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Ausgabe:

Dezember/1998

Spalte:

1257–1259

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Grethlein, Christian

Titel/Untertitel:

Religionspädagogik.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1998. XIII, 559 S. 8 = de Gruyter Lehrbuch. Geb. DM 88,-. ISBN 3-11-016089-7. Kart. DM 58,- ISBN 3-11-014549-9.

Rezensent:

Martin Rothgangel

Dieses Lehrbuch der Religionspädagogik gliedert sich in drei Hauptteile. Das erste Kapitel "Religionspädagogik - eine ’moderne’ deutsche Wissenschaft zwischen Theologie und Pädagogik" behandelt eingehend die Geschichte der Religionspädagogik von ihren Anfängen bis zu den jüngsten Entwicklungen (1-214).

Methodisch wendet sich G. gegen eine rein ideengeschichtliche Rekonstruktion religionspädagogischer Geschichte (42 f.). In diesem Sinne setzt er sich sehr differenziert mit politisch-gesellschaftlichen, kulturell-religiösen und pädagogischen Veränderungen des 19. Jh.s (1-41) auseinander.

Der eigentliche Beginn der Religionspädagogik findet seines Erachtens mit der Wende vom 19. zum 20. Jh. statt. Als Argument kann die "Selbsteinschätzung der ersten Gelehrten" angeführt werden, "die sich als ’Religionspädagogen’ und damit - bei aller Konstruktion von legitimierenden Ahnenreihen - als Vertreter von etwas Neuem verstanden" (43). Indem G. jedoch eine rigide Alternativsetzung von Katechetik und Religionspädagogik ablehnt, geraten die katechetischen Ansätze des 19. Jh.s als notwendige Voraussetzung von Religionspädagogik keineswegs aus dem Blick (43 ff.). Auch in der weiteren Darstellung religionspädagogischer Geschichte bleibt G. seinem methodischen Ansatz treu. Stets behält er den Kontext religionspädagogischer Positionen im Blick. Ebenso wird die verbreitete Gefahr einer ’schematisierenden’ Zuordnung in religionspädagogische Konzeptionen vermieden, indem - ihrer jeweiligen Besonderheit gerecht werdend - einzelne Autoren diskutiert werden. Deren Auswahl ist jedoch nicht auf deutschsprachige, evangelische Autoren beschränkt, sondern gleichermaßen ökumenisch und am angloamerikanischen Sprachraum orientiert. Dementsprechend werden z. B. in der Diskussion von jüngeren Ansätzen der Religionspädagogik neben den evangelischen Religionspädagogen K. E. Nipkow und G. R. Schmidt die katholischen Religionspädagogen N. Mette und G. Moran behandelt. Letzterer ist in New York Professor für ’religious education’ und bildet Menschen verschiedenster Religionszugehörigkeit aus (206). Resümierend sieht G. die Religionspädagogik auch an dieser Jahrhundertwende angesichts gravierender gesellschaftlicher Veränderungen zu Innovationen gezwungen (213 f.). Insbesondere zieht sich wie ein roter Faden durch G.s Ausführungen die zunehmende religionspädagogische Bedeutung von Orten gelebter religiöser und christlicher Praxis, die er - in Entsprechung zu seinen früheren Publikationen - "am deutlichsten in liturgischen Vollzügen greifbar" (214) sieht.

Auch das zweite Kapitel "Grundbedingungen religiöser, christlicher und kirchlicher Bildung, Erziehung und Sozialisation" wird durch den Rekurs auf psychologische und gesellschaftliche Grundbedingungen sowie kirchliche Rahmenbedingungen bestimmt (215-306). Neben der übersichtlichen Darlegung des ’klassischen’ religionspädagogischen Repertoires an psychologischen Theorien (Piaget, Kohlberg, Oser etc.) ist es G.s Verdienst, auf die religionspädagogische Relevanz der ökosozialen Perspektive (U. Bronfenbrenner) zu verweisen. Ebenso wird überzeugend dargelegt, warum im Kontext der gegenwärtigen gesellschaftlichen Grundbedingungen nicht nur die ’klassischen’ Themen Pluralisierung/Individualisierung, Technisierung, Risikogesellschaft und Erlebnisgesellschaft entfaltet (270 ff.), sondern auch dem Zeitverständnis besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird (260-270): "Offensichtlich behindert eine exklusive Orientierung am ökonomisch orientierten Zeitverständnis (,Zeit ist Geld’ ...) die Ein- und Ausübung zentraler Äußerungen christlichen Glaubens" (268, ohne die Hervorhebung im Original). Es entspricht seiner Grundintention, wenn G. nach der Diskussion der kirchlichen Rahmenbedingungen das zweite Kapitel folgendermaßen beschließt: Angesichts der abnehmenden Überzeugungskraft kirchlicher Großinstitutionen gewinnen "immer mehr die glaubwürdigen Argumente von einzelnen ausdrücklich als Christen lebenden Personen und die Existenz von erkennbar christlich motivierten Gemeinschaften an Bedeutung" (306, ohne die Hervorhebung im Original).

Im dritten Kapitel "Orte religiösen, christlichen und kirchlichen Lernens" (307-541) werden vier Lernorte behandelt: Familie (312-347), Medien (347-385), Schule (385-468) und Gemeinde (468-541). In nuce werden im Kontext der Gemeinde auch andere Lernorte thematisiert, z. B. Kindergottesdienst, Konfirmation, Erwachsenenbildung. Jeder der vier genannten Lernorte wird ausgesprochen informativ und klar strukturiert abgehandelt: Nach einer begrifflichen Bestimmung wird die geschichtliche Entwicklung erörtert, es folgen gegenwärtige Aspekte und abschließend religionspädagogische Modelle bzw. Hinweise. Sehr anerkennenswert ist es einerseits, daß G. sich dem diffizilen und religionspädagogisch wichtigen Thema der Medien stellt, andererseits wäre doch zu fragen, ob nicht die Medienthematik ’nur’ einen Teilbereich für den in der Religionspädagogik oftmals unzureichend reflektierten Lernort ’Öffentlichkeit’ darstellt.

Eine weitere Anfrage ist grundsätzlicher Natur und könnte zur Weiterarbeit anregen: Es besteht das Desiderat eines ’systematisch-wissenschaftstheoretischen’ Kapitels zur Religionspädagogik. Hier wäre z. B. von größtem Interesse, wie G. konzeptionell die Unterschiede zwischen Religionspädagogik und Gemeindepädagogik bestimmen würde.

In jedem Fall gibt G. aber eine Sichtweise von Religionspädagogik zu erkennen, welche die religionspädagogische Diskussion in der sogenannten postmodernen Moderne weiter beschäftigen wird. Besonders hervorzuheben ist, daß G. mit guten Gründen auf das diesbezügliche Potential der angloamerikanischen Diskussion hinzuweisen vermag und seine Ausführungen zur Situation in den Neuen Bundesländern mehr als ein nur leidig erfülltes Pflichtprogramm darstellen. Diese Religionspädagogik ist aber auch ihrem Anspruch nach ein sehr gelungenes Lehrbuch für die religionspädagogische Ausbildung: Es ist übersichtlich konzipiert, inhaltsreich verfaßt und leserfreundlich geschrieben.