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Ausgabe:

September/1996

Spalte:

824–826

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Moor, Johannes C. de [Ed.]

Titel/Untertitel:

Synchronic or Diachronic? A Debate on Method in Old Testament Exegesis. Papers from the Ninth Joint Meeting of Het Oudtestamentisch Werkgezelshap in Nederland en Belgie and the Society for Old Testament Study, held at Kampen 1994.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1995. VIII, 255 S., 1 Taf. gr. 8o = Oudtestamentische Studien, 34. Lw. hfl 145.-. ISBN 90-04-10342-2.

Rezensent:

Aaron Schart

Die Exegese befindet sich, das läßt sich wohl ohne Übertreibung diagnostizieren, zur Zeit in einer hitzigen methodologischen Debatte. Leider ist es Mode geworden, neue methodologische Impulse (z. B. reader-response criticism, Textlinguistik, Sozialgeschichte, psychologische, feministische, befreiungstheologische und strukturalistische Exegese) so zu präsentieren, als seien sie in die verschiedenen Arbeitsschritte der historisch-kritischen Methode nicht nur nicht integrierbar, sondern würden diese sogar ersetzen. Die Schlagworte "synchron" und "dia-chron" spielen in dieser Debatte eine zentrale Rolle. Sie wurden deshalb im August 1994 zum Thema einer Konferenz der "Oudtestamentisch Werkgezelshap in Nederland en Belgie" und der "Society for Old Testament Study" in Kampen gemacht. Der vorliegende Band enthält 13 Beiträge in alphabetischer Folge, die auf diese Konferenz zurückgehen.

James Barr (1-14), der in seinem ersten Buch "The Semantics of Biblical Language" (1961) angetreten war, um den Er-klärungswert diachroner, vor allem etymologischer Forschungen in die Grenzen zu weisen, äußert in seinem Beitrag Skepsis, ob die inzwischen sprunghaft angestiegene Zahl von synchron vorgehenden Beiträgen die Forschung wirklich weiter gebracht hat, da "both the diachronic and the synchronic belong within the historical method and are not in opposition to it"(8). Ein Text muß sowohl innerhalb seines geschichtlichen Entstehungs- und Rezeptionsprozesses (diachron) als auch innerhalb seines sprachlichen und gesellschaftlichen Systems (synchron) verortet werden, will man ihn angemessen verstehen.

Willem A. M. Beuken (15-38) legt eine detaillierte Studie zu Jes 28 vor, in der er zeigt, daß es die Endredaktion wohl bewußt vermieden hat, die angeredeten Personen eindeutig zu identifizieren. Diese Technik des "Blurring of the Actants" (31) hat zur Folge, daß die Angeredeten ihre historische Identität verlieren und es den Lesern leichter gemacht wird, sich selbst in ihnen wiederzuerkennen.

Robert P. Carroll (39-51) geht zwei interessanten Widersprüchen innerhalb des Jeremiabuches nach. In Jer 23,9-40 gelte es als entscheidendes Kriterium für die Identifizierung falscher Prophetie, daß es dieser nicht gelänge, ihre Hörer zur Umkehr zu bewegen. Nach Jer 25,3-7 ist dem Auftreten Jeremias aber genauso wenig Erfolg beschieden gewesen. Muß er deshalb nicht als falscher Prophet identifiziert werden? Ein weiterer Widerspruch ist darin zu finden, daß Nebukadnezzar in Jer 25,9; 27,6 (MT) als "mein (=YHWHs) Knecht", in Jer 51,34 dagegen als fürchterlicher "Drache" dargestellt wird. Diese Widersprüche lassen sich für eine synchrone Lektüre kaum ausgleichen. Erklärungskräftiger ist die These, daß die verschiedenen Texte Konzeptionen verschiedener Trägerkreise, z. B. die Diaspora für die Vorstellung von Nebukadnezzar als Knecht und Kreise in Israel für die "Drachen"-Konzeption, repräsentieren, die durch die Endredaktion unausgeglichen nebeneinander gestellt wurden. Daraus folgt: "The only way I can rescue a synchronic reading is to do it in a diachronic way!"(50).

David J. A. Clines (52-71) gibt einige Eindrücke eines Workshops wider, den er zum Thema "Beyond Synchronic/ Diachronic" auf dem Kongreß geleitet hatte. Bei diesem Beitrag sind vor allem die hochschuldidaktischen Überlegungen interessant.

Meindert Dijkstra (72-97) präsentiert einen Versuch, das älteste mündliche Stadium der Bileam-Erzählung (Num 22-24) zu datieren. Als entscheidendes Argument benutzt er die in der Erzählung verankerten Ortsangaben und fragt, in welcher Phase der Geschichte Israels eine Erzählung entstanden sein kann, die beim Leser mit genauer Kenntnis der Gegend um den Berg Nebo rechnet. Mit dieser Methode kann man natürlich nur das Alter des Erzählstoffes, nicht jedoch die (End-) Gestalt des Textes bestimmen.

Jacob Hoftijzer (98-114) verweist auf die Chronikbücher als wichtiges Beispiel für die Problemlage, da deren literarische Vorlagen in Gestalt von 1Sam-2Kön noch erhalten sind. Ein Vergleich von Chron mit seinen Vorlagen zeigt einerseits, daß es den chronistischen Redaktoren gelungen ist, einen kohärenten Text zu produzieren, der in vielen Fällen keine der Indikatoren aufweist, die die Literarkritik benötigt, um solche Vorlagen aus dem Endtext heraus zu rekonstruieren. Andererseits zeigt sich, daß die Teile der Chron, die ohne Anhalt an einer Vorlage in 1Sam-2Kön formuliert wurden, andere linguistische Charakteristika aufweisen als die mit einer solchen, so verwenden sie z. B. signifikant häufiger das Lexem malkut gegenüber dem Synonym mamlakah.

Paul M. Joyce
(115-128) präsentiert einen Überblick über die Forschungslage zum Buch Ezechiel unter besonderer Berücksichtigung des Themas des Sammelbandes.

Edward Noort (129-144) zeigt am Beispiel des Themas "Land", wie das Verständnis des Textes Gen 15 wächst, je genauer man dessen Ort innerhalb der Geschichte des Nachdenkens über dieses Thema (Priesterschrift, späte Prophetie, Dtr) bestimmen kann.

John W. Rogerson (145-158) beschäftigt sich mit W. M. L. de Wette (1780-1849), einem der großen Wegbereiter moderner historisch-kritischer Forschung. Dessen Werk trug einerseits dazu bei, daß das biblische Geschichtsbild, wonach z. B. das ganze Gesetz am Sinai gegeben wurde, als unhistorisch erwiesen wurde, weshalb er unter die diachron vorgehenden Exegeten zu rechnen ist. Andererseits nahmen synchrone Fragen bei ihm einen hohen Stellenwert ein, so z. B. die später "formkritisch" genannte Klassifizierung der Psalmen. Dieser Beitrag zeigt, daß das öfters begegnende Bild von einer rein diachron interessierten historisch-kritischen Exegese lediglich eine Karikatur dieser Methode darstellt.

K. Spronk (159-186) präsentiert "a structural analysis according to the rules of the 'Kampen School'" (168) des Buches Nahum (diese Methode ist kompakt dargestellt in J. Kim, The Structure of the Samson Cycle, Kampen 1993, 118-134). Es zeigt sich, "that the book of Nahum is a well-structured literary unity. During the structural analysis, however, we also came across some indications of redactional activities."(182) Zu nennen ist etwa Nah 1, wo der Poet eigenhändig Teile eines ihm vorliegenden Hymnus seiner Schrift vorangestellt habe. Innerhalb von Nah 3,15-17 seien von einer das gesamte Zwölfprophetenbuch bearbeitenden Redaktion Glossen eingefügt worden, die die Heuschreckenmetaphorik des Joelbuches einbringen (vgl. Nogalski, [1993] Redactional Processes in the Book of the Twelve, 123-127).

Eep Talstra (187-210) legt eine "computer-assisted grammatical analysis" (194) von Dtn 9-10 vor. Das Ergebnis ist, daß dieser Text starke Brüche aufweist: "shifts in the plot", "in grammatical marking", "in linguistic text types", und "inconsistency in lexical material" (201). Am plausibelsten wird das durch die Annahme von drei Schichten erklärt: "first dtn. Layer" (Dtn 9,1-6.7-17*.21.25-28*; 10,1-5.10-11*), "second dtr. redaction" (Dtn 9,7-8*.18-20.22-24; 10,10*), "third layer the 'deuteronomic editor'" (Dtn 10,6-7; 10,8-10).

H. G. M. Williamson (211-226) reflektiert über den redaktionellen Status von Jes 1. Im Sinne der Endredaktion, die das Kapitel bewußt vor die ältere Überschrift Jes 2,1 gestellt habe, muß es als eine Einführung in das gesamte Jesajabuch (Kap. 1-66) gelesen werden.

Ellen J. van Wolde (227-244) äußert einerseits Bedenken gegen eine Literarkritik, die jede Dopplung im Text unbesehen als Bruch deutet, da solche Dopplungen ein wichtiges künstlerisches Gestaltungsmittel sein können. Anderseits sind aber auch synchrone Lektüreweisen abzuweisen, die die fundamentalen Differenzen zwischen dem biblisch-hebräischen und modernen Sprachsystemen nicht wahrnehmen, von denen sie zwei im Zuge eines "chronistic synchronic reading" (244) von Gen 24 in den Vordergrund rückt: zum einen die Vorstellung, daß Wort und bezeichnete Sache im AT nicht voneinander getrennt werden. So kann z. B. das hebräische Wort dabar, ein zentrales Leitwort in Gen 24, sowohl "Wort" als auch "Sache" bedeuten. Zum anderen werden in alttestamentlichen Erzählungen ganz selten Gefühle explizit benannt. Statt dessen, wieder ist Gen 24 ein Musterbeispiel, zitieren Figuren in ihren eigenen Reden häufig die Äußerungen anderer Aktanten. Derartige Phänomene führen dazu, "that the intended reader is involved with the Hebrew text in a way which differs from that of the contemporary reader" (244).

Für die methodologische Reflexion erscheinen die Beiträge von J. Barr, E. Talstra und E. J. van Wolde am interessantesten. Ansonsten besteht die Stärke dieses Sammelbandes darin, daß hier Exegeten und Exegetinnen in der praktischen Durchführung überzeugend demonstrieren, daß - übrigens ganz im Sinne der historisch-kritischen Methode (vgl. etwa O. H. Steck, Exegese des Alten Testaments, 13. Aufl. 1993) - diachrones und synchrones Fragen kombiniert werden muß, will man biblische Texte angemessen verstehen.