Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2000

Spalte:

1095–1097

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Rothgangel, Martin

Titel/Untertitel:

Naturwissenschaft und Theologie. Wissenschaftstheoretische Gesichtspunkte im Horizont religionspädagogischer Überlegungen.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999. 320 S. gr.8 = Arbeiten zur Religionspädagogik, 15. Kart. DM 88,-. ISBN 3-525-61465-9.

Rezensent:

Bernd Schröder

Bei der vorliegenden Publikation handelt es sich um die gekürzte Fassung der Habilitationsschrift Martin Rothgangels, die bereits im Sommersemester 1996 von der Philosophischen Fakultät I der Universität Regensburg angenommen wurde. Ihr Autor ist mittlerweile als Professor an der PH Weingarten tätig.

Die Studie greift mit dem Verhältnis von "Naturwissenschaft und Theologie" ein Thema auf, dessen Bedeutung für religiöse Lernprozesse in der religionspädagogischen Theoriebildung bisher zwar "nicht bestritten, aber eher intuitiv wahrgenommen" wurde (20). Diesem Missstand schafft der Vf. Abhilfe durch eine empirisch und wissenschaftstheoretisch fundierte "religionspädagogische Orientierung" (22), die sich auf diejenigen Problemstellungen konzentriert, die von den wenigen bisherigen religionspädagogischen Studien zum Thema (etwa von Dieter Emeis, Veit-Jakobus Dieterich, Hans-Ferdinand Angel) vernachlässigt wurden. Es sind dies die Frage danach, wie die Subjekte religiöser Bildungsprozesse in ihren alltagsweltlichen Theorien das Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft bestimmen (20), der Stand der einschlägigen wissenschaftstheoretischen Reflexion (21) und schließlich drittens die Frage, ob und in welcher Weise wissenschaftstheoretische Überlegungen im Religionsunterricht sowie in der Religionslehrer- und -lehrerinnen-Ausbildung fruchtbar werden können (22). Diese drei Problemhorizonte bestimmen je einen der drei Hauptteile der Studie, so dass nach Form und Inhalt die Kontur eines subjektorientierten und fachwissenschaftlich reflektierten religionspädagogischen Ansatzes sichtbar wird (vgl. 22-26).

Im ersten Hauptteil "Theologie und Naturwissenschaft im Horizont empirischer Religionspädagogik" (27-99) stellt der Vf. "diejenigen empirischen Studien" vor, "die aus strukturgenetischer Perspektive den Themenkomplex ,Religiosität' - ,Weltbild' - ,Naturwissenschaft' in den Blick nehmen" (33). Dabei markiert er mit Karl-Heinz Reich die besondere religionspädagogische Relevanz des "Denken[s] in Komplementarität" bzw. der Fähigkeit, religiöse und naturwissenschaftliche Weltbildvorstellungen zu koordinieren (40).

Um der Entwicklung komplementären Denkens bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen auf die Spur zu kommen, wählt der Vf. die Gottesthematik zum inhaltlichen Fokus (52). Belässt er es hinsichtlich des Kindesalters bei der Auswertung entsprechender Studien, steuert R. im Blick auf Jugendliche und Erwachsene eigenständige Forschungen und bemerkenswerte Ergebnisse bei. Zum einen vermag er anhand einer "Reanalyse" (66) der von Robert Schuster herausgegebenen Texte von Jugendlichen ("Was sie glauben", Stuttgart 1984) zu zeigen, dass naturwissenschaftliche Denkfiguren in erheblichem Maße die Haltung Jugendlicher gegenüber Gott beeinflussen. Konkret: Mehrheitlich erscheint die "Naturwissenschaft als Einbruchstelle des Gottesglaubens" (67); die einschlägige "Argumentation zahlreicher Jugendlicher [vermittelt] den Eindruck einer ,wissenschaftsgläubigen' Einstellung" (73). Zum anderen führte R. selbst "eine empirische Untersuchung an Evangelischen Erwachsenenbildungsinstituten in Bayern" durch (77; die er in seinem Buch "Was Erwachsene glauben. Umfrage und Analyse", Würzburg 1996, ausführlich dokumentiert hat): Anders als bei Jugendlichen sind bei den befragten Erwachsenen "kaum kognitive Dissonanzen zwischen religösen und naturwissenschaftlichen Aussagen feststellbar" (98)!

So unterschiedlich Jugendliche und Erwachsene also in der Regel Theologie und Naturwissenschaft zuordnen, greifen doch beide Altersgruppen auf implizit oder explizit wissenschaftstheoretische Überlegungen zurück - die einen, indem sie auf Grund naturwissenschaftlicher Beweisführungs-Kriterien an Gott zweifeln (72), die anderen, indem sie die "Grenzen naturwissenschaftlicher Methodologie" markieren (88.99).

Auf dieser Spur widmet sich der zweite Hauptteil dem Thema "Theologie und Naturwissenschaft im Horizont wissenschaftstheoretischer Überlegungen" (101-211). Nach Skizzen zur Geschichte des Verständnisses von Theologie als Wissenschaft (103-110) sowie der neueren (an Naturwissenschaften bzw. Mathematik orientierten) Wissenschaftstheorie (110-128) unterscheidet R. hier "im weitgehenden Anschluss an die Typologie I.[an G.] Barbours" (24) vier Modelle der Verhältnisbestimmung von Theologie und Naturwissenschaft, die er jeweils durch Einzelstudien zu maßgeblichen Repräsentanten vertieft. So wird das "Konfliktmodell" anhand der Position von Hans Albert profiliert, das "Unabhängigkeitsmodell" im Rückgriff auf Karl Barth, das "Dialogmodell" am Beispiel von Hans Küng und Wolfhart Pannenberg, das "Integrationsmodell" unter Aufnahme von David Ray Griffin (25; vgl. i. E. 129-200). Mit der Darstellung und Kritik dieser Positionen zielt R. allerdings nicht auf "eine Entscheidung für die eine oder andere" (201). Vielmehr möchte er verdeutlichen, "daß es nicht ,die' Wissenschaftstheorie der Naturwissenschaften gibt, sondern miteinander konkurrierende wissenschaftstheoretische Positionen, auf deren Grundlage man wiederum zu entgegengesetzten Schlüssen hinsichtlich der Wissenschaftlichkeit der Theologie gelangen kann" (210). An der Diskussion der Modelle ist zu lernen, deren "Chancen und Grenzen differenziert wahrzunehmen" (201); dabei steht bereits "allein die Pluralität der vorgestellten Positionen" einer etwaigen "unreflektierte[n] Hochschätzung ,der' Wissenschaft" relativierend entgegen (210).

Im dritten Hauptteil "Wissenschaftstheorie im Horizont religionspädagogischer Bildungsverantwortung" (213-289) erwägt R. im Rekurs auf die sogenannte Wissenschaftsorientierung von Schule und im Gespräch mit ausgewählten Fachdidaktiken, "ob eine schulische Behandlung wissenschaftstheoretischer Themen überhaupt begründet werden kann" (253), um diese Überlegungen dann im Blick auf den Religionsunterricht zu spezifizieren (253-259). Er unterstreicht jeweils die Notwendigkeit, Wissenschaftstheorie lebensweltbezogen zu unterrichten (vgl. 240 f.253 f.). Abschließend zieht der Vf. "Konsequenzen für Aus- und Fortbildung von ReligionspädagogInnen" (260): Es gilt u. a., die Kompetenzen angehender Lehrer und Lehrerinnen zur Wahrnehmung der Schüler und Schülerinnen und deren Einstellungen zum Thema methodisch zu schulen sowie ihr thematisches und wissenschaftstheoretisches Fachwissen zu vertiefen. Die "empirische Erforschung von ,Vermittlungsvorgängen' im Unterricht zu dieser Thematik" hält der Vf. als "weiterführende religionspädagogische Forschungsaufgabe" fest (283).

Das Buch hält in seinen empirischen Partien Impulse zur Diskussion des Titelthemas bereit, die nicht nur religionspädagogisch, sondern auch(systematisch-)theologisch relevant sind; es erschließt in eindrücklicher Weise Grundzüge der wissenschaftstheoretischen Diskussion - durchaus auch für die Hand der Religionslehrer und -lehrerinnen - und unterbreitet plausible Vorschläge für deren Aus- und Fortbildung. Damit lohnt es unbedingt die Lektüre - auch wenn die Argumentation auf Grund ihrer Verschachtelung nicht immer leicht zu verfolgen ist.