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Ausgabe:

September/1996

Spalte:

821–824

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Lohfink, Norbert u. Erich Zenger

Titel/Untertitel:

Der Gott Israels und die Völker. Untersuchungen zum Jesajabuch und zu den Psalmen.

Verlag:

Stuttgart: Kath. Bibelwerk 1994. 213 S. 8o = Stuttgarter Bibelstudien, 154. Kart. DM 59,-. ISBN 3-460-04541-8.

Rezensent:

Manfred Oeming

Rolf Rendtorff, der 1995 seinen 70. Geburtstag feierte, ist die hier anzuzeigende Gemeinschaftsarbeit der beiden renommierten katholischen Alttestamentler mit gutem Grund gewidmet. Die Studie hat - wie das Vorwort erklärt - zum Ziel, durch exegetische Beiträge "die theologische Würde des nachbiblischen Judentums" (9) so zu bestimmen, daß deutlich wird: "Die Kirche ist nicht an die Stelle Israels getreten", vielmehr bleiben die Juden das "Gottesvolk des von Gott nie gekündigten Alten Bundes" (11, mit M. Buber). Mit der Frage nach dem Verhältnis Israels zu den Völkern greifen die Autoren von exegetischer Seite ein Problem auf, das "ein in den Texten des jüdischen Denkens allgegenwärtiges Thema"(1) darstellt und somit im jüdisch-christlichen Dialog auch für die systematische Theologie von zentraler Wichtigkeit ist.

Die Arbeit ist in sieben Abschnitte gegliedert (die Teile II-IV stammen von L., V-VI von Z., I und VII ist gemeinsamer Text). Der erste Paragraph ("Theologischer Kontext: Das neue Verhältnis Kirche-Israel", 11-18) ist mit sehr viel Herzblut geschrieben. Leidenschaftlich werden zwei Grundthesen vertreten: a) Nach Röm 11,18 hat die Kirche eine jüdische Wurzel, die sie trägt und heute noch nährt. b) Die These, daß Gott die Juden, die nicht an Christus glauben, verworfen oder verflucht habe, wird als "Sünde wider den Heiligen Geist" (14) gebrandmarkt. Mit scharfer Polemik wird der "Widerstand gegen das ,neue' Denken gerade in breiten Kreisen der wissenschaftlichen Theologie" attackiert. Im Themenfeld Bundestheologie ist nach Ansicht der Vff. der Diskussionsbedarf besonders groß, weil wichtige evangelische Autoren wie W. Pannenberg oder A. H. J. Gunneweg, aber auch der katholische Weltkatechismus die Bundesvorstellung des NT in ihrer integrativ-universalen Sinnspitze als das genaue Gegenteil einer exklusiv-partikularistischen, israelzentrierten Bundestheologie des AT verstehen und von daher - unberechtigterweise (?) - theologische Sachkritik am AT üben.

"II. Der Begriff ,Bund' in der biblischen Theologie" (19-36) referiert den Gang der Forschung zum Begriff berit; neu ist die Frage nach der "kanonischen Bundestheologie", wobei aber eigenartigerweise das NT aus dieser "Intertextualität aller Bücher" bewußt ausgeklammert bleibt (39.179).

Unter der Überschrift "III. Bund und Tora bei der Völkerwallfahrt (Jesajabuch und Psalm 25)" (37-83) wird zunächst ein Gang durch das gesamte Jesajabuch geboten, der zeigt, daß der Bund explizit nur für Israel und Einzelne aus den Völkern gelte, daß sich aber zum Ende hin (bes. Jes 66,21) die Perspektive implizit auf die Völker hin ausweite und daher der Begriff ,Bund' wohl bewußt vermieden werde. "Dann wäre dieses Versinken des Wortes ,Bund' von höchster Aussagekraft" (58). Danach wendet sich das Buch der Untersuchung der Psalmen zu. Zunächst wird das Akrostichon Ps 25 in seinem Kontext ausführlich analysiert. Durch eine Verkettung der Psalmen 22-26 zu einem fortlaufenden Text kommen neue Hypothesen zustande, z. B. daß Ps 23 als Gebet der nach Jerusalem ziehenden Völker zu denken sei (64) oder daß Ps 24 vom Zutritt der Nichtisraeliten zum Jerusalemer Heiligtum handle. Vor allem wird die Hypothese entfaltet, daß Ps 25 ein Gebet von Menschen aus den Völkern am Zion darstelle, das in assoziativem Konnex zu Ex 33f. und Jer 31 stehe. "Es scheint so, als übernähmen die Völker in diesem Textstück nun die Erfahrungen Israels, zu dessen Heiligtum sie ja gezogen sind" (77); durch Belehrung über den gewählten Weg (= Tora) "werden die Völker des ,Bundes' Israels teilhaftig und können für Israel beten" (83).

Auch unter "IV. Die Bundesformel in Psalm 33" (84-116) wird eine auf der Endtextebene gewonnene Sicht vertreten, wonach die Bundesformel in Ps 33,12 vom konkreten Israel und seiner Geschichte abgelöst und so der "Zugang der Völker zu Israels Gottesbund... als offene Möglichkeit" weitergetragen werde. Hier hat der Rez. schwerwiegende Bedenken, ob die Wendung "das Volk, das JHWH sich zum Erbe erwählt hat" tatsächlich auf ein anderes Volk als exklusiv auf Israel bezogen werden kann, mögen "die Signale des Umfassenden, Universalen" noch so sehr "durch den Psalm... hallen" (107).

Unter der Überschrift "V. Zion als Mutter der Völker in Psalm 87" (117-150) interpretiert E. Zenger Ps 87 im komplex beleuchteten kanonischen Kontext der Korachpsalmen (ja aller Psalmen) als Gegentext zu Ps 83, d.h. als utopisch-pazifistische Vision, die in Fortführung der Abwehr des Völkersturmes in Ps 45-48 nunmehr (vielleicht in der "Epoche des Zusammenbruchs des Alexanderreichs") "die Rettung der Völker durch Zion/vom Zion aus" inauguriere. "Der messianische Psalter 2-89 taucht also Zion als Mutter der Völker in ein eschatologisches Licht, das Israel eine messianische Mittlerschaft zuspricht", wodurch die in Ps 2 geschilderte "Weltrevolution... zu einer großen ,Weltfamilie' verwandelt" werde (150).

Der VI. Abschnitt "Das Weltenkönigtum des Gottes Israels (Ps 90-106)" (151-178) interpretiert das 4. Psalmenbuch als "Programm für einen Welt-Schabbat, ohne den kein Reich der universalen Gerechtigkeit beginnt." Mose (Ps 90-92) und David (101-106) sind die autoritativen Personen, deren "Gebet... die Vision von einer neuen Welt - allen Zweifeln zum Trotz - am Leben hält" (178).

Der Schlußabschnitt "VII. Theologische Relevanz: Die Dramatik der Bundesgeschichte (179-185)" faßt zusammen und entfaltet eine weite systematisch-theologische Perspektive: Der Bund sei im AT keine "statische Gegebenheit, sondern... ein dynamisches Geschehen"; es sei der eine Bund vom Sinai, der immer wieder neu entfaltet und aktualisiert werde. Das Bundesgeschehen sei zwar eine Prärogative Israels, zugleich aber eine mit Gen 12,1-3 beginnende Indienstnahme Israels im Blick auf die Völker. Daher leben Israel und die Kirche in einem und demselben Bund, "an dessen dynamischer Wirklichkeit sie, freilich auf unterschiedliche Weise, Anteil haben" (181). Gegen die Programmatik vieler Domportale mit der verblendeten und gebrochenen Synagoge neben der stolzen Frau Kirche wird festgehalten: Beide "Frauen" gehen gleichberechtigt ihren je eigenen Heilsweg, der aber nicht ein paralleler Weg ohne Berührungen sein kann, weil er der eine Heilsweg Gottes ist. Auch wenn Gott "sicherlich keinem Menschen, der ihn letztlich sucht und seinem Gewissen folgt, im Jenseits seine ewige Liebe" versage und man daher "von fast unendlich vielen Heilswegen sprechen" müsse, dürften Juden und Christen nicht getrennt bleiben, sondern die Reichbitte des Vaterunser sei eine "ur-jüdische und ur-christliche" (185) zugleich.

Ein umfangreiches Literatur- (186-206), Autoren- (207-209) und Stellenverzeichnis (210-213) runden die Arbeit ab.

Das leidenschaftliche Buch verdient hohe Beachtung, auch auf Seiten der systematischen Theologie.

Es wirft aber auch eine Reihe von Fragen auf, von denen hier nur vier kurz angeschnitten werden sollen: 1. Das Buch beruht methodisch auf einer bestimmten Form kanonischer Schriftauslegung, die im Arrangement des Endtextes ein extrem hohes Maß an Intentionalität und theologischer Programmatik an-nimmt(2). Diese Sicht wird kaum auf allgemeine Zustimmung rechnen können. Bei aller Sympathie für die theologische Hochschätzung der final form, die Rez. mit den Vff. teilt, müssen die Psalmen stärker als Einzelkunstwerke denn als vermeintliches Gesamtkunstwerk betrachtet werden. Vermutlich hat die liturgische Verwendung in den Orden dem Psalter mehr Sinn eingestiftet, als er ursprünglich gehabt hat(3). 2. Das Problemfeld Bundestheologie ist, wie man bei beiden Vff. selbst nachlesen kann(4), innerbiblisch zu facettenreich und im jüdisch-christlichen Dialog zu differenziert(5), um zu so eindeutigen Thesen gelangen zu können. 3. Ist es nicht höchst problematisch, Aussagen, die ganz am Rande des AT stehen, die nur "mit viel Mühe" (83) gewonnen werden können und auch nur unter spezifischen methodologischen Vorgaben einleuchten, ins Zentrum des AT und des jüdisch-christlichen Gesprächs zu rücken? Eindeutig, häufig wiederholt und klar sind im AT die entgegengesetzten Bundesvorstellungen, wonach Israel allein erwählt und von den Völkern abgesondert ist; alle Nichtisraeliten als Völker, aber auch als Einzelne gehören gerade nicht zum Gottesvolk. In diesem Kontext sehr erhellend sind z.B. die Texte zu den Mischehen (z. B. Esra 9 f.; Tob 4,12 f.) oder die häufigen Vorstellungen von einem universalem Gericht an den nichtisraelitischen Völkern (z. B. Ps 83). Der tatsächliche kanonische Befund ist viel eher der, daß die von L. und Z. herausgearbeitete Bundestheologie (so es sie denn gibt) eine nahezu einmalige Sonderposition im Tenach einnimmt. 4. Welcher Maßstab macht aber unsichere Randaussagen wie das "Bundesschweigen" am Ende des Jesajabuches oder so vage Andeutungen zur Integration der Völker in den Bund Gottes mit Israel wie in Ps 23-26; 33; 87 und in den Jahwekönigspsalmen, die das Ja zu den Völkern noch nicht einmal klar formulieren, sondern "gerade noch hinhauchen" (38), zur theologischen Mitte? Ist dies nicht auch eine Form von theologischer Sachkritik, wenn auch eine subtile? Stehen die Autoren damit nicht viel näher bei dem rüde getadelten Gunneweg, als sie selbst glauben, wenn dieser formulierte: "Durchbrochen wird die Exklusivität des Gottesbundes mit Israel (und Juda), und an die Stelle des genealogisch und national definierbaren Bundesvolkes tritt die Inklusivität der Vielen, für die Jesu Blut vergossen wird" (zitiert 17, vgl. 181)? Die Zeugnisse der unterschiedlichen neutestamentlichen Autoren sowie dogmatische Erwägungen zum Thema "nur ein Bund" müßten unbedingt stärker mitbedacht werden(6)

Fussnoten:

1 E. Levinas, Die Stunde der Nationen. Talmudlektüren, München 1994, 143.

2 Vgl. u. a. E. Zenger, Was wird anders bei kanonischer Psalmenauslegung? in: F. V. Reiterer (Hrsg.), Ein Gott, eine Offenbarung (FS N. Füglister), Würzburg 1991, 397-413. - N. Lohfink, Psalmengebet und Psalterredaktion, ALW 34 (1992) 1-22.

3 Das legt der mit L./Z. methodisch eng verwandte Aufsatz von G. Braulik nahe: Christologisches Verständnis der Psalmen - schon im Alten Testament?, in: K. Richter/B. Kranemann (Hrsg.), Christologie der Liturgie. Der Gottesdienst der Kirche - Christusbekenntnis und Sinaibund (QD 159), Freiburg 1995, 57-86.

4 Vgl. z. B. N. Lohfink, Art. Bund, in: NBL I, 343-348. - E. Zenger, Die Bundestheologie - ein derzeit vernachlässigtes Thema der Bibelwissenschaft und ein wichtiges Thema für das Verhältnis Israel - Kirche, in: Ders. (Hrsg.), Der Neue Bund im Alten (QD 146), Freiburg 1993.

5 Vgl. dazu den ausgewogenen Art. von J. Pawlikowski, Judentum und Christentum, TRE 17 (1988) 386-403, der die Bedeutung der unterschiedlichen Bundeskonzeptionen im jüdisch-christlichen Dialog einleuchtend herausarbeitet.

6 Vgl. dazu nochmals Pawlikowski sowie u. a. E. Gräßer, Der Alte Bund im Neuen. Exegetische Studien zu Israelfrage im Neuen Testament, Tübingen 1985. - B. S. Childs, The Biblical Theology of the Old and New Testaments, London 1993, bes. den Abschnitt Covenant, Election, People of God, 413-451. - P. D. Hanson, Das berufene Volk, Neukirchen 1993. - W. Breuning, Dogmatik als Versöhnung (hrsg. von E. Dirscherl), (BDSt 21), Würzburg 1995, darin bes. Grundzüge einer nicht antijüdischen Christologie (81-100), Das christliche Verhältnis zu den Juden (159-203).