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Ausgabe:

Juli/August/2024

Spalte:

624-625

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Mason, Steve

Titel/Untertitel:

Jews and Christians in the Roman World. From Historical Method to Cases.

Verlag:

Leiden, Boston, MA 2023. X, 691 S. = Ancient Judaism and Early Christianity, 116. Geb. EUR 203,30. ISBN 9789004543874.

Rezensent:

Michael Tilly

»Curious, open minded, and responsible investigation is the job«. In diese pointierte Beschreibung der zentralen Aufgabe jeder historisch-kritischen Erforschung des antiken Judentums und frühen Christentums mitsamt ihren gemeinsamen Lebenswelten mündet die geschichtshermeneutische Einführung (1–12) einer Sammlung von 22 wissenschaftlichen Essays des Historikers und Religionswissenschaftlers Steve Mason, Emeritus Professor an der Rijksuniversiteit Groningen. Die Beiträge sind in fünf thematische Blöcke gegliedert. Fünf Aufsätze behandeln zunächst die jüdische Perspektive auf das Imperium Romanum. M. warnt davor, die (seines Erachtens anachronistische) Dichotomie zwischen »Mutterland« und »Diaspora« als Bestandteil – oder gar als Grundlage – der Selbstwahrnehmung jüdischer Gemeinden im Römischen Reich zu betrachten (15–28). Unbeschadet des erkennbaren Bemühens beider Autoren um den Aufweis der Kompatibilität des Judentums mit dem »modernen« hellenistischen Denken sei sowohl bei Philon von Alexandria als auch bei Flavius Josephus ein Bewusstsein religiöser und kultureller Eigenständigkeit zu beobachten (29–52). Drei Aufsätze befassen sich mit Josephus’ Schilderung des Aufstiegs Vespasians (53–78), mit seiner heilsgeschichtlich-religiösen Deutung der »pragmatic-political history« (98) von der Niederschlagung der judäischen Erhebung gegen Rom durch Vespasian und Titus (79–100) und mit dem – vom antiken jüdischen Geschichtsschreiber in Bell 7,121–157 als eine überwältigende öffentliche Machtdemonstration des siegreichen flavischen Imperators bzw. als »exercise in make-believe« (140) inszenierten – römischen Triumphzug im Sommer 71 n. Chr. (101–141).

Fünf Beiträge nehmen die antike jüdische Geschichtsschreibung und insbesondere das Werk des Flavius Josephus in den Blick. M. problematisiert das vermeintliche Selbstverständnis der Autoren antiker jüdischer Geschichtsdarstellungen als »Historiker« und weist auf die distanzierende Wahrnehmung der Historiographie als »griechisches« Unterfangen selbst bei Flavius Josephus hin (145–160). Weiterhin fragt er nach dessen Verfasserabsicht bei der literarischen Gestaltung des Überraschungsangriffs der jüdischen Aufständischen auf die Legionäre des Metilius in Jerusalem und des blutigen Pogroms in Caesarea maritima, dem die jüdischen Stadtbewohner zum Opfer fielen (Bell 2,450–457), als zwei koinzidente Vorfälle (161–186). Ein Beitrag widmet sich dem Begriff des Leidens (Πάθος) im Jüdischen Krieg (187–209), ein weiterer der langen Ansprache des Hohenpriesters Ananus vor der Versammlung der Aufständischen in Jerusalem (Bell 4,162–193) als aussagekräftigem Beispiel für das Streben des Josephus nach literarischer Konturierung einer Erzählgestalt gerade durch die ihr in den Mund gelegten Reden (210–229). Anhand einer eingehenden Betrachtung des ortsgebundenen haggadischen Exkurses in Bell 4,459–465 fragt M. nach der Intensität der Bezugnahmen auf die jüdischen Heiligen Schriften im Jüdischen Krieg (230–250).

Vier wissenschaftliche Essays widmen sich prominenten Gestalten und Gemeinschaften. Beleuchtet werden die Gestalt Herodes des Großen, sein Aufstieg und seine lange Herrschaft als judäischer König von Roms Gnaden, das Problem seiner Nachfolge sowie die Folgen seines Ablebens (253–265). Ausführlich artikuliert M. seine Vorbehalte gegenüber einer vorschnellen Annahme der fragwürdigen Hypothese, die von Flavius Josephus erwähnten »Essener«, die antiken Bewohner von Chirbet Qumran und die Trägerkreise der Texte vom Toten Meer seien mehr oder weniger identisch (266–310). Die Bezugnahmen auf die pharisäische Bewegung im Werk des Josephus seien auch vor dem Hintergrund seiner literarischen Selbstdarstellung zu deuten (311–343). In Frage gestellt wird die Kennzeichnung des Johannes von Gischala und des Simon bar Giora als führende und beispielhafte Befehlshaber des jüdischen Aufstands gegen das Römische Reich (344–365).

Der Täufer Johannes, der Völkerapostel Paulus und der Evangelist Lukas werden in drei Beiträgen thematisiert. M. unterstreicht, dass die wesentliche Intention des Täuferreferats in Ant 18,116–119 darin bestehe, Johannes als Exemplum eines theologischen Grundthemas der Jüdischen Altertümer darzustellen (369–402): »He uses John’s fearless commitment to justice, which costs him his life, to illustrate Antiquities’ themes: those who transgress divine law meet failure, while those who follow them find happiness« (402). Insbesondere gegenüber der »New Perspective on Paul« gibt M. zu bedenken, dass das Konzept des »Judentums« als religiöse Identität bzw. Zugehörigkeit für Paulus zu keiner Zeit bestimmend gewesen sei (403–444). Die Behauptung seines Selbstverständnisses im Sinne einer «faith-based identity« führe deshalb in die Irre (444). Positiv beantwortet wird die Frage, ob der Verfasser des lukanischen Doppelwerks die Schriften des Flavius Josephus kannte (445–488). Für eine literarische Beziehung zwischen den beiden antiken Autoren sprächen vor allem thematische Kongruenzen und die übereinstimmende Gestaltung narrativer Kulissen.

Fünf Aufsätze dokumentieren schließlich die fruchtbare wissenschaftliche Diskussion des Verfassers mit anderen Fachgelehrten. Kritischen, aber stets konstruktiven und freundlichen Auseinandersetzungen mit Tessa Rajaks (491–520) und Per Bildes (521–542) umfänglichen Untersuchungen zu Flavius Josephus folgen ein lesenswerter Rückblick auf M.s »forty years of friendly disagreement« mit Daniel Schwartz (543–585) und eine gründliche Rezension zu T. Peter Wisemans Monographie »Flavius Josephus: Death of an Emperor« (Exeter 1991), in der dieser Josephus’ Darstellung und Deutung des Todes Kaiser Caligulas untersucht (586–601). Am Ende des Sammelbandes steht eine ausführliche Befassung mit der paulinischen Soteriologie in Nicholas Thomas Wrights vierbändiger Studie »Paul and the Faithfulness of God« (Minneapolis, MN 2013) (602–624). Beigegeben sind eine Gesamtbibliografie (625–661) sowie Indizes der antiken Quellentexte (662–684) und modernen Autoren (685–694).

Der informative Band enthält eine überaus hilfreiche Zusammenstellung wichtiger historischer Beiträge M.s, deren Erstveröffentlichung zwar zum Teil in recht entlegenen Publikationsorganen erfolgte, die aber mehrheitlich von hohem Nutzwert insbesondere bei der Befassung mit den Werken des jüdischen Geschichtsschreibers Flavius Josephus sind.