; es ist vielmehr etwas, das über Israel-Juda hereinbrach als mesopotamische Großmächte die Oberherrschaft gewannen und damit auch eine Abhängigkeit im religiös-kultischen Bereich erzwangen.

Um das Bild abzurunden, wird dann auf einige exilische und nachexilische Prophetentexte (Jer 16,5; Ez 43,7.9; Jes 57,6; 65,4) sowie auf Psalmenstellen eingegangen, die in der Forschung mit Nekromantie und/oder Totenkult in Verbindung ge-bracht worden sind, oder, wie Jes 65,4, tatsächlich von solcher Praxis berichten. Ein Exkurs beschäftigt sich mit dem Problem der im Alten Testament erwähnten Rephaim. In der "Conclusion" am Schluß werden die Linien etwas weiter gezogen. Es wird u. a. danach gefragt, wodurch zu Manasses Zeiten und später noch in Juda der religiös-kulturelle Boden für die Aufnahme so fremder Bräuche wie der Nekromantie bereitet war.

Das Buch bringt einen guten Einblick in religiöse Vorstellungen, die im syrisch-palästinensischen Raum lebendig waren. Mit gewichtigen Argumenten wird die in ihm aufgestellte These gestützt, daß es den Glauben an eine übernatürliche Kraft von Verstorbenen und den Brauch der Nekromantie vor der Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends im westsemitischen Bereich nicht gegeben habe, wobei Israel keine Ausnahme mache. Mit seiner These und den vorgebrachten Argumenten wird das Buch die wissenschaftliche Diskussion unter Orientalisten und Alttestamentlern gewiß anregen.