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Ausgabe:

Juli/August/1997

Spalte:

658 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Maier, Christl

Titel/Untertitel:

Die "fremde Frau" in Proverbien 1–9. Eine exegetische und sozialgeschichtliche Studie.

Verlag:

Freiburg/ Schweiz: Universitätsverlag; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1995. XI, 296 S. gr. 8 = Orbis Biblicus et Orientalis, 144. Geb. DM 106,-. ISBN 3-7278-1017-3 u. 3-525-53779-5.

Rezensent:

Silvia Schroer

Die Monographie ist die leicht überarbeitete Fassung einer an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität eingereichten Dissertation der Vfn. Während die personifizierte Weisheit in den einführenden Kapiteln des Proverbienbuches (Spr 1-9) in der Forschung große Beachtung fand, führte die "fremde Frau" weitgehend ein Schattendasein. M. hat diese Lücke mit der vorliegenden Arbeit in eindrücklicher Weise geschlossen, wobei sie sozialgeschichtliche und exegetische Fragestellungen sehr konstruktiv miteinander verbindet. Wie viele andere geht sie davon aus, daß der Rahmen der Proverbien in die nachexilische Zeit zu datieren und am ehesten in Juda entstanden ist.

In einem ersten großen Kapitel geht es um die Deutungen der "fremden Frau" in der Forschungsgeschichte und um sozialgeschichtliche Forschungen zu materiellen Hinterlassenschaften, zur Wirtschaftsgeschichte und zu religiösen Traditionen im nachexilischen Juda. Der zweite umfassende Teil stellt in sorgfältiger exegetischer Textarbeit mehrere Abschnitte aus Prov 1-9 vor, in denen die "fremde Frau" eine Rolle spielt. Dabei be-zieht die Autorin konsequent Strukturbeobachtungen zum Text, Untersuchungen zur Traditionsgeschichte der Motive und sozialgeschichtliche Daten ein, um die Metaphorik der facettenreichen Gestalt genau zu erfassen und auszuwerten. Bei der Erhebung ihrer Informationen greift die Vfn. nicht nur zu Textquellen, sondern - angeregt durch die Arbeiten von Othmar Keel, seiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Freiburg (Schweiz) - auch zu Bildquellen, wie die Exkurse über das Motiv der "Frau am Fenster" (zu Prov 7,1-27) und zur sog. Bankettszene in der altorientalischen Ikonographie (zu Prov 9,1-6.13-18) zeigen.

M. kann in den Ergebnissen ihrer Studie festhalten, daß in der Provinz Jehud in der spätpersischen Zeit junge Männer der jüdäischen Oberschicht mittels der Warnungen vor der "fremden Frau" in die altbewährten, patriarchalen Familienordnungen integriert werden sollten. Die literarische Figur der "Fremden" zeigt das Frauenbild der gebildeten Laienkreise der städtischen Oberschicht auf. "Fremd" im Sinne dieser Texte ist jede Frau außerhalb der eigenen Familie, die die gesellschaftlich anerkannten Normen der Geschlechterbeziehungen durchbricht. Kontakte mit Frauen außerhalb der Verwandtschaft gelten als Gefährdung eines angesehenen und erfolgreichen Männerlebens. Nach M. bindet die Chokmah in dieser Schrift als positive Gegenspielerin Frauen ebenso in diese patriarchalen Ordnungen ein, wie die Gestalt der "fremden Frau" es als Negativbild tut. Spätestens an diesem Punkt wird die Bedeutung der Studie für feministisch-theologische Themen ersichtlich, da die personifizierte Chokmah im Zusammenhang mit der feministischen Gottesbilddiskussion seit langem eine zentrale Rolle spielt, ohne daß die sozialgeschichtlichen Hintergründe wirklich geklärt wurden.

Das Buch stellt in jeder Hinsicht eine überaus reiche Fundgrube für alttestamentlich, sozialgeschichtlich und/oder fe-ministisch-exegetisch Interessierte dar. Übersichtlich wird hier der Stand der Forschung dargelegt, werden spannende Fragen mit überzeugenden Methoden verfolgt und Neues in luzider und verständlicher Form präsentiert. Knappe Zusammenfassungen am Schluß einzelner Kapitel, Exkurse und Register erhöhen die Benutzerfreundlichkeit dieses lesenswerten Bandes der renommierten Fribourger Reihe "Orbis Biblicus et Orientalis".