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Ausgabe:

September/1997

Spalte:

798–800

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Mathews, Claire R.

Titel/Untertitel:

Defending Zion. Edom's Desolation and Jacob's Restoration (Isaiah 34–35) in Context.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1995. XII, 190 S. 8 = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 236. Lw. DM 128,-. ISBN 3-11-014665-7.

Rezensent:

Friedrich Fechter

Die Arbeit ist die Druckfassung einer bei Christopher R. Seitz, Yale University, angefertigten Dissertation. Es geht in ihr um die Interpretation des umstrittenen Textkomplexes Jes 34 f. im Zu-sammenhang der Entstehung des Jesajabuches. Im Argumenta-tionsgang spielen auch Analysen des ersten Babelspruches (Jes 13) sowie anderer atl. Texte zum Verhältnis von Israel/Juda zu Edom eine Rolle, nämlich Passagen aus den Fremdvölkersprüchen (Jes 63,1-6; Obd [hier v.a. VV. 10-14.15-21]; Jer 49,7-22; Ez 25,12-14; 35 f.; Am 1,11 f.; Mal 1,2-5; Joel 4,19-21), aber auch Am 9,12; Ps 137; Klgl 4,21 f. Weitgehend unberücksichtigt bleiben der Jakob-Esau-Erzählkomplex der Genesis, Num 20,14-21, der vierte Bileam-Spruch (Num 24,15-19), die Proselytenbestimmungen von Dtn 23,8 f. sowie Ps 60,8-14 (par. 108,8-14) und die Edom-freundlichen Aussagen in Dtn 2.

In der Einleitung befaßt sich M. mit dem Problem des redaktionellen Ortes von Jes 34 f. im Zusammenhang des Jesajabuches (Kap. 1, 1-8). Dessen seit B. Duhm weitgehend akzeptierte Dreiteilung werde in jüngster Zeit im Blick auf "the nature of Isaiah's complex unity both despite, and in light of, what we now know about its history and composition" (2) problematisiert. Besonders die Funktion der Jesajalegenden (Jes 36-39) stehe zur Diskussion; sie sollten weniger als historischer Anhang zu Jes 1-39, sondern als integrierender Bestandteil des Buchganzen gesehen werden. Dies nötige zu einer neuen Untersuchung von Jes 34f. (6). Nach einer kurzen Paraphrase des Inhalts dieser Kapitel stellt M. (Kap. 2, 9-33) die sich aus der Forschung ergebenden Probleme Einheitlichkeit (11-20), Zeit- und Verfasserfrage (20-27), Edom (27-30) und Funktion von Jes 34 f im Kontext (30-32) dar. Vor allem die Fragen nach der Rolle Edoms und dessen Verhältnis zu den Völkern (Jes 34,1-4) müßten beantwortet werden.

Dieser Aufgabe widmet sich der erste Untersuchungsgang (34-119). Kap. 3 ("Edom and the Nations in Isaiah 34: Form-critical Arguments", 34-54) versucht, die Funktion der Aufforderung von Jes 34,1 zu erklären. Es handle sich weder um eine Zeugenladung ("summons to witnesses", gegen Kaiser und Wildberger [50]) noch um eine Lehreröffnungsformel ("summons to receive instructions", gegen Steck [50]). Jes 34,2-4 sei keine redaktionelle Erweiterung (52).

Dann stelle sich die Frage, warum das Edomwort im Kontext einer universalen Völkergerichtsankündigung begegne (53). Nach Kap. 4 ("The Universal and the Particular in Isaiah 13: An Analogue for Edom and the Nations", 55-68) müßten Jes 13 und 34 als "structural pillars" verstanden werden (64), welche den zweiten Teil von PJes rahmten (65-67). Edom "stands as a specific manifestation of God's judgment on all nations". Das Gottesgericht an Babel und Edom sei als Fluch (wie in den vorderorient. Vertrags-Flüchen [D. Hillers]) ähnlich dem über Sodom und Gomorra zu deuten (63). Das 4. Kap. (" Edom in Poetry and Prophecy", 69-119) enthält neben einer (im wesentlichen an J. R. Bartletts Arbeiten orientierten) Darstellung der Geschichte Edoms (70-75) eine Reihe knapp gehaltener Analysen von Edom-Texten im AT (s. o.), auf die hier nicht im einzelnen eingegangen werden kann. Das Hauptergebnis dieses Untersuchungsschrittes lautet: Jes 63,1-6 stehe in TJes Jes 59,15-21 planvoll gegenüber (83 Anm. 45 verweist auf R. Lacks Untersuchung) und beschreibe unter Aufnahme des Motivs "YHWH's march in the south" (75 f., 78; nach R. J. Clifford) Jahwes Aufbruch zu seinem Endsieg (" final victory") von Edom zum Zion (86). Jes 34 und Jes 63,1-6 seien als "prophecy and fulfillment" (118, vgl. 165) eng aufeinander bezogen. In Jes 34 f. wie in Ez 35 f. sei das Gericht gegen Edom mit dem Heil für Israel/Juda verknüpft; die Parallelität sei "striking" (102). Literarisch könne Jes 34 f. sogar von Ez 35 f abhängig sein (170).

Im zweiten Untersuchungsgang (120-156) wendet sich M. Jes 35 zu. Sie zeigt in Kap. 6 ( Isaiah 35: "Context and Interpreta-tion", 120-139) Beziehungen sowohl zu DJes wie auch zu TJes auf (Themen: Verwandlung der Wildnis [124-129], Offenbarung der Herrlichkeit Jahwes an alle Welt [so M.' Deutung des schwierigen Plurals in Jes 35,2, 129 f.], Aufforderung zum Vertrauen [130f.], Heilung von Behinderungen [132] und "holy way" [132-134]). Obwohl M. eingestehen muß, daß die auch zwischen Jes 34 und 40-66 behaupteten Beziehungen "not as clear" seien (136), könne man Jes 34 f. als eine Art "Diptychon" verstehen, das in einem der letzten Entstehungsstadien dem Jesajabuch eingefügt worden sei (137, 170). In ihrem 7. Kap. ( "The Redactional Role of Isaiah 35: A Recent Theory" 140-156) setzt sich die Vfn. eingehend mit O. H. Steck (Bereitete Heimkehr, SBS 121, 1985) auseinander, der Jes 34,2-4; 35 als redaktionellen Brückentext eines "Großjesaja"buches aus dem 4. Jh. v. Chr. angesehen hatte. M. hält gegen Steck an der Einheitlichkeit von Jes 34 f. fest, insbesondere gegen seine Auffassung, Jes 35 setze Jes 32-34 einerseits und Jes 40,1-11 andererseits literarisch voraus (Steck: Heimkehr, 20-37). M. beabsichtige nicht, "to critique Steck's overall redactional theory" (155); ihre Sicht impliziert dennoch ein anderes redaktionsgeschichtliches Entstehungsmodell des Je-sajabuches.

Dies zeigt sich im Schlußkapitel 8 ( "Chs. 34-35: Placement and Function", 157-179). Edom (Jes 34) als eine "multivalent quality" (179) symbolisiere nicht nur die Jahwe feindlich ge-genüberstehenden Nationen, sondern auch Jahwes Gegner im eigenen Volk (167). Dem Gericht an diesen Gegnern stehe in Jes 35 das endzeitliche Heil Zions gegenüber. Durch die Einfügung von Jes 34 f. ins Jesajabuch sei auch ein "re-reading" von Jes 36-38 beabsichtigt (167), ein Komplex, der ursprünglich PJes abgeschlossen habe (171). Jes 36-38 sei zunächst auf die assyrische Belagerung Jerusalems und dessen Errettung bezogen gewesen. Jes 39 habe dann diese Erzählungen auf das Ende des babylonischen Exils gedeutet. Zuletzt aber sei durch Einfügung von Jes 34 f. eine "typological reading of those narratives" (177) beabsichtigt worden, analog zum Gegenüber von Ez 35 f. und 38 f.: Jahwe "will deliver Zion from all of her enemies", sowohl von innen als auch von außen (178).

Das Buch schließt mit dem Literaturverzeichnis. Das Fehlen eines Registers ist trotz des sehr gut gegliederten Inhaltsverzeichnisses zu bedauern.

Problematisch ist, daß einige wichtige neuere europäische Monographien zu den untersuchten Texten nicht berücksichtigt wurden (z. B. B. Gosse: Isaïe 13,1-14,23 dans la tradition littéraire du livre d'Isaïe et dans la tradition des oracles contre les nations, OBO 78, 1988; C. Hardmeier: Prophetie im Streit vor dem Untergang Judas. Erzählkommunikative Studien zur Entstehungssituation der Jesaja- und Jeremiaerzählungen in II Reg 18-20 und Jer 37-40, BZAW 187, 1990; B. Hartberger: "An den Wasserflüssen von Babylon...". Psalm 137 auf dem Hintergrund von Jeremia 51, der biblischen Edom-Traditionen und babylonischer Originalquellen, BBB 63, 1986; J. Wehrle: Prophetie und Textanalyse. Die Komposition Obadja 1-21 interpretiert auf der Basis textlinguistischer und semiotischer Konzeptionen, ATSAT 28, 1987).

Die These der Arbeit entspricht z. T. der schon von R. Kilian (z. B. Jesaja II. 13-39, NEB 32, 1994, S. 194) geäußerten, weist aber in ihrer redaktionsgeschichtlichen Konsequenz noch dar-über hinaus. Es handelt sich um einen Gegenentwurf zum Steckschen Modell und verdient sowohl in dieser Hinsicht wie auch im Blick auf die einzelnen Textuntersuchungen Beachtung.

Allerdings bleibt gerade im Gegenüber der beiden Entwürfe die Frage, ob Steck nicht darin zuzustimmen ist, daß Jes 63,1-6 von Jes 34 literarisch abhängig ist. Die Behauptung der Vfn., das Völkergericht in Edom (Jes 63) gehe auf ein älteres Motiv zurück, scheitert daran, daß sich dieses Motiv m. E. kaum als alt erweisen lassen dürfte (die beigezogenen Texte Dtn 33,2; Ri 5,4; Hab 3,3-6 sind relativ junge Bildungen). Auch kann M. nicht überzeugend nachweisen, warum Jes 34 Jes 63,1-6 voraussetze. Zudem sind ihre Argumente für die literarische Einheitlichkeit von Jes 34 (51-54) m. E. nicht hinreichend. Diese Frage ist aber von entscheidendem Gewicht für die Tragfähigkeit der These.

Insgesamt stellt die Arbeit einen wichtigen Diskussionsbeitrag zur Redaktionsgeschichte des Jesajabuches dar.