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Ausgabe:

Juli/August/1996

Spalte:

639–641

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Hausmann, Jutta

Titel/Untertitel:

Studien zum Menschenbild der älteren Weisheit (Spr 10 ff.).

Verlag:

Tübingen: Mohr 1995. IX, 415 S. gr. 8o = Forschungen zum Alten Testament, 7. Lw. DM 198,-. ISBN 3-16-146145-2.

Rezensent:

Jutta Krispenz

Jutta Hausmann hat sich mit ihren "Studien zum Menschenbild der älteren Weisheit" ein hohes Ziel gesteckt. Daß in der Weisheit allgemein und in der älteren Weisheit im besonderen der Mensch im Mittelpunkt steht, dürfte in der wissenschaftlichen Diskussion kaum auf Widerstand stoßen. Das von H. aufgegriffene Thema ist in weisheitlichen Texten sicherlich zentral. Nun ist dieses Thema darüber hinaus auch weitläufig und äußerst komplex und so hat H. ihr Arbeitsgebiet in doppelter Hinsicht eingegrenzt: Zum einen ist der Textbereich, auf den sie eingehen will, beschränkt auf die ältere Weisheit, was für H. konkret bedeutet "Spr 10 ff." (Untertitel). Zum anderen verspricht der Titel mit dem Stichwort "Studien" gerade nicht, den Texten einen systematischen Gesamtentwurf weisheitlicher Anthropologie zu entnehmen.

Wenn mir allerdings zu beiden Einschränkungen Rückfragen nötig erscheinen, so liegt das an der Weise, wie H. diese handhabt. So ist zu fragen, ob nicht die Abgrenzung des Textkorpus Spr 10-31 in Widerspruch zu der Aussage "ältere Weisheit" steht. Zu letzterer werden gewöhnlich nur Spr 10-29 gerechnet (v. Rad, Weisheit in Israel 23; Plöger, Kommentar XV f.). Auch H. rechnet wohl zumindest das Alphabetakrostichon Spr 31,10-33 den "jüngeren Texten" (74) zu, zieht daraus aber nicht die doch naheliegende Konsequenz, auf diesen Text zu verzichten, so daß im Endergebnis weder von einer Untersuchung der älteren Weisheit gesprochen werden kann, noch davon, daß darin die gesamte Spruchweisheit berücksichtigt wäre, da Spr 1-9 ausgeklammert bleiben.

Das hiermit entstehende Problem - daß nämlich die vorliegende Textauswahl nicht einheitlich ist - wird verschärft dadurch, daß H. redaktionelle Zusammenhänge nicht nur innerhalb der Spruchsammlungen übergeht - das ist, angesichts der Diskussionslage zu diesem Thema, noch verständlich - sondern auch unter den Sammlungen selbst zu differenzieren nicht für nötig hält.

Aber auch wenn man die Textauswahl einmal hinnimmt, scheinen mir H.s Fragestellung und die Konzeption ihrer Arbeit wenig klar zu sein. Im besonderen Maße gilt das für die Fragestellung, die H. eigentlich nirgendwo entwickelt. Zwar schreibt H.: "Nicht ein präzise durchdachter und unter einem Leitgedanken dargestellter Gesamtentwurf wird geboten, sondern unter Rückgriff auf unterschiedliche Gattungen (z. B. vor allem Sentenzen oder Mahnworte) werden in den kurzen Texteinheiten diverse Aspekte der Sicht des Menschen nebeneinander gestellt und so zu einem Ganzen gebündelt" (2), doch will sie damit die atl. Texte beschreiben, nicht ihre eigene Fragestellung. Nach der Aussage, die einzelnen Aspekte würden zu einem Ganzen gebündelt, wäre doch evtl. eine Reflexion zu erwarten gewesen, auf welche Weise hier ein "Ganzes" entstehen kann. Der Verweis auf E. Brunner-Trauts Vorschlag der Unterscheidung zwischen aspektivischem und perspektivischem Denken (2) bietet dafür wenig Hilfe, zumal ihn H. hier nur auf die literarische Ausformung in Gestalt von Einzelsprüchen bezieht: Daß im Sprüchebuch die Sentenzen nebeneinander stehen, ohne daß eine Beziehung zwischen ihnen offensichtlich wäre, ist bekannt und läßt ein Ganzes nicht schon allein dadurch sehen, daß dieses Nebeneinander zur absichtlichen Form erklärt wird. So bleibt H. dem Leser die Auskunft schuldig über ihren eigenen Standpunkt, von dem aus sich ihr die divergierenden Texte zu einer Gesamtheit verbinden. Der Abschnitt "Problemstellung" stellt statt dessen die übergeordnete Gliederung des Hauptteils dar (3), nennt daneben einige, für alle Teile wichtige Fragen (nach den Absichten weisheitlicher Sprüche, nach dem Verhältnis von Determination und Freiheit, nach Bezügen zu altorientalischen Texten) und hebt darüber hinaus einige Unterabschnitte hervor (12, 18, 19). Auf methodische Fragen geht H. nicht ein.

Der Hauptteil der Arbeit ist in vier Abschnitte gegliedert (in Klammern jeweils die untergeordneten Abschnitte) I Personengruppen als Typen (Der Weise und der Tor; Der Rechtschaffene und der Frevler; Der Fleißige und der Faule; Der Reiche und der Arme) II Personengruppen mit Rollenfunktion (Vater-Mutter-Sohn; Der Freund / der Nächste; Der König; Die Rolle der Frau) III Den Menschen bestimmende Lebenszusammenhänge (Erziehung; Das Herz als Chiffre für Verstand, Emotionen und Verantwortung; Sprache; Die Erfahrung von Leid; Das [/der] Böse; Die Einbindung des einzelnen in die Gesellschaft; Das Ineinander von Verhalten und Ergehen; Zukunft und Hoffnung - vom Umgang des Weisen mit der Zeit; Der Mensch und seine Gottesbeziehung) IV Die Lebensideale des Weisen (Weisheit und Rechtschaffenheit; Mäßigung der Gefühle wie des Verhaltens als weisheitliches Ideal; Leben im Gegenüber zum Tod; Freude; Wohlstand). In einem Schlußteil (V Fazit und Einbindung in den Gesamtkontext) will H. ihre Ergebnisse zusammenfassen (Folgerungen und Zusammenschau) und sie schließlich dem übergreifenden Ganzen des AT einordnen (Die anthropologischen Aussagen von Spr 10 ff im Kontext des AT).

Wenn im Hauptteil der Untersuchung Unebenheiten vorzuliegen scheinen im Verhältnis der untergeordneten Abschnitte zueinander (liegen "Frau" und "König" als Rollenfunktionen auf einer Ebene?) und zu den übergeordneten Abschnitten (ist das "Ineinander von Verhalten und Ergehen" ein "den Menschen bestimmender Lebenszusammenhang" oder nicht viel mehr ein "Ideal"?), so mag man diese der Form der Studien, die gerade nicht streng systematisieren, zuschreiben.

In der Durchführung der Untersuchungen orientiert H. sich an hebräischen Begriffen, über die sie die einzelnen Sprüche zum jeweiligen Thema erhält. Leider verzichtet sie häufig darauf, diese jeweils aufzulisten, so daß der Leser nicht wissen kann, ob H. alle Sprüche herangezogen hat, die das jeweilige Stichwort enthalten (anders 4). Zu methodischen Fragen nimmt sie auch hier nicht Stellung: Offenbar ist für H. die Deutung der Sprüche und ihre Neuordnung nach unterschiedlichen Themen kein Problem, das weiterer Erläuterung bedarf. Die Analysen, die hinter H.s Darstellung stehen, werden für den Leser selten greifbar. Der Dialog mit der Sekundärliteratur steht gegenüber der Argumentation am Text häufig im Vordergrund (anders 288. 229). Letztere ist nicht immer frei von Merkwürdigkeiten: So bezeichnet H. Constructusverbindungen als "adjektivisch-appositionelle Form" (155). Die Übersetzung von Spr 14,2a (266.268) ist falsch. H. übersieht, daß "das Problem von Subjekt und Prädikat" (268) sich hier gerade nicht stellt, weil eines der Glieder des Nominalsatzes - die Constructusverbindung "der Jahwefürchtende" - determiniert und somit Subjekt ist. Die Aufnahme ägyptischer Texte läßt deren historische Einordnung unberücksichtigt, was unter Hinweis auf den Sachbezug (7) hingehen mag. Überinterpretiert scheint mir das Determinativzeichen "schlagender Mann" bei sb "lehren": Wenn es hier Hinweis auf "körperliche Züchtigung" (172) ist, so müßte das auch der Fall sein z.B. bei dem Verb ntf "ausgießen, begießen". Die Form jw sdm.f wird gewöhnlich als zusammengesetzte Verbform bezeichnet (vgl. A. Gardiner, Egyptian Grammar, 385; die andere Deutung der Form bei F. Junge, Syntax der mitteläg. Literatursprache, läßt keinen Vergleich mit Strukturen der hebräischen Grammatik mehr zu), H. bezeichnet sie als "Satzstruktur" (102, A54).

Es scheint sich in alledem eine gewisse Schwäche im sprachlichen Bereich abzuzeichnen, die vom deutschen Text leider oft genug bestätigt wird. Wenn auch eine wissenschaftliche Arbeit literarischen Ansprüchen nicht genügen muß, so wäre es doch hilfreich, wenn der Text für den Leser eindeutig verständlich wäre. H. schreibt z. B. "Besonders deutlich wird dies in den jüngeren Texten ausgesprochen in der Aufforderung, auf die Erziehung der Eltern achtzugeben..." (168).

Die abschließende Zusammenfassung bezieht sich gelegentlich auf die im Hauptteil erarbeiteten Ergebnisse, stellt in den 29 thesenartigen Abschnitten jedoch eher so etwas wie eine Gesamtdarstellung der Weisheit dar. Dabei kommen sehr stark theologische Vorgaben ins Spiel, wenn z. B. unter Punkt 20 (358) von der fehlenden Eschatologie auf die Profanität ge-schlossen wird.

Das Buch wird wahrscheinlich als Nachschlagewerk verwendet werden. Der Benutzer sollte wissen, daß die Ergebnisse, die je einzeln diskutiert werden müßten, auf methodischen und grammatischen Vorraussetzungen basieren, die nicht immer dem Stand der Wissenschaft entsprechen.