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Ausgabe:

Oktober/2000

Spalte:

1066–1071

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

(1) Gregersen, Niels Henrik, and J. Wentzel van Huyssteen [Ed.] (2) Huyssteen, J. Wentzel van (3) Huyssteen, J. Wentzel van

Titel/Untertitel:

(1) Rethinking Theology and Science. Six Models for the Current Dialogue.
(2) Duet or Duel? Theology and Science in a Postmodern World. The 1998 Diocese of British Columbia John Albert Hall Lectures at the Centre for Studies in Religion and Society in the University of Victoria.
(3) The Shaping of Rationality. Toward Interdisciplinarity in Theology and Science.

Verlag:

(1) Grand Rapids: Eerdmans 1998. VIII, 240 S. 8. Kart. £ 15,99. ISBN 0-8028-4464-2.
(2) Harrisburg, PA: Trinity Press International 1998. xviii, 182 S. 8. ISBN 1-56338-255-5.
(3) Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 1999. XI, 303 S. gr.8. Lw. $35,-. ISBN 0-8028-3868-5.

Rezensent:

Gesche Linde

Das Verhältnis zwischen Theologie und Naturwissenschaften wird systematisch-theologisch üblicherweise in vier Zusammenhängen thematisiert: in den Prolegomena (alternativ in der Glaubenslehre), in der Schöpfungslehre, in der Anthropologie und in der Ethik. Während die Diskussion im deutschsprachig-protestantischen Bereich seit Längerem vorrangig um Fragen der Ethik zu kreisen scheint, richtet sich die Aufmerksamkeit im angelsächsischen Raum eher auf die drei erstgenannten Problemkomplexe. Schöpfungstheologisch orientiert sind Untersuchungen, die religiöse Aussagen über das Verhältnis zwischen Gott und Welt im Lichte physikalischer, chemischer und biologischer Erkenntnisse z. B. über die Herausbildung unseres Kosmos', die Dimensionen von Raum und Zeit und die Evolution des Lebens neu zu deuten versuchen (Ph. Hefner, I. Barbour, A. Peacocke, J. Polkinghorne etc.). In die Anthropologie fallen Studien, die Natur und Verhalten des Menschen unter Berücksichtigung evolutions- und sozialbiologischer Erkenntnisse interpretieren (Hefner, K. Ward etc.). Prolegomenafunktion übernehmen Arbeiten, die religiösen Glauben und naturwissenschaftliches Erkennen als Typen einer grundsätzlich als einheitlich gedachten Rationalität beschreiben und so ersteren erkenntnis- oder argumentationstheoretisch zu rechtfertigen suchen (A. Plantinga, W. P. Alston etc.).

Die drei hier vorzustellenden Publikationen des Presbyterianers Jacobus Wentzel Vrede van Huyssteen, Professor für Theologie und Naturwissenschaft ("Theology and Science") am Princeton Theological Seminary, entstammen dem angelsächsischen Diskussionszusammenhang und versuchen, eine Brücke zwischen Prolegomena, Anthropologie und Schöpfungstheologie zu schlagen. Es handelt sich um die am Centre for Studies in Religion and Society in the University of Victoria gehaltene Vorlesungsreihe "Duet or Duel?" (1998), um die daran anknüpfende Studie "The Shaping of Rationality" (1999) und um den gemeinsam mit Niels Henrik Gregersen herausgegebenen Aufsatzband "Rethinking Theology and Science" (1998), der neben dem Beitrag von van H., "Postfoundationalism in Theology and Science: Beyond Conflict and Consonance", auch noch fünf weitere Theoriemodelle für eine Bestimmung des Verhältnisses zwischen Theologie und Naturwissenschaften enthält: von Kees van Kooten Niekerk, Willem B. Drees, Eberhard Herrmann, Fraser Watts und Gregersen.

Van H.s durchgängiges Interesse besteht darin, das Verhältnis zwischen Theologie und Naturwissenschaften nicht einem vereinzelten dogmatischen Locus zuzuweisen, sondern es als ein für das gesamte Selbstverständnis der Theologie grundlegendes Problem zu entfalten: grundlegend deshalb, weil die neuzeitliche Konkurrenz der Theologie mit den Naturwissenschaften um Wahrheits- und Geltungsansprüche beiden eine Reflexion auf die ihnen jeweils zu Grunde liegenden Rationalitätsvorstellungen abverlangt und sie im Ergebnis zu einem veränderten, gemeinsamen Rationalitätsbegriff zwingt, den van H. als "postfoundational" charakterisiert und der zumal für die Arbeit der Theologie weitreichende Folgen hat.

1. Den Ausgangspunkt für van H.s Argumentation liefern nicht Theologie oder Philosophie, sondern die von der Biologie angeregte "evolutionäre Erkenntnistheorie" (EE): ein 1966 von dem Philosophen D. Th. Campbell geprägter Begriff; van H. selbst beruft sich auf K. Lorenz, K. Popper und J. Piaget. Der EE zufolge sind Erkenntnisapparat und kognitive Strukturen des Menschen, kurz: die menschliche Rationalität, als Produkt der Evolution zu betrachten, das die Anpassung des homo sapiens an dessen Umwelt zu Überlebenszwecken optimieren soll.

Menschliche Rationalität manifestiert sich demnach in allen Erkenntnisakten, die zu einem besseren Verständnis unserer Lebenswelt führen: in naturwissenschaftlicher Forschung ebenso wie in ästhetischer, politischer oder eben auch theologischer Reflexion. Die theologische Rationalität zielt auf die Bewältigung von Angst, Schuld und Tod, auf die Erzeugung von Hoffnung, auf den produktiven Umgang mit den Grenzen unserer naturwissenschaftlichen Erkenntnisfähigkeit und die Befriedigung unseres Verlangens nach letztgültigem Sinn. Als Resultat eines Anpassungsdrucks ist sie also nicht allein von kulturellen Faktoren geprägt, sondern ebenso, wie auch die Naturwissenschaften, von "biological roots" (Duet, xiiif.32.33. 132.162; Rationality, 4). Für das Verhältnis zwischen Theologie und Naturwissenschaften folgt daraus, dass beide gleichermaßen als evolutiv hervorgebrachte rationale Problemlösungsstrategien für unseren Umgang mit der Welt gelten können und insofern auch auf ein gemeinsames intelligibles Objekt gerichtet sind: die "real aspects of our experience" (Rationality, 181), oder, wie van H. vor allem mit Blick auf Kosmologie und Evolutionsbiologie schreibt, die "processes of life" (Duet xvi.83; vgl. 42).

2. Trotz gemeinsamer Wurzeln und gemeinsamen Gegenstandes verkörpern naturwissenschaftliche Erkenntnis und theologische Reflexion offenkundig verschiedenartige Typen von Rationalität. Gemeinsame Merkmale sind: a) In beiden Fällen handelt es sich um Leistungen von Subjekten, die bestrebt sind, die eigenen Urteile und Handlungen vor sich selbst und dem Forum ihrer jeweiligen Gemeinschaften bestmöglich zu begründen. "Rational" ist deshalb ein Attribut, das nicht einer Aussage, sondern einem Agenten und dessen Praxis zukommt. b) Theologische wie naturwissenschaftliche Erkenntnisprozesse vollziehen sich als Interpretationsprozesse, die - ebenfalls nur interpretiert vorliegende - Erfahrungen verarbeiten: Sie bieten keinen direkten Zugriff auf das Erkenntnisobjekt, sondern arbeiten mit Metaphern und Modellen von hypothetischem Charakter. Diese Interpretationsprozesse werden von moralischen Werturteilen beeinflusst. Da sie zudem kontextabhängig sind, d. h. sie ihre Prämissen zunächst lokal begrenzten, partikulären Traditionen entnehmen, sind sie grundsätzlich fallibel und können keine selbstevidenten oder zweifelsfrei gesicherten Ausgangsprämissen (etwa in Gestalt von "basic propositions") für sich in Anspruch nehmen. c) Theologische wie naturwissenschaftliche Aussagen erweisen ihre "experiential and theoretical adequacy" (Rationality, 115.256; vgl. 13.170.198.219.263) in der Oszillation zwischen dem individuellen Urteil des rationalen Agenten und dem überindividuellen Urteil der Fachwelt bzw. der intersubjektiven, auch interdisziplinären Übereinstimmung der jeweiligen Diskursgemeinschaft.

Die Unterschiede zwischen beiden Rationalitätsformen sieht van H. in der Art der jeweils zu Grunde liegenden Erfahrungen, im epistemologischen Fokus und in den heuristischen Strukturen: a) Theologische Interpretationsprozesse beziehen sich nicht auf experimentell reproduzierbare, verallgemeinerungsfähige Beobachtungen, sondern auf individuelle, singuläre Erfahrungen. b) Sie fragen über die Grenzen des naturwissenschaftlich Wissbaren hinaus nach einem letzten, einheitsstiftenden Sinn unserer diversen Erfahrungen. c) Sie greifen in einem wesentlich niedrigeren Grad als naturwissenschaftliche Erkenntnisprozesse auf Evidenzen zurück und sind sehr viel stärker von individuellen moralischen Werturteilen oder religiösen Haltungen (Gottvertrauen, Hoffnung, Liebe etc.) beeinflusst, weisen also eine komplexere Struktur auf.

Diese Analyse führt zu einem Rationalitätsbegriff, den van H. mit dem programmatischen Begriff "postfoundationalism" umschreibt. "Postfoundationalism" beinhaltet die Einsicht, dass sich in unserem Umgang mit der Welt diverse Rationalitätstypen als Problemlösungsstrategien bewähren, die weder gegeneinander ausgespielt werden dürfen noch auf eine einzige Form reduziert werden können, sondern die, abhängig vom Erfahrungsfeld und vom Erkenntnisinteresse, ihre je eigene Berechtigung haben. "Postfoundationalism" impliziert die epistemologische Erlaubnis oder sogar Aufforderung, subjektive Überzeugungen in den Erkenntnisprozess, auch und gerade in den interdisziplinären Diskurs, mit einzubringen, da Interpretationsprozesse ihren Ausgang stets von lokalen Traditionen nehmen. Zugleich ist damit das Verbot verbunden, einzelne Traditionen, Prämissen und Schlussfolgerungen zu Ungunsten anderer Traditionen etc. absolut zu setzen. Systematisch und wissenschaftsgeschichtlich bietet "postfoundationalism" eine Alternative sowohl zum "foundationalism" der Moderne, der auf unbezweifelbare empirische Fakten zurückgreift, als auch zum "non-foundationalism" der Postmoderne, der verschiedene, auch unvereinbare Aussagengefüge nebeneinander gelten lässt und kein Entscheidungskriterium anzubieten vermag. Die "postfoundationalism"-Maxime zielt also darauf ab, einerseits die moderne Alternative zwischen objektivem Wissen und subjektivem Glauben, öffentlichem Konsens und privater Erfahrung, Naturalismus und Supranaturalismus etc. zu überwinden, andererseits aber auch der postmodernen Fragmentarisierung und Relativierung des Wissens, dem epistemologischen Pluralismus und der damit verbundenen weltanschaulichen Beliebigkeit entgegenzuwirken. Auf diese Weise will das "postfoundationalism"-Konzept zur Integration erkenntnistheoretischer und hermeneutischer Belange zu einem neuen, erweiterten Rationalitätsbegriff führen, der das gesamte Spektrum der menschlichen Rationalität abdeckt und so als Grundlage für das gleichberechtigte Gespräch zwischen Theologie und Naturwissenschaften dienen kann.

3. Der Umstand, dass Theologie und Naturwissenschaften an einer gemeinsamen Grundstruktur von Rationalität partizipieren und es mit einem extensional identischen Objekt zu tun haben - auch wenn die Erfahrungen mit diesem Objekt je unterschiedlich ausfallen -, bedeutet nach van H. zunächst, dass beide auf Interdisziplinarität hin angelegt sind. Darum dürfen die Naturwissenschaften die von der Theologie diskutierte Frage nach einem im Universum gegenwärtigen Schöpfergott aus ihren Überlegungen nicht ideologisch ausklammern. Die Theologie wiederum darf und muss überprüfen, ob sich in den beiderseitigen Überzeugungsbeständen vereinbare Aussagen oder analoge Muster ausmachen lassen, um diese Befunde auf ihre theologische Bedeutung hin zu interpretieren, und sie hat die materialen Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschung, ggf. sogar deren Methoden und Symbolsysteme, in ihr Gedankensystem zu integrieren: "... science can and should directly influence theology" (Duet, 55.75). Auf diese Weise kann sie eine "redescription" (Duet, 84.159.161.164) des von den Naturwissenschaften gelieferten Materials unter der Leitfrage des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch vornehmen. Um der gemeinsamen Sache willen also müssen beide Seiten ihr "erbittertes Duell" zugunsten eines "anmutigen Duetts" (Duet, 131) aufgeben und ihre jeweiligen Interpretationen als komplementäre Bestandteile einer zu konstruierenden einheitlichen Weltsicht behandeln, die in dieser umfassenden Form weder allein von der Theologie noch allein von den Naturwissenschaften entwickelt werden kann. - Seine theologische Leistungsfähigkeit erweist der "postfoundationalism" darin, dass er die Theologie zur Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften befähigt, also eine erfolgreiche Lösungsstrategie für ein virulentes Problem anbietet. Daraus rechtfertigt sich die Anwendung des "postfoundationalism" auch intern in der Dogmatik. Religiöse Traditionen müssen auf ihren Erfahrungsbezug und ihr Problemlösungspotential hin historisch untersucht werden: Insofern ist die Theologie, ähnlich wie die Naturwissenschaften, eine "explanatory discipline" (Rationality, 87; vgl. 259.262). Systematisch darf sie, auch wenn sie die kontextbedingte Vielfalt dieser Traditionen zu akzeptieren und sogar als Bereicherung zu begrüßen hat, auf die Abwägung nicht verzichten, zumal nur so ein Gespräch zwischen den einzelnen Traditionen zustande kommen kann. Nimmt sie dabei jedoch die Einsicht ernst, dass es sich bei ihren Aussagen um revidierbare Hypothesen handelt, bleiben ihr exklusive Wahrheitsansprüche und dogmatistische Setzungen versagt. Begründen lässt sich eine systematische Entscheidung nur, indem die präferierte Hypothese auf Erfahrungsbezug, Problemlösungspotential und Konsistenz mit der Tradition hin analysiert und ihre Konsensfähigkeit im intersubjektiven Diskurs geprüft wird. Auf gleiche Weise setzt "postfoundationalism" auch den Rahmen für das Gespräch der Religionen: Da die Theologie für ihre Aussagen weder Infallibilität noch Vollständigkeit in Anspruch nehmen kann, muss sie die Erfahrungen, die in anderen Religionen gespeichert sind, und die daraus erwachsenden Überzeugungen nicht nur zur Kenntnis nehmen und ihnen Berechtigung zugestehen, sondern sie ggf. in ihren eigenen Reflexionsprozess einbeziehen.

Die skizzierte Argumentation lässt sich sowohl in van H.s beiden Monographien als auch in seinem Aufsatz nachverfolgen. Die Schwerpunktsetzung allerdings ist unterschiedlich: "Duet or Duel" stellt primär den evolutionstheoretischen Ansatz vor (Kap. 3; 4) und setzt sich dabei mit kosmologischen und evolutionsbiologischen Theorien u. a. von S. Hawkings, P. Davies, Ch. Darwin, R. Dawkins und F. M. Wuketits auseinander. "The Shaping of Rationality" dagegen kritisiert zunächst den Wissenschaftsbegriff sowohl der Moderne als auch der Postmoderne (Kap. I), diskutiert aktuelle "non-foundationalist" Rationalitätskonzepte (Kap. II) und entfaltet dann die "postfoundationalism"-These (Kap. III) in ihren Implikationen für die Theologie (Kap. IV) und den interdisziplinären und interreligiösen Dialog (Kap. V). Im ganzen Band wird eine Fülle zeitgenössischer Rationalitätskonzepte u. a. von J. Rouse, N. Murphy, C. O. Schrag, H. Brown, L. Laudan, J. A. Stone, S. Haack und N. Rescher verarbeitet. Der Aufsatz "Postfoundationalism in Theology and Science" stellt van H.s Rationalitätsbegriff vor und hat offenbar die Vorlage für Kap. III der "Rationality"-Studie abgegeben (einzelne Passagen stimmen wörtlich überein).

Die Bedeutung dieser Arbeiten liegt nicht nur darin, dass vanH. die wohl tiefgreifendste Glaubwürdigkeitskrise der Theologie seit Beginn der Neuzeit produktiv zu bewältigen sucht. "Do we still have good enough reasons to stay convinced that the Christian message does indeed provide the most adequate interpretation and explanation of our experience with God, and of our world as understood by contemporary science?" (Duet 21f.) Die Brisanz dieser Frage wird aus der zwischen 1996 und 1998 von E. J. Larson und L. Witham in den USA durchgeführten Umfrage deutlich, nach der 95% der dortigen Spitzenforscher im Bereich der neuen Leitwissenschaft Biologie und 85% der Top-Mathematiker einen persönlichen Glauben an Gott verneinen (vgl. Spektrum der Wissenschaft, 11/1999, 74-78). Was den Ansatz van H.s von anderen Entwürfen auf diesem Gebiet unterscheidet, ist, dass er nicht einzelne materiale Problemstellungen oder Denkmodelle identifiziert, die der Theologie und den Naturwissenschaften gemeinsam wären, sondern dass er mit seinem Rationalitätsbegriff einen metatheoretischen Rahmen schafft, der weit genug ist, um die faktische Unterschiedlichkeit der theologischen und der naturwissenschaftlichen Interpretationsprozesse zu berücksichtigen, aber eng genug, um Verbindendes feststellen und auf dieser Grundlage beiden Parteien gegenseitige Akzeptanz abverlangen zu können. Auf diese Weise befähigt van H. die Theologie zur Rechenschaftsabgabe vor einer Öffentlichkeit, in der die Naturwissenschaften als Paradigma für Rationalität gelten, und zwingt sie zudem, isolationistische Tendenzen abzustreifen und interdisziplinär zu werden. - Dennoch lassen sich Rückfragen stellen.

1. van H. zieht die EE heran, um die behauptete Verwandtschaft zwischen theologischer Reflexion und naturwissenschaftlichem Erkennen durch den Aufweis eines gemeinsamen evolutionsbiologischen Ursprungs zu begründen und so der Theologie ihren Rationalitätsanspruch zu sichern. Auf den ersten Blick erscheint es als argumentativ geschickter Schachzug, die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Theologie und Naturwissenschaften nicht aus der theologischen Binnenperspektive vorzunehmen, sondern sie auf eine naturwissenschaftlich abgesicherte Grundlage zu stellen. Doch streng genommen ist die Aussagekraft der EE in Bezug auf das Phänomen von Religion und Theologie begrenzt: Religion muss sich in der Menschheitsgeschichte als Überlebensvorteil ausgewirkt haben, denn andernfalls hätte sie sich nicht so hartnäckig behaupten können. Diese These lässt unterschiedliche Folgerungen zu. Die "schwache", biologistische ist bei E. O. Wilson formuliert: Der Selektionsvorteil, den die Religion und die auf sie reflektierende Theologie bieten, ist mitnichten epistemischer, sondern sozialer und psychologischer Natur; religiöse Überzeugungen helfen dem Individuum, Tod und Sterblichkeit zu bewältigen, und befähigen die Gruppe, eine Identität auszubilden und gemeinsame Handlungsziele zu definieren.

Die "starke" Folgerung, gewissermaßen eine biologische Reformulierung des Gottesbeweises e consensu gentium, ist zuerst von Ch. S. Peirce vertreten worden (den van H. trotz teils verblüffender Nähe nicht zu kennen scheint und der nur von van Kooten Niekerk erwähnt wird): Religiöse Aussagen referieren ebenso wie naturwissenschaftliche Erkenntnisse auf ein externes Objekt; sie werden mittelbar von diesem generiert, indem sie ihren Ursprung in der Wahrnehmung bzw. in wahrnehmungsähnlichen Interpretationsprozessen haben; und sie sind grundsätzlich überprüfbar. In dieser realistischen, von Peirce logisch begründeten Konsequenz läge die eigentliche theologisch-religionsphilosophische Pointe der EE. Vor ihr scheut van H. zurück und beraubt so die EE der Schlagkraft für seine Argumentation. Stattdessen zieht er sich auf einen "gemäßigten kritischen" oder "pragmatischen" Realismus (vgl. Rationality, 213 f.216-219) zurück: Danach darf das Postulat einer "bewusstseinsunabhängigen" externen Realität nicht den Status einer ontologischen Hypothese beanspruchen, sondern fungiert lediglich als praktische Voraussetzung für unser fortwährendes Erkenntnisstreben. Zur Inkonsistenz führt diese Vorsicht dort, wo van H. meint, über Interpretation und Bedeutung sprechen zu können, ohne dabei die Existenz bzw. Realität des diesbezüglichen Objekts thematisieren zu müssen, und diesen Bedeutungsbegriff theologisch umsetzt: "Obviously, my arguments here should not at all be seen as an attempt at reconstructing an argument for the existence of God, but only for making a case for the meaningfulness and necessity of metaphysical/ religious belief" (Duet, 155; ähnlich 159). Auf diese Weise gerät auch seine Analogie zwischen der Religion und dem Tanz der Bienen, der den Weg zu einer entfernten Futterstelle beschreibt, ein wenig schief: Worauf die Religion nach van H. nämlich hindeutet, ist offenbar eben kein reales, der Futterstelle vergleichbares Objekt, sondern es ist "ultimate meaning" (Duet, 118.119.132; Rationality, 220.236.259).

Letztlich also operiert van H. mit einer Bedeutungs- und Interpretationstheorie, in der das Objekt nicht ausreichend von Akt und Ergebnis der Interpretation unterschieden wird und in der die Funktionsstelle des Objekts stark unterbestimmt bleibt. Ein unscharfer Realitätsbegriff ist die Folge. Die totalitären Implikationen, wie sie van H. im Falle eines starken Realismus' befürchtet - die Proklamation einer monolithischen, vollständig erschließbaren Wirklichkeit mit einem einzigen gültigen Erkenntnisweg bzw. Interpretationsmodus und, daraus resultierend, die Alleinherrschaft der Naturwissenschaften -, ließen sich mit der Peirceschen Differenzierung zwischen dem (sog. unmittelbaren) Objekt, wie es jeweils konkret erscheint, und dem (sog. dynamischen) Objekt, wie es stets neue Interpretationsprozesse zu generieren vermag, aus dem Weg räumen. (Eine ähnliche, an H. Putnam orientierte Unterscheidung schlägt Herrmann vor.) Dass die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Theologie und Naturwissenschaften jedenfalls unmittelbar vom Realitätsproblem abhängt, zeigt sich deutlich an dem Aufsatzband "Rethinking Theology and Science", dessen Autoren je unterschiedlich akzentuierte kritisch-realistische Positionen vertreten.

2. van H.s Zielthese, die Gleichrangigkeitsbedürftigkeit wie auch gegenseitige Ergänzungsbedürftigkeit von Theologie und Naturwissenschaften, erscheint insofern wenig plausibel, als jedenfalls die Naturwissenschaften bisher offenbar recht gut ohne die Gotteshypothese ausgekommen sind, während die Theologie ihrerseits an bestimmten physikalischen und biologischen Einsichten nicht vorbei kann. Auf diese und weitere Asymmetrien machen vor allem van Kooten Niekerk, Herrmann und Gregersen aufmerksam. Indem van H. die extensionale Identität des theologischen und des naturwissenschaftlichen Erfarungsgegenstandes behauptet und sodann betont, dass Theologie und Naturwissenschaften gleichermaßen auf Interpretationsprozessen beruhen - für sich genommen beides Thesen, denen man mit guten Gründen zustimmen kann -, suggeriert er eine Kontinuität zwischen beiden, die allenfalls "graduelle" Unterschiede (vgl. Rationality, 13.231) zulässt. Eben dies jedoch ist, wie die Beiträge in "Rethinking Theology and Science" zeigen, strittig. Die Tatsache, dass die Theologie zu Aussagen gelangt, die die Naturwissenschaften unentschieden lassen müssen oder sogar ablehnen, legt jedenfalls die Vermutung nahe, dass es sich bei den Unterschieden zwischen naturwissenschaftlichen und theologischen Interpretationsprozessen um grundlegende strukturelle Unterschiede logischer Natur handelt. Um solche Unterschiede analysieren zu können, fehlt van H. die entsprechende Interpretationstheorie.

Mit diesem interpretationstheoretischen Defizit und dem ungeklärten Realitätsbegriff hängt ein weiteres Problem zusammen. Die Divergenz zwischen den beiden Möglichkeiten einer starken und einer schwachen Ausdeutung der EE zeigt, dass die EE die komplizierte Debatte um epistemologischen Status, Referenz und semantische Gültigkeit religiöser Aussagen keineswegs überflüssig macht. Die rhetorische Frage, die van H. in den Raum stellt - "... why should we, so suddenly and only at this point- the development of this metaphysical aspect ... - so completely distrust the phylogenetic memory of our own ancestors?" (Duet, 154 f.) -, ist deswegen eine nicht ungefährliche Frage, weil auf gleiche Weise auch ein evolutionsbiologisch nützliches, aber zugleich ethisch verurteilungswürdiges Phänomen wie beispielsweise Fremdenhass sich in seiner Existenz rechtfertigen, als rational kennzeichnen und mit ontologischer Bedeutungshaftigkeit ausstatten ließe. Die unbestreitbare evolutive Funktionalität oder Rationalität religiöser Überzeugungen ist also nicht in der Lage, über deren Wahrheits- oder Geltungsanspruch zu entscheiden. Das "postfoundationalism"-Konzept von van H. kann dieses Problem deshalb nicht auffangen, weil es zwischen Rationalität und Wahrheit so unterscheidet, dass keines von beiden das andere notwendig implizieren, sondern rationale Praxis (im günstigen Fall) lediglich das Mittel zur Bildung einer Hypothese über die Wahrheit abgeben soll - oder jedenfalls das Mittel zur Vermeidung von Irrtum -, während die Wahrheit selbst nie wirklich erreichbar sei (Korrespondenztheorien lehnt van H. ab). Diese Unterbelichtung der Wahrheitsproblematik oder besser gesagt: die Ersetzung des Wahrheitsbegriffs durch das sehr viel schwächere Kriterium der Rationalität, zeigt sich symptomatisch daran, dass das Stichwort "truth" in keinem der drei (ansonsten recht ausführlichen) Register auftaucht.

3. Es ist so spannend wie konsequent, dass van H. das interne Selbstverständnis der Theologie von ihren Außenverhältnissen aus, also in Relation zu konkurrierenden Systemen, entwirft. Daraus ergeben sich allerdings dogmatische Probleme. Am augenfälligsten ist, dass van H.s Fallibilismusthese mit den evangelischen Prinzipien von Schrift und Offenbarung kollidiert: Wenn schlechthin alle theologischen Aussagen nur noch Hypothesenstatus beanspruchen dürfen, dann kann die Schrift - die ja ebenfalls nichts weiter als das Ergebnis langer Interpretationsprozesse ist- nicht länger als exklusive norma normans fungieren, sondern muss sich in eine Reihe mit anderen Größen wie dem Konsens der Diskursgemeinschaft (in Gestalt der Bekenntnisbildung) und individueller Erfahrung stellen lassen. Das bietet binnentheologisch deswegen eine Schwierigkeit, weil damit das protestantische Urinteresse an Gewissheit gestört wird: Wenn sich der Glaubende sagen muss, dass die Botschaft der Schrift von der Rechtfertigung sola gratia und sola fide nur noch möglicherweise und nicht mehr sicher wahr sei, dann ist der evangelische Glaube dahin. Zwar betont van H. wiederholt, dass man in den interdisziplinären Dialog mit intakten persönlichen Überzeugungen eintreten solle und dürfe, aber sein "postfoundationalism"-Konzept zieht notwendig nach sich, dass bei konsequenter Reflexion religiöse Gewissheiten zu Hypothesen degradiert werden, die wahr sein können oder eben nicht und auch über deren Rationalität nur anhand einer Kumulation verschiedener Kriterien (Erfahrungsbezug, Problemlösungspotential, Konsistenz mit der Tradition, intersubjektiver Konsens) entschieden werden kann. Die Idee eines Forschungsprogramms, das zu einer schrittweisen Verifikation von Hypothesen und einer allmählichen Annäherung an die Wahrheit führen würde, lehnt van H. ab. Die Integration des "postfoundationalism"-Konzepts in die Theologie wäre dogmatisch unproblematischer, wenn sich zeigen ließe, ob und inwiefern Aussagen, die lediglich Hypothesenstatus haben, dennoch logisch berechtigt und psychologisch gewiss sein können.

Die genannten Punkte zeigen Argumentationslücken in einem theologisch-religionsphilosophischen Entwurf an, der insgesamt betrachtet als überaus wichtiger und anregender Beitrag zur Diskussion um Theologie und Naturwissenschaft gelten muss. Zumal die Bedeutung von "The Shaping of Rationality" darin liegt, dass hier das gesamte Selbstverständnis der Theologie unter dem Druck der Herausforderung durch die Naturwissenschaften und den weltanschaulichen Pluralismus der westlichen Gesellschaften kompromisslos neu bestimmt wird. Alle Texte sind flüssig geschrieben und gut lesbar. Übersetzungen wären wünschenswert, um dem Autor hierzulande zu breiterer Bekanntheit zu verhelfen und das Problembewusstsein sowohl für das Verhältnis zwischen Theologie und Naturwissenschaften als auch für das Verhältnis der Religionen zueinander zu fördern.