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Ausgabe:

Oktober/2000

Spalte:

1049 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Appold, Kenneth G.

Titel/Untertitel:

Abraham Calov's Doctrine of Vocatio in Its Systematic Context.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 1998. X, 194 S., 2 Taf. gr.8 = Beiträge zur Historischen Theologie, 103. Lw. DM 148,-. ISBN 3-16-146858-9.

Rezensent:

Markus Matthias

Die erste monographische Arbeit über Abraham Calov (1612-1686) entspringt dem Interesse, dessen philosophisches und theologisches Denken für die moderne Diskussion über die Entstehung von Glauben nutzbar zu machen, wie der Vf. insgesamt der (lutherischen) Orthodoxie Innovationen zutraut, die die Entwicklung zur Moderne eher vorwegnehmen als hemmen (1). Das macht neugierig.

Des Vf.s Argumentation zielt auf die These, dass sich die wissenschaftstheoretische Entwicklung des (analytischen) Systems bei Calov und die Einführung des sog. ordo salutis in die Dogmatik mit der vocatio als dessen erstes Element in signifikanter Weise gegenseitig beeinflussen, nämlich in der Weise, dass der Glaube im Sinne eines festen Vertrauens auf die Offenbarung Gottes in der Schrift durch die vocatio auf eine Weise bewirkt (vocatio efficax) werde, die die traditionelle Alternative von augustinischer Illuminationslehre (einschließlich der vermeintlich reformierten Lehre vom inneren Zeugnis des Heiligen Geistes) oder thomistischem Autoritätsglauben hinter sich lasse. Vielmehr verstehe man Calov nur angemessen, wenn man bei ihm ein linguistisches, rationales Verständnis der Wirksamkeit des Wortes voraussetze, das sich im besonderen Fall der vocatio efficax mit der speech act theory (How to Do Things With Words) von John Longshaw Austin (1911-1960) vergleichen lasse, wonach Rede sich nicht auf einen lokutionären Akt begrifflicher Referentialität beschränkt, sondern vor allem als perlokutionäre oder performative Handlung außersprachliche Wirkung erzielt. Zu fragen ist, ob sich Calovs erkenntnistheoretisches Gewissheitsproblem allein durch die Beobachtung zur Funktion von Sprache beantworten lässt. Zu fragen ist auch, warum der Vf. den Weg über das theologische System, den sog. ordo salutis und die vocatio gewählt hat, wenn es ihm um die Effektivität des verbum der Heiligen Schrift geht.

Aus des Vf.s These ergibt sich die Zweiteilung der Darstellung, die zunächst die konkrete Gestalt des (analytischen) Systems bei Calov betrachtet (1. Teil). In drei Kapiteln erläutert der Vf. noch einmal die Eigenart des analytischen ordo in der akroamatischen Theologie des Luthertums des 17. Jh.s und die o. g. erkenntnistheoretische Alternative (1. Kap.), beschreibt dann die kognitiv-psychologischen Voraussetzungen von Calovs philosophischer Erkenntnistheorie, wonach der Erkenntnisvorgang vom Objekt ausgeht, das über Sinneswahrnehmung und Abstraktion zu einer definitiven Vorstellung wird, die Wissen entstehen lässt (2. Kap.), und weist die habituelle Unterscheidung von wissenschaftlicher Theologie und Glaube bei Calov nach, die einer erkenntnistheoretischen Unterscheidung von aus der Schrift gezogenen mentalen Konzeptionen und deren Gewissheit entspricht (3. Kap.). Der Vf. zögert nicht, die darin zum Austrag kommende Intellektualisierung des Glaubens als solche namhaft zu machen (73). Die Gewissheit der Erkenntnis ist ein (möglicher) Effekt, der als solcher im Wort der Schrift selbst liegt.

Im zweiten Teil geht der Vf. der Frage der Effektivität des Wortes anhand der vocatio efficax nach, indem er Calovs Verständnis der Effektivität der Sprache insgesamt erörtert. Nach einer theologiegeschichtlichen Übersicht über den Begriff der "vocatio" bei Augustin, Prosper v. Aquitanien, Alexander von Hales, Molina und Suarez (4. Kap.) beschäftigt sich der Vf. mit dem terminologisch etwas unscharfen Begriff der "vocatio" (5. Kap.) und der vocatio efficax (6. Kap.) bei Calov, um schließlich die Effekte der ganz an Schrift und Wort gebundenen vocatio mit der o. g. Theorie von Austin zu vergleichen, indem der Vf. dabei Anregungen des amerikanischen Philosophen Nicholas Wolterdorff aufnimmt (7. Kap.).

Mit seiner modernen Interpretation nimmt der Vf. Calov in Schutz gegen den vom Vf. fälschlich Karl Heim zugeschriebenen (auf Grund der Lehre von der Verbalinspiration aufgekommenen) Vorwurf, Calov habe ein magisches oder fetischistisches Wort-Verständnis. Gleichwohl ist der an zentralen Stellen zu Unrecht attackierte Karl Heim mit seiner Studie über das Gewissheitsproblem in der systematischen Theologie (1911) der wichtigste Gesprächpartner des Vf.s und sollte es auch für den Leser seines Buches bleiben.

Der systematisch interessante Vergleich moderner linguistischer Theorien mit dem durch eine fast ausschließlich immanente Interpretation gewonnenen Wort-Verständnis Calovs lässt eine ausführliche historische Situierung von Calovs Ansatz innerhalb der zeitgenössischen Diskussion (etwa über die Bekehrung des Sünders zu Gott, über das Verhältnis von äußerem Wort und innerer Erleuchtung, über das Verhältnis von Glauben und Erwählung) konsequent hinter sich.

Angesichts der breit angelegten Rehabilitation Calovs verwundert es nicht, wenn der Vf. Calov gleichsam als Schlussstein orthodoxer Lehrbildung sieht, der die imputative Rechtfertigungslehre Melanchthons mit dem auf Luther zurückgehenden Gedanken der inhabitatio Christi verbunden habe, so dass Calovs Begriff der vocatio efficax die Sichtweisen Melanchthons und Luthers verbinde und beide an Klarheit und Vollständigkeit des Ausdruckes übertreffe. Zu bewundern ist das Engagement des Vf.s, das ihn dazu bringt, Calov nicht nur historisch zu rehabilitieren, sondern in ihm moderne philosophisch-theologische Entwicklungen antizipiert zu sehen.