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Ausgabe:

Juni/1996

Spalte:

527 f

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

[Gräßer, Erich]

Titel/Untertitel:

Aufbruch und Verheißung. Gesammelte Aufsätze zum Hebräerbrief. Zum 65. Geburtstag mit einer Bibliographie des Verfassers hrsg. von M. Evang u. O. Merk.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1992. VIII, 367 S. gr. 8o = Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche, 65. ISBN 3-11-013669-4.

Rezensent:

Harald Hegermann

Das Buch ist eine Festgabe für den Autor der Aufsätze, für Erich Gräßer zum 65. Geburtstag, überreicht von drei Weggefährten aus der gemeinsamen Schülerschaft Werner Georg Kümmels, des "verehrten Meisters", von Martin Evang, Otto Merk und Hasko von Bassi. Es ist gewiß eine schöne Idee, den Jubilar dadurch zu ehren, daß einem größeren Kreis wichtige Elemente seines recht eigentlichen Lebenswerkes, der Arbeit an der Erforschung und Interpretation des Hebräerbriefes, handlich zugänglich gemacht werden, und dies in dem Augenblick, wo Gräßers Arbeit am Hebräerbrief einmündet in seinen großen, dreibändigen EKK-Kommentar zum Hebr. In das Werden und Wachsen der darin vertretenen Interpretation erhält man so hoch interessante Einblicke.

Zu dem Wiederabdruck von neun Aufsätzen, die zwischen 1965 und 1986 erschienen sind, gesellt sich als Erstveröffentlichung ein Aufsatz zu Hebr 13,14 ("Wir haben hier keine bleibende Stadt" -"Erwägungen zur christlichen Existenz zwischen den Zeiten"); vorangestellt ist als weit zurück ausgreifende, umfassend angelegte Einführung der große Literaturbericht Gräßers in ThR 1964 ("Der Hebräerbrief 1938 - 1963"); nachgestellt ist ein Beitrag, der in lebendiger Weise an die Gegenwartsdiskussion heranführt: "Neue Kommentare zum Hebräerbrief" (1991; dazu ein Nachtrag in Erstveröffentlichung). Dazu kommen als bemerkenswerte Abrundungen einmal drei Predigtmeditationen Gräßers (zu Hebr 13,20.21; 11,1-19; 1,1-6), dann zwei Beiträge außerhalb der Hebr-Thematik: "Gewalt - und fleischlos leben. Zur Tierschutz-Studie der EKD" - "Ehrfurcht vor dem Leben".

Hier kommen Themen und Anliegen zur Sprache, die schon seit Jahren Erich Gräßer wichtig sind, wie ein Blick in die ausführliche Bibliographie Erich Gräßers schnell zeigt, den die Hgg. dankenswerterweise beigegeben haben (Erstveröffentlichung). Die enorme Spannweite der Gesamtarbeit ErichGräßers und die engagierte Art seiner theologischen Arbeit können die hier aufgeführten Titel zeigen, die oftmals auch mit plastisch-farbiger Sprache beeindrucken.

"Mit Bagger, Gift und Strahlen. Die Christen und die Ehrfurcht vor dem Leben - eine Anklage." - "Das Insekt im Tümpel..." "Weltuntergang - na und?" - "Ein Tanz in Ketten. Die Kirche in der Krise der Gesellschaft".

Was die hier vereinigten Hebr-Beiträge inhaltlich bieten, kann hier nicht einmal auswahlweise dargestellt werden. Ein durchgehender Inhaltsaspekt sei aber kurz herausgestellt, ein forschungs- und interpretationsgeschichtlicher: Die theologisch-exegetische Wertschätzung des Autors und seines Werkes ist einem bemerkenswerten Wandel hin zum Besseren unterworfen. Gräßer selbst hat schon 1963 den neuen Trend gewittert. Aus den damals jüngeren Arbeiten dränge sich ihm die Frage auf, ob man zu recht den Hebr als Außenseiter und allenfalls Randsiedler des Kanons abstempelt und links liegen läßt, ob man da nicht "ein sehr wertvolles Dokument des späten Urchristentums" völlig verkennt (99). Dreißig Jahre später kann Gräßer eine allgemeine, neue Hinwendung zum Hebr konstatieren, im Blick auf die literarische Gestalt nicht nur, sondern auch die theologische Aussage, und das lasse den Hebr mehr und mehr "zu einem gewissen Ansehen gelangen". (290) Gräßer selbst sieht jetzt in ihm den dritten großen Theologen des NT neben Paulus und Johannes (EKK XVII/1,38).

Er hat selbst entscheidend zu diesem Wandel beigetragen: Er hat ihn für sich selbst und für andere angebahnt und weitergeführt durch intensives Arbeiten an den theologischen Anstößigkeiten des Hebr, und der Leser dieses Buches wird in diese intensive Arbeit mit einbezogen, denn die in dieser Festgabe versammelten Beiträge Gräßers dokumentieren eben diese theologische Anstrengung Gräßers großenteils direkt. Besonders prägnant ist dafür der Aufsatz "Rechtfertigung im Hebräerbrief" (166-180), den Gräßer 1976 dem großen, von ihm verehrten Hebr-Ausleger Ernst Käsemann widmete. Es gibt da eine gewisse Kongenialität zwischen dem Autor ad Hebraeos und Erich Gräßer, hat doch auch der Hebr-Autor sein Problem, die Glaubensermattung seiner Mitchristen, durch theologische An-strengung zu lösen gesucht. "Geschärfte theologische Anstrengung wird eingesetzt als Waffe gegen kirchlichen Niedergang", so Gräßer S. 291, mit dem hinzugefügten Kommentar: "ein denk-würdiger Vorgang".