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Ausgabe:

Mai/1996

Spalte:

431–433

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Bartelmus, Rüdiger

Titel/Untertitel:

Einführung in das biblische Hebräisch – ausgehend von der grammatischen und (text-)syntaktischen Interpretation des althebräischen Konsonantentextes des Alten Testaments durch die tiberische Masoreten-Schule des Ben Ascher. Mit einem Anhang: Biblisches Aramäisch für Kenner und Könner des biblischen Hebräisch.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag 1994. 287 S. gr.8o. Lw. sFr 42.-. ISBN 3-290-10963-1.

Rezensent:

Ina Willi-Plein

Der Untertitel dieses Lehrbuches zeigt in nuce an, welche Probleme eigentlich bei jeder Darstellung der bibelhebräischen Grammatik verhandelt werden sollten, wenn auch ihre Lösung nicht unbedingt zu erwarten wäre. B. deutet damit an, daß er auf die Erörterung all jener Fragen weitgehend verzichten will, die in Elementarbüchern des Hebräischen - und d. h. in allen Lehrbüchern des Bibelhebräischen - in der Regel gar nicht genannt werden, weil das Ergebnis der masoretischen Interpretation erheblich älterer biblischer Konsonantentexte vorwiegend un-hinterfragt als "Urtext" akzeptiert wird. Insofern ist der Untertitel anspruchsvolle Problemanzeige und Absicherung zugleich. Wir dürfen ruhig weiter von "dem" Bibel-Hebräisch als standardisierter Schriftsprache in der uns in der BHS vorliegenden Form ausgehen, wenn wir nur wissen, was wir tun.

Daß B. selbst dies weiß, zeigt er natürlich nicht nur mit dem Untertitel an. Sein Lehrbuch ist auch dann, wenn man mit einem anderen Buch bisher klaglos gearbeitet hat und auch weiter zu arbeiten gedenkt, schon allein wegen des Schlußabschnittes zur Syntax, "Grundelemente einer biblisch-hebräischen Syntax auf noetischer Grundlage - unter besonderer Berücksichtigung der Frage der hebräischen ,Tempora'" (194 ff.), für Hebräischlehrende äußerst nützlich. Darin findet man die z. Zt. wohl konziseste Darstellung der Probleme des hebräischen Verbalsystems - v. a. puncto "Tempora" - und der Wege, die zu ihrer Lösung erfolgversprechend einzuschlagen sind.

B.s eigene Forschungen, an denen sich besonders die Be-rücksichtigung des Gegensatzes "Retrospektiv - Prospektiv" als weiterführend für das Verständnis der "Konsekutivtempora" (als Ausdrücke im Progreß) und damit für die Erfassung textsyntaktischer Strukturen erwiesen haben, werden - v. a. in der Tabelle S. 206 und den anschließenden auf Texte bezogenen "Anmerkungen" und Erläuterungen - nachvollziehbar zusammengefaßt. Dieser Passus ist einschränkungslos und nachdrücklich zu empfehlen.

Bedenken hat die Rezn. auch bei diesem Lehrbuch da, wo zu Übungszwecken nicht-authentische Sätze geboten werden. Gerade wenn man mit B. die Tatsache ernstnimmt, daß das Bibelhebräische auch in der durch den Untertitel angedeuteten Einschränkung eine "tote" Sprache ist, von der keine kompetenten Informanten im Sinne von "native speakers" mehr existieren, muß man eigentlich darauf beharren, nur Originalsätze zu bieten - gewiß mit der unbestreitbaren, aber auch unvermeidbaren Defizienz, die sich auch dann wieder allein durch die Isolierung von Einzelsätzen ergibt. Natürlich müßte man eigentlich von vornherein immer mit zusammenhängenden Texten arbeiten. Doch irgendwo muß man ja praktisch anfangen, und gerade die didaktisch und sprachwissenschaftlich zugleich vertretbare Reduktion des Einstiegs ist der wunde Punkt, zu dem jeder verschieden Stellung nehmen wird. Der Vf. führt mit dem Buch natürlicherweise sein persönliches didaktisches Konzept vor. Wieweit es übernommen werden kann, muß jede(r) Hebräisch- Dozent(in) selbst herausfinden. Es wird sich dann zeigen, wie weit das Buch als Materialmagazin für eigene Konzepte verwendbar ist.

Mehr als Kontrollbild denn als Materialfundus hat sich für die Rezn. der Anhang erwiesen, der nun auch noch das Bibel-aramäisch (i. F. BA) behandelt. Für Hebräischschüler, Studienanfänger und konzentriert arbeitende Autodidakten ist das sicher praktisch, andererseits aber doch auch bedenklich, wird doch so leicht der Eindruck erweckt, als wäre BA kaum etwas anderes als ein hebräischer Dialekt. Daß aber in der Sprachstruktur und Textgrammatik mindestens ebenso große Unterschiede liegen wie im Wortschatz, gerät dann leicht aus dem Blick. So könnte es passieren, daß die - zugegebenermaßen wenigen - BA-Texte weiterhin, was ihre sprachliche Gestaltung betrifft, in der Exegese ein Aschenputteldasein fristen, obwohl zumindest der Legendenteil des Danielbuches als ara-mäische Kunstprosa anzusehen ist und entsprechende philologische Aufmerksamkeit verdient.

B. selbst beschreibt in seinem Anhang "Biblisches Ara-mäisch für Kenner und Könner des biblischen Hebräisch", aber diese könnten sich für eine "vergleichende Zusammenstellung der wichtigsten grammatischen Phänomene" allenfalls auch mit den bisher vorliegenden Hilfsmitteln zurechtfinden, d. h. hier stellt der Autor noch deutlicher als im Hebräisch-Teil sein eigenes didaktisches Konzept vor.

Die Rezn. ist selbst z. T. ähnlich verfahren, wenn auch immer unter Zugrundelegung eines konkreten Textes von Anfang an. Ohne eine solche Grundlage könnten m. E. die reinen Vergleichsregeln verwirrend wirken, etwa bei den Ausführungen zum status det. 22.3.2.4 (220), wo zum Fehlen eines Artikels am attributiven Demonstrativpronomen zu determiniertem No-men festgestellt wird, dies habe "natürlich damit zu tun, daß das BA keinen Artikel (im engeren Sinn) kennt". Muß man nicht doch schon Kenner, wenn nicht gar Könner sprachwissenschaftlicher Fragestellungen sein, um diese Argumentation als "natürlich" überzeugend zu empfinden?

Andererseits würde die Rezn. sich scheuen, in 22.3.3.1 (220 unten) nach der Nennung der Reflexivbildung zum Grundstamm fortzufahren: "Dementsprechend fehlt im BA das Nifcal". Wann, unter welchen Voraussetzungen ist dies "dementsprechend", bzw. welche Sicht des sem. N-Stammes wird hier vertreten? Würde der N-Stamm (mit E. Jenni) als Ausdruck des Vorgangs, in dem das Subjekt die Handlung an sich selbst erlebt (mag dies nun unter innerer Zustimmung des Subjekts oder ohne diese geschehen), beschrieben, so wäre einerseits die Bezeichnung "Reflexiv" stark relativiert oder auf einen Sonderfall des Systems reduziert, andererseits die behauptete Entsprechung von der überwiegenden Geltung dieses Sonderfalls, d. h. von einem ganz bestimmten, möglicherweise zeitlich oder lokal sehr eingeschränkten N-Stamm-Gebrauch abhängig. Hier wird also m. E. von einer bestimmten Theorie zum (v. a. hebräischen?) "semitischen" Verbalsystem her der BA-Gebrauch bzw. das Fehlen des N-Stammes in ihm als logisch abgeleitet.

Vorbehalte oder Fragezeichen drängen sich der Rezn. gelegentlich auch zu anderen Punkten auf.

Ein letztes Fragezeichen sei zu dem sehr knappen Abschnitt über die Verwendung des Perfekt (AK) unter 22.3.3.3, S. 223 oben gesetzt: Ob wirklich generell gelten kann, daß Waw copulativum + Perfekt im Aramäischen den Progreß der Vergangenheit ausdrückt, könnte schon vom BA her gelegentlich bezweifelt werden. Während die Esra-Partien die Ausnahme bestätigen, drängt sich der Rezn. in den Erzählungen des Dan. gelegentlich der Verdacht auf, daß (b)'djn Partc. act. die Funktion "Progreß in der Vergangenheit" übernehmen konnte, d. h. daß eine Verlagerung des Ausdrucks der Progreßfunktion von der Wahl der Verbform auf die deutlich an Häufigkeit zunehmenden Partikeln in Erstposition stattfindet.

Diskussion setzt Denkanstöße voraus. Die hier genannten "Fragezeichen" sind also nicht als den positiven Eindruck des Buches einschränkende Abwertungssignale gesetzt, sondern als Wortmeldungen für durch dieses Lehrbuch ausgelöste Gedanken im Hinblick auf eine zum Aramäischen sicher noch zu führende weitere Diskussion.