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Ausgabe:

Juni/1996

Spalte:

525–527

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

[Feifel, Erich]

Titel/Untertitel:

Religiöse Erziehung im Umbruch. Hrsg. von St. Leimgruber u. Michael Langer.

Verlag:

München: Kösel 1995. 320 S. 8o. Lw. DM 34.-. ISBN 3-466-36438-8.

Rezensent:

Günter R. Schmidt

In dem Band sind 19, davon 7 bisher unveröffentlichte, Arbeiten Erich Feifels aus den Jahren 1967 bis 1994 aus Anlaß seines 70. Geburtstags am 27.9.1995 zusammengestellt. Die Hgg. gruppieren die mehrheitlich neueren Beiträge um "vier Schwerpunkte": "Krisenzeichen", "Grundlagen", "Lernorte des Glaubens" und "Perspektiven". Die Beiträge sollen ein "zusammenhängendes Ganzes bilden" und die "kontinuierliche Reflexion Feifels über drei Jahrzehnte religionspädagogischen Arbeitens" dokumentieren. Der Band schließt mit einer "Bilanz: Religiöse Erziehung im Umbruch". Beigegeben ist eine Bibliographie F.s aus den Jahren 1985 bis 1994.

Beispiele von "Krisenzeichen" sind die Entfremdung der Jugend von der Kirche, die Bedrängnis des schulischen Religionsunterrichts, der zurückgehende Sinn für die Sakramente und der Verlust der Sinnlichkeit des Glaubens. Die christliche Anthropologie berücksichtigt zuwenig die Lebensalter. Die Amtskirche legt Wert auf "organische Ganzheit" und "Verbindlichkeit" des Glaubens, unterschätzt jedoch seine "identitätsstiftenden, lebensorientierenden Wirkungen". Auch in der Kirche gibt es einen "Generationenkonflikt". Die Gottesdienste sind zu wenig jugendgemäß. Bei der Normenbegründung wird zu ausschließlich auf Autoritätsargumente zurückgegriffen. Die Privatisierung und Pluralisierung religiöser Einstellungen bringt den RU in der Schule in "Bedrängnis". Eine Chance hat er auf die Dauer nur, wenn es ihm gelingt, das Christliche als "glaubenswürdige Lebensalternative" zu verdeutlichen, dem "lebensbestimmende und das gesellschaftliche Miteinander bestimmende Relevanz" (41) zukommt. Für die "Krise der Sakramente" macht F. Ursachen namhaft und skizziert Grundsätze einer "Sakramentendidaktik in weiten Horizonten". Das Christentum muß durch alle "Tore der Sinnlichkeit" vermittelt werden.

Unter "Grundlagen" werden thematisiert: "Nachfolge Christi", der Religionsbegriff und die pädagogischen Impulse des Vaticanum II. "Kern aller Aussagen über die Nachfolge" ist "der absolute Gehorsam gegen Gott, der seinen erwählenden Ruf und seine Forderungen durch Jesus ergehen ließ, die Antwort des gehorsamen Menschen als Glaube und die Gewißheit, daß die Treue auf dem Weg der Lebensgemeinschaft mit Christus zum ewigen Leben führt" (67). "Religion hat sich in allen Dimensionen als Sinnvorgabe zu erweisen, die zur Deutung und Bewältigung der Totalität des Lebens von einem transzendenten Gegenüber her verhilft." (69) So fördert sie die "Identitätsfindung" und "Selbstverwirklichung". Durch das Vaticanum II "wird das profane Wissen in eine neue Sicht gerückt" (90). Dadurch gewinnt auch die Pädagogik mehr theologisch legitime Eigenständigkeit und ein "echtes Gespräch zwischen Pädagogik und Theologie" wird möglich.

Als Beispiele für "Lernorte" werden behandelt die religiöse Kleinkindererziehung, die Schule und die kirchliche Erwachsenenbildung. Besondere Aufmerksamkeit findet das Generationenverhältnis. "Religiöse Erziehung transzendiert Erziehung überhaupt." (100) "Religiöses Lernen wird in Gang gebracht durch die Verunsicherung von Geborgenheit" und zielt auf den "Erwerb neuer Geborgenheit auf höherer Ebene" (101). Die Schule muß die jungen Menschen befähigen, "in ihrem Lebensraum ein sinnvolles Leben zu führen". Eine wichtige Aufgabe ist deshalb "pädagogisch reflektierte Arbeit an Lebensdeutungen" (106). Pluralisierung führt strukturell notwendig zur "Privatisierung" und "Marginalisierung" von Religion. Dem RU obliegt "Lebensbegleitung im multikulturellen Horizont" (129). Er steht nicht mehr unter der traditionellen Leitvorstellung der Vermittlung des ganzen Glaubensgutes, sondern der anderen, "einen Zugang zum Glauben zu ermöglichen, der altersspezifisch jeweils das Ganze im Fragment ausdrückt". Erwachsene Laien sind nicht mehr einfach nur Adressaten kirchenamtlich weitergegebener Lehrpakete, sondern Gesprächspartner, die ihre spezifischen Erfahrungen für das Glaubensverständnis der Gemeinschaft fruchtbar machen und am theologischen Denken teilhaben können. Immer wieder macht F. die grundlegende Einsicht geltend, daß der Glaubensinhalt sich aus verschiedenen Lebenssituationen unterschiedlich wahrnehmen läßt und so jeder jedem etwas mitzuteilen hat. Daraus folgt für die verschiedenen Generationen ein gemeinsames Glauben-Lernen.

Unter "Perspektiven" sind Aufsätze zum christlichen Le-bensentwurf, zum Religionslehrer, zu Kurzformeln des Glaubens, zur kommunikativen Didaktik und zur Theorie der praktischen Theologie zusammengestellt. "Grundeinstellungen
authentischen Lebens" sind "Sein statt Haben", "Solidarität" und eine neue "Sinngebung der Zeit". "Voraussetzungen für den Beruf des Religionslehrers" sind "Zuwendung zum Schüler", "Fachkompetenz und persönliche Kompetenz" sowie "Spiritualität". Eine besondere Aufgabe der Religionslehrkraft ist die "Schulpastoral" als "eine in den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule einbezogene helfende und heilende Beziehung aus dem Glauben" (219). Da "die Frage nach dem entscheidend und unterscheidend Christlichen nicht mit einem Prinzip beantwortet werden kann, das von jedem Situationsbezug abgelöst wäre", sind Kurzformeln des Glaubens notwendigerweise auch altersspezifisch. Kommunikative Didaktik steht gegen ein Verständnis von Glauben-Lernen als Übernahme eines fertigen Lehrgebäudes und für ein Verständnis als Entdeckung des Glaubens und des eigenen Selbst im Glauben. Feifel wendet sich gegen die Auffassung, die praktische Theologie sei als angewandte Dogmatik zu betreiben und stellt sich auf die Seite der Konvergenzargumentation. "Bei der historisch immer wieder neu aufgegebenen Suche nach einer Praxis, die die Wahrheit des christlichen Glaubens situationsgerecht und zielsicher gegenwärtig setzt" bedarf es der "praktisch-theologischen Urteilskraft". Über dieses Verständnis von praktischer Theologie nach dem Modell von "Weisheit" hinaus geht ihr Verständnis als "theologische Ästhetik".

In seiner abschließenden "Bilanz" verweist Feifel auf die Tendenz der Entwicklung weg von einer Leitbildpädagogik hin auf eine "befreiende Erziehung im Geist des Evangeliums" (275). Religiöse Erziehung steht heute "im Horizont einer ma-nifesten Erfolglosigkeit". Sie ist Gegenstand ideologischer Auseinandersetzungen geworden. Die religiöse Sozialisationsleistung der Familie fällt immer mehr aus. Die Berechtigung des konfessionellen Religionsunterrichts in der Schule wird bezweifelt. Die kirchliche Jugendarbeit erreicht nur eine Minderheit der Kirchenmitglieder. Die Rahmenbedingungen sind durch die "Auflösung des katholischen Milieus" im Zuge der Pluralisierung ungünstig. "Zukunftschancen" gibt Feifel einer religiösen Erziehung, die sich als "evangelisatorisch befreiende Erziehung" versteht, sich am Ziel einer "Menschwerdung in Solidarität" ausrichtet und sich als "theologisch-pädagogisch verantwortete Arbeit an Lebensdeutungen und Lebensstilen aus dem Glauben" vollzieht.

Die aus unterschiedlichen Anlässen verfaßten Beiträge aus 30 Jahren konkretisieren in großer Stimmigkeit ein sich durchhaltendes Gesamtkonzept. Feifel fügt sich nicht nur in einen breiteren Konsens gegenwärtiger Religionspädagogik ein, sondern hat zu dessen Entstehung auch maßgeblich beigetragen.

Kritische Fragen können sich deshalb nicht nur an ihn richten: Lassen nicht Konvergenzbedürfnisse die grundsätzlichen Spannungen zwischen christlichem Glauben und Zeitgeist zu sehr übersehen?

Berücksichtigt ein religionstheoretisch-allgemeinpädagogisch bestimmtes Erziehungs- und Bildungsverständnis, das sich zu einem dogmatisch fundierten in Spannung sieht und in das christliche Elemente eingefügt werden, deren Sperrigkeit? Ist es offen für die Erwartung, daß die christlichen Elemente nicht am zugewiesenen Ort bleiben, sondern die Gesamtstruktur auf sich hin zentrieren und dann ihrerseits allen anderen Bewußtseinsinhalten ihren Stellenwert zuweisen?