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Ausgabe:

Dezember/1998

Spalte:

1261–1263

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Fargher, Brian L.

Titel/Untertitel:

The Origins of the New Churches Movement in Southern Ethiopia 1927-1944.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1996. XV, 329 S. gr.8 = Studies of Religion in Africa, 16. Lw. hfl 172.-. ISBN 90-04-10661-8.

Rezensent:

C. Detlef G. Müller

Dieses Buch ist dem Wirken der Sudan Interior Mission (SIM) in Äthiopien gewidmet, das zur Gründung der größten Kirche (KHC) neben der Orthodoxie in Äthiopien führte. Dem Vf. standen die SIM-Akten, die Korrespondenz und die Tagebücher der Missionare zur Verfügung, soweit erhalten. Das macht die Stärke seiner Arbeit aus. Amharische oder anderssprachig gedruckte Darstellungen oder auch Aktenmaterial zieht er nicht zu Rate. Das ist die Schwäche des Vf.s. Dafür bekommt der Leser ein authentisches Bild aus der Sicht der SIM.

Der Darstellung seines eigentlichen Themas schickt der Vf. ein Kapitel über die äthiopische Nationalkirche voraus, quasi als Einführung. Nicht nur die Knappheit, sondern auch die Darstellung ruft naturnotwendig die Kritik des Historikers hervor. Gerade im Falle Äthiopiens ist es schwierig, nur auf Grund englischer Literatur diese Geschichte darzustellen und die umfängliche Forschung in italienischer, deutscher, französischer und portugiesischer Zunge ganz unbeachtet zu lassen. Findet der Vf. in seiner Literatur nichts Genaues, hilft er sich daher mit der Feststellung, daß alles noch unsicher und wenig erforscht sei. Ganz so trifft das natürlich nicht zu. Nichtenglische Gelehrte haben vieles schon geklärt oder einer Klärung näher gebracht. So hat Eugen Coulbeaux schon 1923 über die Herkunft des "Priesters Johannes" eine gute Erklärung in Verbindung mit einer verbalhornten amharischen Herrscheranrede gegeben (Eugen Mittwoch teilweise bereits 1911). Nachdem P. O. Scholz die Herkunft des Kämmerers der Kandake (Acta 8,27) aus Meroë bewiesen hat, sind die reinen Spekulationen des Autors überflüssig. Die Sabbatfeier in Äthiopien hat Hammerschmidt und diejenige in Ägypten Muyser ausführlich beschrieben. Das Kebrä nägäs’t (Die Herrlichkeit der Könige, 9) ist nicht ursprünglich auf Koptisch verfaßt worden, sondern zumindest zum Teil auf Arabisch. Kaiser Zär’ä Yacqob (1434-68), der Schöpfer der modernen äthiopischen Kirche, wird von Fargher nur auf S. 19 einmal am Rande mit erwähnt.

Erst bei der Darstellung der modernen Geographie und der sozialen Lage gewinnt der Vf. Boden unter seinen Füßen. Hier kann er gut die unterschiedlichen Teile des äthiopischen Reiches seit Kaiser Menelik II. (1844-1913) charakterisieren. Er betont die Bedeutung des Ritus und den sozialen Effekt der Kirchenmitgliedschaft. Das ist für jemanden, der aus der Welt der SIM in die Welt der Orthodoxie tritt, natürlich ein überdeutliches Phänomen. In dem Christentum der Zeit Kaiser Meneliks sieht er einen Lebensstil.

Das zweite Kapitel widmet sich den Anfängen der SIM in Äthiopien und den ersten Christianisierungsversuchen. Einst hatten Fremde aus Syrien und Ägypten Äthiopien missioniert, jetzt wird neu missioniert von Fremden in Gegenden, die die Nordamerikaner kaum als evangelisiert bezeichnen. Der Vf. geht die ganzen Probleme durch, die sich für die Missionare nach ihrer Anschauung von kirchlichem Leben und christlicher Sitte ergeben. Trunk und Tanz sind zu meiden. Hier stellt sich vor allem das Problem der Taufe, der eine scharfe Trennung von allem voraufgehen mußte. Dabei ersetzten die Missionare nicht eine Sitte durch eine andere. So konnte ein kulturelles Vakuum entstehen, wenn etwas aufgegeben werden mußte. Die Missionare der SIM strebten die Gründung neuer Kirchen an, auch wenn sie das nicht ausdrücklich als Ziel angaben. Der Süden war durchaus nicht ohne christlichen und amharischen Einfluß. Da die Orthodoxie nicht genügend Seelsorger schicken konnte, kehrten die zum Christentum Bekehrten rasch zu ihren traditionellen Praktiken zurück. Das war die Situation 1928 zu Beginn des Wirkens der Missionare. Diese Probleme werden von Fargher immer wieder angesprochen.

Der Leser erfährt viel von der damaligen Situation. Bei diesen südlichen und westlichen Völkern des äthiopischen Reiches ging in dieser Hinsicht das Wirken der SIM problemlos vor sich. Es kam zu keiner Kontroverse mit der Orthodoxie. Das Land war für beide groß genug. Für Kaiser Menelik II. hingegen stand die wirtschaftliche Bedeutung der Eroberungen an erster Stelle. Für die SIM war natürlich die Bibel entscheidend. Sie stand auf Amharisch zur Verfügung, in den lokalen Sprachen jedoch nicht. Teilübersetzungen wurden versucht. Unter Kaiser Haylä S’ellase- I. wurde diese Frage zu einem großen Problem, da die amharische Staatssprache benutzt werden sollte und damit auch die amharische Bibel; auch für Menschen, die des Amharischen überhaupt nicht mächtig waren. Ein nicht völlig gelöstes Problem blieb die Taufe. Sie war die Basis für die neue Kirche. Die Frage der Wiedertaufe tauchte aber immer erneut auf, wenn jemand behauptete, schon orthodox getauft worden zu sein. Interessanterweise wurde fast naturnotwendig auch die Ekklesiologie zu einem Problem. Priestertum, Taufe, Eucharistie, die Notwendigkeit eines geweihten Gebäudes zwecks Feier der Liturgie, so wie sie die Orthodoxie verlangte, blieben den Missionaren fremd, die zudem mit der zu Beginn des 20. Jh.s in der Orthodoxie stattfindenden Erneuerung konfrontiert waren. Es gab überdies noch Missionare der schwedischen Lutheraner und der nordamerikanischen Presbyterianer, die zunächst keine eigene Kirche gründeten. Die SIM-Missionare wollten hingegen von vornherein selbständige Kirchen gründen.

Das dritte Kapitel behandelt Kirche, Priester und fremdländische Missionare. Sehr interessant wird die Frage des Amharischlernens, die Bedeutung des Amharischen für die Assimilation der anderen Völker an die Amharen, das Bestehen auf amharischen Bibellektionen in den Kirchen durch den Kaiser seit 1933 und die Folge, daß 30 Jahre später das in der Liturgie benutzte Gecez nur noch den Absolventen der Kirchenschulen geläufig war, abgehandelt. Auf dem Lande sind Liturgie und Sprache für die Orthodoxie entscheidend, nicht die rites de passage. Für die Missionare, die von den Orthodoxen durchaus nach ihrem Glauben befragt werden, stellen sich natürlich die üblichen Probleme. Wer ihnen anhängt, läßt die Loyalität mit dem nationalen Erbe vermissen. 1934 ist ein wichtiges Jahr für die SIM, das den zukünftigen Weg absteckt. Kapitel 4 berichtet daher über das Ergebnis (Bekehrte, Sakramente und eine neue Gemeinde). Natürlich sieht F. richtig, wenn er auch bei dem zusammenfassenden Buch des berühmten Äthiopisten Ullendorff feststellt, daß es 3/4 des modernen Äthiopien ignoriert (1274). Das moderne Äthiopien ist ein Reich vieler Völker. Diese Tatsache gibt der Mission überhaupt erst einen Sinn, da eben keineswegs alle schon mit dem Christentum in Berührung gekommen waren. Der Süden gehört nicht zum alten Äthiopien. Doch blieb die Situation nicht unproblematisch, da auch die Orthodoxie Mission betrieb. Erwartungsgemäß blieb die Tauffrage weiterhin prekär, auch strittig mit der Orthodoxie. Aber auch sonst machte die Taufe Schwierigkeiten. Man ließ sich taufen, um zu sehen, was nun geschähe (155). Es werden überhaupt viele Beispiele zu dem Problem Glaube und Sitte bis hin zur Ahnenverehrung (201) dem Leser vor Augen geführt.

Das fünfte Kapitel (Missionare, aber nicht Mission) schildert sehr detailliert die Verhältnisse der Kriegszeit (1941 erscheint der erste Missionar wieder als Offizier). Man erfährt viel über das Verhältnis zu den Italienern und die Zeit danach. Am 31. Januar 1942 wurde der anglo-äthiopische Vertrag abgeschlossen. Nach dem Juli 1942 sind die Missionare wieder willkommen. - Das sechste Kapitel zeigt den notwendigen Neubeginn 1943-1945. Eine völlige Neuheit war das jetzt einsetzende Unterrichten in Staatsschulen. Das bedeutet ein Wirken in der Hauptstadt Äddis Äbäba. Nur mit besonderer Genehmigung konnte man nun nach Süden in die alten Missionsgebiete reisen. Die äthiopische Sitte des Genusses von rohem Fleisch wurde zum Problem (254). Ethnische Unterschiede machten sich vielfach bemerkbar, etwa in der Frage der Beschneidung, die in Walayta als antichristlich unterdrückt wurde (261). Auch die Schweden suchten nun eine evangelische Kirche zu errichten (281). Ende 1946 waren 40 SIM-Missionare in Äthiopien und 6 auf Urlaub. Alle wirkten als Lehrer im Rahmen des staatlichen Erziehungssystems. - Das siebente Kapitel bietet abschließend eine Synopsis der Jahre 1946 bis 1996, die durchaus nicht unkritisch ist. Man erfährt von der endlichen Gründung der Kale Heywa-Kirche am 15.2.1971, den Problemen in der Zeit des Sozialismus mit Schulschließung und Beendigung der medizinischen Dienste, der Freiheit danach mit mehr Gläubigen, sowie dem Zusammenstehen der Christen aller Denominationen in der schweren Zeit. Jetzt herrscht Freiheit der Sprache, und die KHC ist die bedeutendste Kirche neben der Orthodoxie. - Eine Bibliographie und ein Index schließen das interessante Werk ab, dem man leider keine Karte beigegeben hat.

Das Thema - die Geschichte der SIM-Mission in Äthiopien - dürfte erschöpfend behandelt sein. Zahlreiche Zitate und Hinweise auf sonst kaum zugängliches Archivgut erlauben einen wirklichen Einblick. Bezüglich der Sitten und Gebräuche, aber auch der politischen Verhältnisse und der Bedeutung der ägyptischen Kirche für Äthiopien erfährt der Leser manche Details. Hier finden sich noch zu hebende Schätze. Für die Entstehung dieser Missionskirche im äthiopischen Reich ist das Buch grundlegend.