Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/1997

Spalte:

657 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Fritz, Volkmar

Titel/Untertitel:

Die Entstehung Israels im 12. und 11. Jahrhundert v. Chr.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1996. 223 S. m. 20 Abb. gr. 8 = Biblische Enzyklopädie, 2. Kart. DM 39,-. ISBN 3-17-012331-9.

Rezensent:

Niels Peter Lemche

Die Reihe der Biblischen Enzyklopädie, die zwölf Bände um-fassen soll und sowohl das Alte wie das Neue Testament miteinschließt, ist nach einem bestimmten Raster aufgebaut, indem jeder Band mit einem Exposé des biblischen Textbestandes anfängt, das die biblischen Aussagen über ein bestimmtes Zeitalter - z. B. die Zeit der Erzväter - zunächst als Grundlage der Diskussion vorstellt. Danach sollen die biblischen Zeugnisse mit den Ergebnissen der wissenschaftlichen altorientalistischen Forschung konfrontiert werden, und der Band wird schließlich mit einem Ausblick auf die Literatur der Epoche (die biblischen wie auch die orientalischen Quellen) und einer theologischen Bewertung abgeschlossen.

Der Herausgeber der Reihe hat sich für dieses Raster entschlossen wegen einer Erkenntnis der Eigenart der biblischen Literatur, die im allgemeinen nicht in der Epoche entstanden ist, wovon sie berichtet, sondern, jedenfalls was das Alte Testament betrifft, viel später. So stammen z. B. im Fall des Bandes von Volkmar Fritz die alttestamentlichen Nachrichten über die vorstaatlichen Epochen der israelitischen Geschichte, besonders die Einwanderung und die Richterzeit, nicht aus der vorstaatlichen Zeit selbst, sondern sie sind frühestens in die Zeit der Monarchie oder noch später anzusetzen. Es ist deshalb klar, daß die alttestamentlichen Texte nur wenig konkret über diese Epochen zu sprechen vermögen.

Diese Dichotomie zwischen dem, was im Alten Testament erzählt wird, und was tatsächlich in der frühen Eisenzeit in Pa-lästina geschehen ist, spielt vom Anfang bis zum Ende in F.s Band eine entscheidende Rolle. Der erste Teil, ,Das biblische Bild der Epoche', ist einer Bewertung des Quellenwertes der alttestamentlichen Erzählungen gewidmet, der von F. mit ganz wenigen Ausnahmen wie dem Deboralied in Richter 5 mit Recht nicht hoch eingeschätzt wird. Also ist man, wenn man sich überhaupt mit der Frühgeschichte des israelitischen Volkes befassen will, gezwungen, von den alttestamentlichen Erzählungen, die im allgemeinen spät und abenteuerlich sind, abzusehen und die Rekonstruktion des geschichtlichen Verlaufes aus-schließlich auf Grundlage anderer Quellen aufzubauen, und hier sind besonders archäologische Ergebnisse von entscheidender Bedeutung. Andere Auskünfte aus der alten Welt wie z. B. die Mernephtainschrift (nach F. stammt sie aus dem Jahr 1208 v. Chr.) und die Amarnabriefe (aus dem 14. Jh. v. Chr.) haben nur wenig Bedeutung für unser Verständnis der Entwicklung in Palästina am Anfang des 12. Jh.s v. Chr.

In seinem Durchgang durch die archäologischen Materialien folgt F. ziemlich eng der Rekonstruktion der sozialpolitischen Entwicklung in Palästina in der Eisenzeit, die von dem israelischen Archäologen Israel Finkelstein in seinem Buch The Archaeology of the Israelite Settlement (Jerusalem 1988) vorgeschlagen wurde und auf eine Reihe von meist israelischen archäologischen Oberflächenuntersuchungen im palästinischen Hochland aufbaut. Laut Finkelstein wurde im Bergland am Anfang der Epoche 1200-1100 v. Chr. (bzw. 1250-1050 v. Chr.) eine bedeutende Zahl von Dörfern gegründet, deren Einwohner wegen der Form der Häuser und des Grundrisses der Dörfer (die Häuser wurden konzentrisch um einen Zentralplatz herum gebaut) eine nomadische Vorzeit gehabt haben mußten.

F. folgt Finkelstein, der ursprünglich der Meinung war, daß diese Dörfer israelitisch seien (er hat nachträglich seine Auffassung mehrmals modifiziert und ist heute weniger sicher hinsichtlich der Herkunft der Dorfbewohner), hat jedoch die Auffassung von Finkelstein etwas verbessert, als die Zahl der Dorfbewohner nach F. - von den Nomaden abgesehen, die aus den altorientalischen Quellen entweder als Shasu (in den ägyptischen Inschriften) oder Sutu (in den Inschriften, die auf Akkadisch abgefaßt sind) bekannt sind - auch zerstreute Elemente der früheren habiru, d. h. Flüchtlinge, Geächtete und sogenannte parasoziale Gruppen, die außerhalb der geordneten Gesellschaft der Spätbronzezeit lebten, umfaßte.

Die nachfolgenden Teile des Buches befassen sich zunächst mit der Beschreibung des Lebens der israelitischen Stämme im Kulturland, mit einem besonderen Ausblick auf die frühe israelitische Jahwereligion und danach mit den Nachbarvölkern Israels, den Philistern und den Einwohnern des heutigen Jordaniens. Zum Abschluß folgt ein kurzgefaßter Abschnitt über die Literaturgattungen der Epoche, die nach F. meist als Heldenepen, Rätsel, Fabeln und kurze oder längere Erzählungen zu verstehen waren, die mündlich überliefert wurden. Am Ende folgt eine ganz kurze Darstellung der theologischen Bedeutung der Epoche, von der Fritz offensichtlich nur wenig zu sagen weiß.

Die bleibende Bedeutung des Buches besteht besonders im deutschsprachigen Raum darin, daß deutsche Leser zum ersten Mal auf Deutsch mit den Ergebnissen der internationalen Erforschung der Frühgeschichte Israels bekannt gemacht werden. Selbstverständlich erheben sich Einwände gegen Einzelteile der Geschichtsrekonstruktion von F. (darunter besonders gegen seine und Finkelsteins Betonung der Teilnahme der Nomaden am Siedlungsprozeß am Anfang der Eisenzeit, da er nie erklärt, warum die Nomaden eben damals seßhaft wurden, wo sie doch historisch nur selten dazu bereit gewesen sind, freiwillig ihr Wanderleben aufzugeben). Einwände dieser Art sind jedoch an sich unbedeutend und nicht imstande, den Wert des Buches zu vermindern. Obwohl dieses Buch in der Zukunft sicher Protesten und - gelegentlich - auch Feindschaft begegnen mag, ist es für eine Weiterentwicklung der deutschsprachigen Erforschung der frühen Geschichte Israels unentbehrlich.